Ich will einen Jetpack und ein Neuro-Interface für meinen Porsche

Der Sportwagen der Zukunft

Auf der Veranstaltung "Grafik-Overlays nehmen mir mein Auto weg" rissen wir kurz das Thema Sportwagen an, konkreter: den Sportwagen der Zukunft. Schade, dass wir das nicht länger taten, denn das Thema gehört für alle, die gern fahren statt nur gern ankommen zu den spannendsten überhaupt

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Auf der Veranstaltung "Grafik-Overlays nehmen mir mein Auto weg" rissen wir kurz das Thema Sportwagen an, konkreter: den Sportwagen der Zukunft. Schade, dass wir das nicht länger taten, denn das Thema gehört für alle, die gern fahren statt nur gern ankommen zu den spannendsten überhaupt. Das Auto muss sich ständig ändern, und mit ihm das Sportauto, das zum Spaß gefahren wird. Viele Sportfahrer hegen zum Beispiel in ihrem Herzen die Furcht, dass selbst fahrende Vollautomobile, sollten sie denn noch zu unseren Lebzeiten kommen, das Ende des Landstraßen-Carvens bedeuten könnten. Eine positivere Sicht ist: Vollautomaten sind das Beste, was dem Sportfahrer passieren kann, weil eine Maschine so gebaut wird, dass sie sich stets vorhersehbar gleich verhält statt wie ein überforderter alter Mensch vollkommen chaotisch. So oder so steht fest, dass Sportwagen fahren noch lange nicht am Ende einer Entwicklung steht. Es hat eine Zukunft. Um diese Zukunft zu sehen, können wir in die Vergangenheit schauen.

Dystopien werden wahr

Wer wahrscheinliche Zukunftsszenarien lesen will, muss sich von den meistens zu viel von Menschen erwartenden Utopien abwenden. Gemischtwaren-SF taugt manchmal ganz gut. Dystopien enthalten dagegen erschreckend wahrscheinliche Szenarien, selbst im Nachhinein betrachtet. Man lese einmal das, was Gibson in den Achtzigern schrieb. Viele Mitarbeiter der Firma FASA lasen Gibson wie eine Bibel. Sie bauten daraus ihr Rollenspiel "Shadowrun". In Shadowrun gab es einen Autokatalog, der, wenn man wie ich tickte, das wichtigste Buch im Spiel war. Dieser Autokatalog aus den Achtzigern bleibt bis heute aktuell, wenn es darum geht, wie ein Sportwagen in den Jahren 2050 und folgende aussehen könnte.

Die Autos dort sehen aus heutiger Sicht retrofuturistisch aus, die besten Zeichnungen zeitlos. Ein VW XL-1 erinnert mich an diesen Katalog, auch wenn er eher wie der Saab dort aussieht. Die Seitenlinien eines Eurocar Westwind 2000 könnte man problemlos in jeder Epoche als elegante Sportwagengestaltung verkaufen. Ein 911 sieht (minus die mangelhaften Fertigkeiten des Zeichners) aus wie ein 911, als einfachstes Beispiel einer Design-Extrapolation in die Zukunft. Das Wichtigste jedoch: Alle diese Autos ... sind einfach Autos. Sie haben einen Verbrenner- oder Elektromotor, vier Räder, Scheiben, Sitze, Beleuchtung. Ihr einziger großer Unterschied zu heutigen Autos liegt in der Interface-Technik.

Die Eighties-Rollenspielentwickler haben richtig extrapoliert, dass die Fahrzeuge in ihrer Zukunft a) viele Sensoren und b) einige eigene Verarbeitungsleistung haben würden, wie sie zum Beispiel in den Staupiloten der Oberklasse zum Einsatz kommt. Wahrscheinlich werden sie auch damit recht haben, dass es irgendwann Neurointerfaces geben wird, mit denen der Fahrer seine Wahrnehmungszentren im Gehirn direkt in die Sensor-Aktuator-Schleifen einklinken kann. Er wird gefilterte Sensordaten erhalten, mit denen er das Auto wahrnehmen kann wie seinen Körper, damit er es so intuitiv steuern kann wie seinen Körper. Das soll gar keine poetische Sprache sein, sondern der Mensch fügt Werkzeuge sowieso seinem erweiterten Selbstbild hinzu. Wer einen Schraubendreher in die Hand nimmt, meint, die Schraube vorne am Ende seines Werkzeugs zu spüren. Und wer ein Auto fährt, spürt in seiner erweiterten Körperwahrnehmung, was die Räder tun, obwohl er doch eigentlich von den Rohdaten her gesehen nur spürt, wie seine Haut an verschiedenen Stellen vibriert.

Brain to Wheel

Dasselbe gilt für die Gegenrichtung: Wenn zwischen dem gedachten Bewegungsentwurf des erweiterten Körpers kein Lenkrad plus Pedale mehr stehen, verbessert sich die Bewegungsqualität potenziell erheblich, denn die durchlaufenden Reaktionszeiten sinken dramatisch. Dazu kommt, dass der Ausgabekanal breiter wird. Das Limit dessen, was ein paar Pedale plus ein Lenkrad an Daten ins Chassis übertragen können, liegt sehr niedrig. Deshalb regeln Autos schon heute einzelne Raddrehzahlen automatisch ein.

Das werden sie sicherlich auch künftig, doch es könnte außerdem manuelle Zugriffe auf solche Details geben. Statt eines Bremspedals, das nur einstellt, wie stark die generelle Bremsung sein soll, könnte der Sportwagen der Zukunft fortgeschrittene Fahrer auf Wunsch jedes Rad einzeln bremsen lassen. 360, here we come. Solche prinzipiell im Detail regelbare Stellgrößen gibt es überall. Lenkwinkel Vorderachse zu Hinterachse. Drehmomentverteilung pro Rad. Einspritzmenge. Vorgewählter nächster Gang im Doppelkupplungsgetriebe. Die Servos der aktiven Aero. Und so weiter.

Heute werden die genannten Beispiele von recht simpel agierenden Computern gesteuert. Sie versuchen, einen möglichst sinnvollen Fahrzustand herzustellen, den sie aus ihren festverdrahteten Parametern plus den Eingaben von Fahrer und Umwelt errechnen. Genau hier liegt eine riesige Spielwiese des Ausprobierens von Vierradfahrphysik. Ich glaube nicht, dass künftige Sportwagen ihre Fahrer nur noch durch die Gegend kutschieren, dass es immer weniger zu tun gibt auf dem Fahrersitz. Im Gegenteil könnte es sein, dass die Zukunft eine Renaissance des Sportwagens bringen könnte, in dem der Fahrer unendlich mehr Möglichkeiten als jemals zuvor hat, interessante Dinge zu tun. Nur bis 2050 kriegen wir es wahrscheinlich doch nicht hin. Wir als Generation müssen uns also wohl auch weiterhin über Hände und Füße mit unseren Fahrzeugen unterhalten.