Im Land Rover Defender-Stammwerk zu Solihull

Abschiedsbesuch

Das britische Solihull nahe Birmingham ist seit fast 70 Jahren Herzkammer der Land Rover Defender-Fertigung. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt, warum dieses Modell auch in seiner Produktion an Grenzen der Modernisierbarkeit stößt: Das klassische Nutzfahrzeug benötigt allzuviel Handarbeit

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Abschiedsbesuch im Landy-Werk zu Solihull 20 Bilder
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Marcel Sommer
Inhaltsverzeichnis

Birmingham, 23. Dezember 2015 – Es ist früh am Morgen, dunkle Wolken ziehen über Birmingham und die ersten Scheibenwischer werden aktiv. „Wenn Sie schönes Wetter suchen, sind Sie hier falsch“, hustet der Pförtner unter seinem Schal hervor und fügt hinzu: „Herzlich willkommen im Jaguar Land Rover Werk Solihull.“ Den Markennamen hätte er sich allerdings sparen können, da sowohl die Jaguar als auch die Landy- und Range-Dichte schon außerhalb der Schranken und erst recht dahinter spürbar zunimmt. Anders als auf einem japanischen oder so manch deutschen Werksgelände sind zwar noch jede Menge Fremdfabrikate zu erblicken. Doch liegt das daran, dass nicht jeder Werksangestellte mehr als seinen kompletten Jahreslohn in einen Neuwagen investieren möchte, den er jeden Tag zusammenschraubt.

Zu viel und zu langwierige Handarbeit

Der Begriff des Zusammenschraubens ist, soviel sei bereits an dieser Stelle verraten, in keinster Weise abfällig zu verstehen. Denn hier sind noch echte Menschen mit echten Schraubenschlüsseln zu Gange. Der Defender wird hier seit fast 70 Jahren zusammengesetzt und nach drei Tagen per Zündschlüsselumdrehung zum Leben erweckt. Eine Produktionsdauer, die sehr schnell deutlich macht, warum Land Rover nicht direkt von einer kommenden siebten Defender-Generation spricht. Dass sie dennoch kommen wird, daran zweifelt jedoch niemand – erst recht nicht hier in seinem Stammwerk. Obwohl solche Entscheidungen längst nicht mehr im ersten Stock des noch erhaltenen Backsteingebäudes mit seiner kleinen Drehtür gefällt werden.

Der erste Blick fällt beim Betreten der heiligen Defender-Hallen auf große, schwarze, stählerne Ungetüme, die vom britischen Wetter noch feuchten Leiterrahmen. Ein nett grüßender Mitarbeiter versucht sie mit Druckluft und einem Lappen ein wenig von ihren Tropfen zu befreien. Wobei im Gesicht des armen Putzteufels der Satz „der wird ja eh wieder nass ... und das ist noch zurückhaltend formuliert“ abzulesen ist. Recht hat er. Und was er nicht trocken bekommt, wird in den kommenden 72 Stunden in diesen warmen Werkshallen sowieso von selbst trocknen.

Die auf zwei Stahl-Böcken positionierten Achsen inklusive Differentialen, Bremsanlagen und Dämpfern warten bereits. Der Bock für die Vorderachse kann an drei unterschiedlichen Befestigungspunkten im Boden verankert werden, für die drei verschiedenen Radstände 90, 110 und 130. Dass es nahezu unzählige, aber mindestens 53 verschiedene Varianten des Ur-Land Rovers gibt, zeigt ein gewaltiges Poster an der Werkshallenwand.

