ZF präsentiert auf der NAIAS das weltweit erste Pkw-Automatgetriebe mit neun Gängen

Innenvielzahn

ZF präsentiert das erste Pkw-Automatgetriebe mit neun Gängen für Pkw. Es soll Verbrauchseinsparungen von zehn bis 16 Prozent erreichen und dabei Stopp-Start, hybrid- und allradfähig sein. Als erste Hersteller werden Chrysler und Fiat die Wandlerautomatik einsetzen

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  • Florian Pillau
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Detroit (USA), 16. Januar 2013 – Es gibt Namen, die einfach zu gut sind, als dass man sie einem Drehbuchschreiber durchgehen lassen würde. „Zahnradfabrik Friedrichshafen“ ist so einer. Erschiene dieser Name etwa in einem „Tatort“, würde man den Autor umgehend um Nachbesserung ersuchen. Im echten Leben ist es so, dass ein Zulieferer dieses Namens tatsächlich sehr erfolgreich Zahnräder baut. Und zwar für Autoantriebe aller Art, vom manuellen über Umschlingungsgetriebe bis zur Wandlerautomatik, vom Allrad- bis zum Hybridantrieb. Nach einem innovativen, achtstufigen Automatgetriebe für den Längseinbau präsentiert ZF nun ein Neungang-Wandlergetriebe für den Quereinbau für mittlere bis höhere Drehmomente. Seine Verbindung von hohem Komfort mit einer für Wandlerautomaten ungekannten Effizienz kann man auch als Replik auf Doppelkupplungsgetriebe verstehen, die sich mittlerweile auch in der Mittelklasse breit gemacht haben.

Beachtliche Fortschritte

Die Hersteller suchen verstärkt nach ganzheitlich anwendbaren Möglichkeiten, den Flottenverbrauch zu senken. Das betrifft nach dem Motor unweigerlich auch den ganzen den Rest des Antriebs. Denn alle Verbesserungen bei der Energieumsetzung im Motor – auch die Hybridisierung – entfalten ihr volles Potenzial erst mit einem dazu passenden Antrieb. Während das manuelle Getriebe aus guten Gründen immer noch funktioniert wie vor Jahrzehnten, sind die Fortschritte bei der Automatik beachtlich. Das beginnt mit der Spreizung der Gesamtübersetzung zwischen kleinstem und größtem Gang und der Stufung der Gänge, mindestens ebenso wichtig ist die Intelligenz der Schaltstrategie. Nicht umsonst kommunizieren Motor und Getriebe heute sehr intensiv. Während noch vor nicht allzulanger Zeit das Getriebe aufgrund von Drehzahl und Dremoment gewissermaßen raten musste, welche Schaltstufe richtig ist, laufen heute unzählige Parameter von der Kühlwassertemperatur bis zur Kurvengeschwindigkeit in den Steuercomputer der Schaltbox. Doch auch bei Reibung und Wirkungsgrad liegen noch Optimierungspotenziale.

Gepflegte Vorteile

Nach dem bereits ungewöhnlich ökonomischen, 2006 erschienenen 6-Gang-Wandlergetriebe (6HP) zeigte ZF mit dem 2008 lancierten achtstufigen Nachfolger, dass konventionelle Wandlerautomaten mit dem seit über zehn Jahren vermarkteten Doppelkupplungsgetriebe in Sachen Verbrauchssenkung mithalten können. Es unterbot seinen sechsstufigen Vorgänger darin um über sechs, im Gewicht um drei Prozent. Die Effizienzgewinne setzen sich zusammen aus einem häufigeren Betrieb des Motors im günstigsten Betriebspunkt, reduzierte Schleppmomente durch nur je zwei offen laufende Kupplungen und einen verbesserten Radsatzwirkungsgrad.

Das große 8-Gang-Automatgetriebe von ZF funktioniert so gut, dass sich die Nachfrage zwar weiterhin prächtig entwickelt. Jedoch galt das bisher fast nur für größere Premium-Modelle wie den Audi A6 oder den Land Rover Range Rover und sogar Pick-Up-Trucks mit Allradantrieb von kompakt (VW Amarok) bis groß (Ram Trucks). Für den Standardantrieb konstruiert, schränkt es die Verwendung bei vielen Herstellern stark ein: Nicht jeder hat eine Produktpalette mit vorwiegendem Längseinbau wie BMW, wo das 8HP genannte Getriebe in 11 Baureihen bis hinunter zu X1 und 1er angeboten wird und generell ist der Standardantrieb aus Packaging- und Gewichtsgründen auf dem Rückzug. Trotzdem hat die Produktion dieser Automatik bereits Mitte 2011 die Millionenmarke hinter sich gelassen.

Das bedeutet aber auch: Das Geschäft mit den meist kleineren Fahrzeugen mit Quermotor machten bisher andere. Daher entwickelt ZF bereits seit Jahren an einem Neungänger für den Quereinbau und hat es bereits auf der IAA 2009 erstmals vorgestellt. Jetzt ist es serienreif und „soll ZF neue Kundenkreise erschließen“, wie Stefan Sommer, Vorstandsvorsitzender bei ZF, es ausdrückt. Erste Abnehmer werden Chrysler und Fiat sein, ein weiterer soll folgen, will aber wohl noch nicht genannt werden, und selbstverständlich geht man davon aus, dass noch viele weitere folgen werden. Das Potenzial ist groß, denn bereits heute sind weltweit über 75 Prozent aller weltweit produzierten Pkw mit „Front-Quer-Konfiguration“ unterwegs – in deutlich steigender Tendenz.

