KERS könnte auch Serienautos zugute kommen

Hybridentwicklung im Zeitraffer

Das "Kinetic Energy Recovery System" bringt ab 2009 Hybridtechnik in Formel-1-Rennwagen. Es dient zunächst nur der kurzzeitigen Leistungssteigerung, könnte aber mittelfristig auch die Pkw-Entwicklung beeinflussen

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  • ggo
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Stuttgart, 17. November 2008 – Ist KERS eine „Zeitbombe im Rennwagen?“ fragte die Stuttgarter Zeitung Ende Juli 2008 und spielte damit auf ein Feuer in der Fabrik von Red Bull an, das durch überhitzte Lithium-Ionen-Akkus ausgelöst worden sein soll. Schon von Mobiltelefonen und Laptops ist dieses Problem bekannt und auch im Hinblick auf eine Serienanwendung in Pkw spielt die Sorge vor überhitzten Akkus in der Diskussion um Hybridantriebe noch immer eine Rolle. Mercedes löst dieses Problem beim S400 BlueHybrid, indem die von Conti zugelieferte Batterie von einem speziellen Kühlkreislauf auf der richtigen Temperatur gehalten wird. Das zeigt zweierlei: Das Problem existiert, es lässt sich aber auch lösen.

KERS kommt
Ob KERS in der Formel 1 eingeführt wird, ist ohnehin keine Frage mehr, Streit gibt es nur noch um den richtigen Zeitpunkt. Denn für die großen Hersteller bietet das System eine Chance, dem Motorsport ein wenig grüne Couleur zu geben – und was noch viel wichtiger ist – Erfahrungen aus dem Sport in die Großserie zu übertragen. So findet etwa Honda-Teamchef Ross Brawn, dass sich die Formel 1 angesichts des Klimawandels keine Sonderrolle leisten darf, dem dürfte kaum noch ein Kollege widersprechen. Außerdem sei gerade für Honda das Entwickeln und Einführen sparsamer und alternativer Techniken traditionell ein „intrinsisches“ Merkmal der Entwicklungsarbeit.

Hybrid mal sportlich
Wie ein „normaler“ Hybridantrieb dient das „Kinetic Energy Recovery System“ (KERS) dazu, kinetische Energie in Bremsphasen zu speichern und später als Antriebsenergie wieder abzugeben. Schubphasen wie bei konventionellen Hybriden darf man dabei wohl vernachlässigen, denn ein energiebewusstes Ausrollen vor der nächsten Kurve ist in der Formel 1 bekanntlich eher unüblich, herzhaftes Bremsen dagegen der Normalfall. Und die dabei bisher vernichtete Energie soll zukünftig als punktuelle Mehrleistung wieder zur Verfügung gestellt werden, nach strengen Regeln natürlich, wie es bei der FIA üblich ist: Mithilfe von KERS lässt sich demnach pro Runde eine Zusatzleistung von zunächst 60 kW einige Sekunden lang nutzen, was in der Regel für Überholvorgänge oder deren Verhinderung genutzt werden dürfte. Oder um die FIA-Regeln zu zitieren: KERS darf pro Runde höchstens 400 kJ Energie abgeben.

Hybridentwicklung im Zeitraffer

Rasante Vorentwicklung
Wie die Technik sich in Punkten auszahlt, bleibt abzuwarten, sie ist ohnehin nur ein bescheidener Anfang: Bereits ab 2011 soll die nutzbare Leistung auf 100 kW steigen, später sollen weitere Formen der Energiegewinnung folgen, so zum Beispiel aus der Abwärme des Kühlkreislaufes. Kein Wunder, dass vor allem BMW sich für KERS einsetzt, denn bei Umwandlung von Wärme in elektrische Energie spielen die Bayern auch bei der Serienentwicklung eine Vorreiterrolle. Und auch Entwicklungsvorstand Dr. Klaus Draeger sagt klar, dass man die im BMW Sauber F1 Team gewonnenen Erkenntnisse direkt in die Entwicklung von Serienfahrzeugen transferieren will. Die Formel 1 sei die ideale Vorentwicklungsplattform für innovative Antriebstechnologien.

Modularer KERS-Baukasten
Das hat man vielleicht auch bei Bosch Motorsport gedacht, als man sich entschied, ein modulares KERS-System auf die Beine zu stellen. Bosch Motorsport entwickelt mit etwa 70 Mitarbeitern „Komplettsysteme“ für den Motorsport, Hauptkunden sind derzeit die DTM und die Formel 3. Der „modulare KERS-Baukasten“, den das Unternehmen vom 11. bis 13. November auf der Professional MotorSport World Expo in Köln vorstellte, soll die Anforderungen der Formel 1, der DTM oder auch von 24-Stunden-Rennen abdecken. Man sei mit vielen Teams der verschiedenen Rennserien im Gespräch.

Li-Ion- oder Schwungradspeicher
Je nach Auslegung sollen die Systeme mittels kurzzeitig abrufbarer zusätzlicher Leistung mehr Überholmanöver erlauben oder durch reduzierten Verbrauch die Zahl der Tankstops verringern. Diese Hybridsysteme bestehen immer aus einem Energiespeicher, dem Elektromotor und dem KERS-Controller. Dieser enthält die Leistungselektronik, das Batteriemanagement sowie die Steuerung der Hybrid- und Motorfunktionen.

Als Energiespeicher kommt eine Lithium-Ionen-Batterie mit skalierbarer Kapazität oder ein Schwungradspeicher zum Einsatz, der bis zu 750 Kilojoule Energie speichert. Supercaps sind dagegen nicht vorgesehen. Aufgrund des vergleichsweise hohen Gewichts und nicht idealer Lade- und Entladekurven sind sie nach Meinung von Bosch-Experten eher nicht geeignet. Bei Konzepten anderer Unternehmen gebe es aber durchaus Ansätze mit Kondensatoren. Die Elektromotoren wiegen zwischen vier und acht Kilogramm bei einer Leistung von maximal 60 kW, also genau jene Leistung, die in der Formel-1-Saison 2009 für KERS erlaubt ist.

Hybridentwicklung im Zeitraffer

Antriebsentwicklung im Zeitraffer
Auch in der „Königsklasse“ möchte Bosch Motorsport gerne Kunden gewinnen, über Verhandlungserfolge will man aber derzeit noch nicht berichten. Doch auch die Konzernmutter dürfte ein vitales Interesse am Erfolg der Rennsporttochter haben. Denn natürlich gilt auch für den weltgrößten Automobilzulieferer, was die Automobilhersteller antreibt: Auch wenn KERS eine spezielle Lösung für den Rennsport ist, haben seine Entwickler es mit ähnlichen Komponenten zu tun wie in zukünftigen Hybridantrieben. Der Rennsport bietet aufgrund seiner sehr kurzen Entwicklungszyklen zudem den Vorteil, gewonnene Erfahrungen sehr viel schneller umsetzen und erproben zu können als bei Serien-Pkw.

Vom Rennsport zur Serie
Ob Honda, BMW oder Mercedes auf Herstellerseite oder Bosch und übrigens auch Magneti Marelli auf Zuliefererseite, für sie alle geht es neben der Freude am Rennsport wohl auch um die Frage, wer Hybridtechnik am überzeugendsten in die Großserie umsetzen kann. Anders als beim rein verbrennungsmotorischen Antrieb ist damit zu rechnen, dass unter den Formel-1-Teams die Unterschiede in der Antriebstechnik – zumindest in einer Übergangsphase – größer sein werden als in der Vergangenheit. Wer da nicht mitkommt, ist schnell aus dem Rennen.