Bis zur Hochzeit, bei der der 2,2 Liter große und 122 PS starke Vierzylinder-Motor samt Schalt- und Verteilergetriebe mit dem Fahrgestell vereint wird, sind noch ein paar Hammerschläge und lautes Krachen zu vernehmen. Hier wird noch richtig zugepackt , frei nach dem Motto: „Was nicht passt, wird passend gemacht.“ Direkt nach der Hochzeit bekommt der Defender sein Cockpit, das auf einer parallel zum Fahrwerk verlaufenden Fertigungslinie zusammengebaut wird. Dann geht es ans Stahlkleid. Doch plötzlich dröhnt eine Sirene durch die Hallen, Tea-Time! Nach wenigen Minuten laufen die Bänder weiter.

Das Besondere an der Aluminiumkarosserie ist, dass sie an einem skelettartigen Lehrgerüst zusammengesetzt und später auf dem Rahmen angeschraubt wird. Dabei fällt auf, dass die rund 450 Arbeiter nur selten auf Roboter oder komplizierte Apparaturen zurückgreifen. Der Bohrer wird hier noch nach Augenmaß angesetzt, so dass das gern genutzte Marketingsprech „Hier ist kein Exemplar wie das andere“ beim Defender tatsächlich zutrifft. Natürlich ist nach fast 70 Jahren das über Generationen weitervererbte Augenmaß – Mitglieder einer Familie arbeiten bereits in der dritten Generation in diesem Werk – fast so gut wie eine vom Computer erstellte Maske, doch nur fast. Leichte Kratzspuren oder ähnliches werden hier ohne ein Wimpernzucken zur Kenntnis genommen. Denn schließlich wird ja noch lackiert.

In die Monsunkammer

Eine Kuriosität stellt bei all dem Zusammengehämmere, Geniete und Geschweiße die Tür eines Defenders dar. Denn die hat sich seit der Geburtsstunde kaum und seit genau einem Vierteljahrhundert gar nicht in ihren Abmessungen verändert. Soll heißen, dass ein aktueller Defender seine verkratzte oder zerbeulte Tür durch einen 25 Jahre alten Schrottplatzfund ersetzen könnte.

Könnte ... Denn diese Tatsache hat sich natürlich herumgesprochen. Und dass mehr als zwei Drittel aller jemals produzierten Defender noch über die Straßen und Felder rund um den Globus rollen, erhöht die Wahrscheinlichkeit auf einen Schrottplatzfund auch nicht gerade ungemein. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Feinjustierung der Türen. Wobei der Begriff fein an dieser Stelle eher scherzhaft zu verstehen ist. Denn auf dem Werkstatt-Wagen des Justierers liegen neben einem Schraubenschlüssel zwei verschieden große und beschaffene Hämmer. Hängt die Tür nach links? Rumms. Fällt sie nach rechts ab? Wumms. Ob alles passt oder dicht ist, zeigt sich nur wenige Meter später in der sogenannten Monsunkammer. Hier wird jeder einzelne Wagen 14 Minuten lang dem Hochdruck aus 343 Wasserdüsen ausgesetzt.

Die Fertigung war damals noch archaischer

Wer jetzt glaubt, dass die Produktion eines Land Rover Defender sich seit 1948 kein Stückchen verändert hat, der irrt jedoch und wird noch in der Werkshalle eines Besseren belehrt. Denn mit einer spektakulären Installation namens Defender Celebration Line wird die erste Produktionsstraße, auf der der erste Land Rover der Serie eins entstand, gefeiert. Neben alten Fotografien und Filmen sind vor allem die die Original-Nachbauten des Ur-Land Rover zu bestaunen. „Kein anderer Hersteller weltweit verfügt über eine originalgetreue klassische Fertigungsstraße, die derart authentisch und mir solcher Liebe zum Detail nachempfunden wurde. Es hat viele Monate des Suchens, des Engagements und der Hingabe gebraucht, bis das Projekt Gestalt angenommen hatte. Aber es war jede Anstrengung wert“, schwärmt Mr. Land Rover und Koordinator der Celebration Line, Roger Crathorne, der erst im vergangenen Jahr seine Berufslaufbahn beim Geländewagenbauer nach einem halben Jahrhundert beendete.