Ohne Vorgänger

Das 9HP ist voll technischer Innovation, weit über seine Neunstufigkeit hinaus. Es ist weltweit das erste seiner Art, Vergleiche sind hier deshalb mangels direktem Vorgänger etwas schwieriger. ZF verspricht immerhin „Einsparungen von zehn bis 16 Prozent im Vergleich zu den heute üblichen 6-Gang-Automatgetrieben im Front-Quer-Einbau“. Möglich macht diese Kraftstoffeffizienz laut Hersteller vor allem seine extrem hohe Gesamtspreizung von 9,84. Zum Vergleich: Das 6HP hatte 6,04, das 8HP erreichte 7,05. ZF liefert ein Beispiel, das eventuell aus dem Versuchsfahrzeug, einem Mini, stammen könnte: Der neunte Gang senkt die Drehzahl bei 120 km/h um 720/min gegenüber einem Getriebe mit sechs Gängen. Trotz der größeren Spreizung ermöglichen die neun Stufen kleinere Gangsprünge, der Motor läuft dadurch noch häufiger und länger im verbrauchsoptimalen Drehzahlbereich. Die Drehmomentkapazität liegt je nach Version zwischen 200 und 480 Nm, passend für fast alle Quermotor-Autos.

Schwer ist leicht was: Das Gewicht der Automatisierung

Mit 367 mm x 521 mm x 429 mm (L x T x H) ist es auch in der kräftigen Ausführung für 480 Nm („9HP48“) kompakt und mit 86 kg inklusive Öl drei Kilogramm leichter als das 8HP für den Standardantrieb. Dieser Vergleich hinkt allerdings gewaltig, denn es beherbergt im Gegensatz zum 8HP ja auch ein massives, schweres Differenzial. Das „nackte“ 9HP dürfte also um die 70 kg wiegen. Die Version für 280 Nm „9HP28“ misst nur 363 x 482 x 386 mm und wiegt betriebsbereit (ohne Kühler) 78 kg.

Das ist relativ wenig angesichts des schweren 8HP, aber viel im Vergleich mit aktuellen manuellen 6-Gang-Getrieben für den Quereinbau: ein vergleichbares Räderwerk von Getrag wiegt nur 41 Kilogramm. Das 6-Stufen-Doppelkupplungsgetriebe "Powershift 6DCT451 desselben Herstellers hingegen bringt mit 81 kg knapp das Doppelte auf die Waage. Sowohl Wandlerautomat als auch Doppelkupplungsgetriebe sind also erheblich gewichtiger als ein manuelles Schaltgetriebe. Im Quereinbau haben sie damit einen erheblichen prinzipbedingten Nachteil, der sich – ganz anders als beim zentral liegenden Getriebe für den Standardantrieb – fahrdynamisch negativ auswirkt: Ein runder Zentner mehr in der Fahrzeugmitte ist für das Handling unerheblich. Auf der Vorderachse hingegen ist so viel Zusatzgewicht für den Fahrer deutlich spürbar. Dass das Mehrgewicht im Alltagsbetrieb auch der Effizienz nicht dienlich sein kann, liegt sowieso auf der Hand.

Neu aufgefädelt mit Matrioschka-Schachtelung

In einem Getriebe für Standardantrieb wie dem 8HP ist reichlich Platz für neue Planetenradsätze. Deren koaxiale Anordnung macht das Getriebe zwar immer länger, allerdings ist ja zwischen Getriebe und Hinterachse auch jede Menge Platz im Tunnel. Ganz anders beim 9HP mit Quereinbau: Beim Vorderradantrieb muss zwischen den Innenkotflügeln neben dem Motorblock auch das Getriebe untergebracht werden. Die einfachste Platzsparmethode war noch die Verlegung der Flügelzellen-Ölpumpe von der Hauptwelle mittels Kettenantrieb. Zwei der axial auf der Welle angeordneten Radsätze wurden inklusive ihrer Lamellenbremsen konzentrisch ineinander verschachtelt, gewissermaßen nach dem Matrioschka-Prinzip. Das funktioniert nur, weil der radiale Bauraum nicht so stark eingeschränkt ist wie beim Längsgetriebe – das 9HP wurde so einfach etwas „dicker“. Zwei weitere der sechs Schaltelemente sind keine der üblichen Lamellenbremsen-Kupplungen, sondern – viel kompakter – hydraulisch betätigte Klauenkupplungen. Diese Premiere im Pkw-Bereich ist nur mit einer sehr gut abgestimmten Steuerung so zu beherrschen, dass es beim Schalten nicht ruckt oder klackt. Allerdings bieten sie einen Zusatzvorteil: Ohne Lamellenschaltelemente bieten sie einen viel geringenen Schleppwiderstand – mit dem freudig entgegengenommenen Nebeneffekt weiterer Energieeinsparung. Ohne diese hätte sich die Erweiterung um eine Stufe eventuell gar nicht gelohnt. Der Radsatzwirkungsgrad liegt bei allen Paarungen übrigens um gute 97 Prozent.

Komfort und Sport

Komfort ist die traditionelle Domäne der Wandlerautomaten und ZF hat auch beim neuen 9HP sehr darauf geachtet, diesen Vorteil beizubehalten. Zu einem gefährlichen DKG-Gegner wird es aber erst durch seine zusätzlich stark gesteigerte Schaltgeschwindigkeit. Dazu gehört ein schnelles, dank mehrstufigem Torsionsdämpfer ruckfreies Schließen der Wandlerüberbrückung und die Auslegung der Steuerung auf „Reaktionszeiten unterhalb der Wahrnehmungsschwelle“. Das entspricht laut ZF einer Schaltzeit von rund zwei Zehntelsekunden. Sportlich macht das 9HP eine direkte Mehrfachschaltung, etwa von der achten in die zweite Stufe. Außerdem hat man der Box eine serienmäßige Stopp-Start-Fähigkeit ohne Zusatzölpumpe mitgegeben. Da beim Wiederstart lediglich ein Reibschaltelement geschlossen werden muss, fühlt sich der Fahrer an der Ampel nicht von einem verzögert startenden Auto ausgebremst.

Der Autohersteller kann je nach Auslegung des Fahrzeugs eine weite Spanne von Charakteristiken im Speicher der softwarebasierten Steuerung hinterlegen und dem Endkunden die Möglichkeit geben, mehr oder weniger intensiv davon Gebrauch zu machen. Das Ganze läuft auf zwei Ebenen ab. ZF schreibt: „Die Schaltablaufsteuerung ATSYS enthält alle Kupplungsregelungen, Adaptionsfunktionen und Getriebeschutzfunktionen, während die Fahrstrategie ASIS sicherstellt, dass für den Fahrer unbemerkt der je nach Fahrsituation optimale Gang gewählt wird“. Die Elektronik ist laut ZF eine Weiterentwicklung der bewährten Steuerung aus dem 8HP und liegt im Übrigen getrennt von den hydraulischen Aktuatoren und Sensoren. Sie lässt sich nach Bedarf in der Rechenleistung noch um 30 Prozent beschleunigen, um möglichen künftigen Entwicklungen Rechnung zu tragen.

Modular flexibler Baukasten

ZF ist sehr daran gelegen, möglichst alle Wünsche der OEMs zu erfüllen. Das neue Getriebe ist daher von Anfang an als modularer Baukasten entwickelt worden. So kann für Allradfahrzeuge ein Abtrieb für den ebenfalls neu entwickelte Allradantrieb ECOnnect angeflanscht werden. Als typischer „hang-on“*-Allradantrieb schaltet er den Hinterachsantrieb nur bei Bedarf zu und spart auf diese Weise fünf Prozent Kraftstoff im Vergleich zum permanenten Allradantrieb. *(„to hang on“ heißt wörtlich: „sich bereithalten“. Der Antrieb „wartet“ also sozusagen auf seinen Einsatz). Zudem ist das 9HP hybridfähig: In einem Parallelhybrid kann der Drehmomentwandler durch einen passenden elektrischen Motor ersetzt werden. Die Entwicklung solcher elektrischer Bauteile läuft bei ZF parallel zur Getriebeentwicklung. Damit kann ZF komplette Hybridantriebe einbaufertig zuliefern. In Serie will ZF das neue 9HP im neu errichteten Werk in Greenville, South Carolina produzieren. Geplant sind 400.000 Einheiten pro Jahr.

Moderne Wunder

Einige mit modernen Wandlergetrieben ausgestattete Fahrzeuge vollbrachten schon vor einigen Jahren das Wunder, vorgeblich sparsamer zu sein als das baugleiche Modell mit manueller Schaltung. Die unlogisch scheinenden Katalogwerte in den Broschüren einiger Hersteller waren allerdings ein Artefakt des „Neuen Europäischen Fahrzyklus“ (NEFZ) zur Messung des Verbrauchs. Sie kamen zustande, weil die Schaltdrehzahlen für manuelle Getriebe im NEFZ entweder vorgegeben werden oder – wenn vorhanden – der Schaltempfehlung zu folgen ist, während man eine Automatik vollkommen auf den Fahrzyklus abstimmen kann. Es wäre ja wirklich ein physikalisches Wunder gewesen, dass eine Automatik mit Ölpumpe, Reibungsverlusten in den Lamellenkupplungen und temporärem Wandlerschlupf tatsächlich sparsamer laufen kann als ein simples Schaltgetriebe mit Kupplung. Im realen Alltagsbetrieb waren Schaltgetriebe mit intelligenten Fahrern allerdings noch deutlich im Vorteil. Möglicherweise sind diese Zeiten – zumindest beim 9HP – passé dank seiner Kombination aus weiter Spreizung, enger Gangstufung und optimierter Reibung. Wir werden bestimmt noch davon hören.