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Warum kopiert keiner BMWs Zubehör-Konfigurator?

Döner aus Bayern

Klartext Clemens Gleich
Beim Neukauf gibt es bei den Superbikes eigentlich nur noch die BMW, wenn man auch mal probefahren will. Schade. Für die Anderen.

Die 2015er BMW S 1000 RR fährt außer der üblichen Mehrleistung bei Mindergewicht vor allem neue Features auf. Dieses Rezept funktioniert, auch bei Autos. Wieso also macht es keiner nach?

Vorstellung des neuen BMW-Superbikes S 1000 RR. Abends sagt ein BMW-Mitarbeiter zum anderen: "Ich bin letztens mal die aktuelle GSX-R 1000 gefahren. Ist immer noch ein super Motorradl." Sein Kollege stimmt ihm zu. Solches Lob objektiv guter Konkurrenzprodukte fällt BMW nie schwer, weil diese Konkurrenzprodukte vor allem bei den Superbikes kein Schwein kauft. Die GSX-R 1000, in der Szene als "Kilogixxer" verspitznamt, ist metaphorisch gesprochen ein exzellentes Stück Hammelfleisch. Aber die BMW ist dasselbe Hammelfleisch, schön zu Kebab geschnetzelt und mit allen möglichen interessanten Zutaten in ein knuspriges Fladenbrot mit BMW-Logo drauf geschaufelt. Wen interessiert da der Preis von fünfneunzig, äh: wahrscheinlich 17.000 Euro, wenn die Pseudo-Alternative etwas ist, das man nicht haben will?

Die große Gixxer steht bei Suzuki mit 14.790 Euro plus Nebenkosten in der Liste. Es fällt mir schwer, dazu Worte zu finden, die nicht bösartig klingen. BMW hat die erste S 1000 RR [1] 2008 vorgestellt. Sie machte das ABS in Supersportlern salonfähig, nachdem Hondas Fireblade kurz vorher bewiesen hatte, dass das a) sehr wohl geht und wichtiger b) sich sehr wohl verkaufen lässt: Honda verlangte damals 1000 Euro Aufpreis. Es war allen Kunden egal, die Blades ohne ABS wollte kaum noch jemand. Die RR brachte jedoch zum ersten Mal eine Traktionskontrolle mit Schräglagensensorik [2] in die Serie, was die Regelqualität massiv verbesserte. Vor allem jedoch war BMWs Angebot eingebettet ins BMW-Zubehörprogramm. Man konnte die Maschine kaufen, die man wollte und brauchte.

"Eet eez not a REEL traction control."

Mittlerweile ist genug Wasser die Isar hinuntergelaufen, in den Jahren seit der Erstvorstellung konnte man als Hersteller also entweder selber mit modischem Hightech punkten, wie das Aprilias RSV4 [3]und Ducatis 1199 Panigale [4] tun, oder man konnte versuchen, BMWs Erfolg nachzubauen, wie es Kawasaki mit der aktuellen ZX-10 R versucht hat. Die neue Zehner kam von Anfang an mit ABS, hat aber bis heute kein Schräglagenschätzeisen, was ein bisschen ein Problem ist, denn der Sinn der von Kawa verbauten Traktionskontrolle hat sich mir nie erschlossen. In meiner Not rief ich bei meinem Test der 10 R den Entwickler der RSV4-Traktionskontrolle an. Ob er das Kawa-System kenne, fragte ich. Ja. Warum hilft es mir als Gelegenheits-Rennstreckenfahrer so gar nicht? Antwort: "Vell, eet eez not a REEL traction control."

Ob er das als Diss der Konkurrenz gesagt hat oder aus echter Überzeugung ist ja egal, er hat aus Kundensicht recht: Der Stand der Technik ist TK mit Schräglagenschätzeisen. Wenn das Aprilia, BMW und Ducati können, wieso kann ich das als Kawa-Kunde nicht haben?

Als Suzuki-Kunde kriegt man gar nichts außer pures Hammelfleisch. Das muss nicht schlecht sein, aber dann muss da ein realistischer Preis stehen. Und der, winke-winke mit dem Zaunpfahl, lautet nicht 14.790 Euro plus Nebenkosten. Ja, das hat in Hamamatsu einen Haufen Geld gekostet, über die Jahre immer ein PS mehr und dann erst ein Kilo weniger, dann zwei mehr am Motorrad zu haben. Aber das interessiert am Markt halt nicht.

Wenn Suzuki sagen wir: den Stand der 2006er-Maschine (minus Rahmenbrüche) für sagen wir: 9500 (plus Nebenkosten) als Basis mit billigem, aber erstmal funktionierenden Fahrwerk anbieten würde, dann gäbs auch wieder mehr Hammelfleisch auf unseren Grillanlagen. Der Vertrieb sagt jetzt wieder "das geht nicht". Aber die Händler müssen selbst die aktuelle Version heute für unter 12.000 Euro inklusive Nebenkosten verramschen, denn das ist offenbar ihr Marktwert. Wenn jetzt ein Händler noch was dran verdienen soll (denn, winke-winke, ohne Händler verkauft ihr nicht viel), dann muss ein ab Werk niedrigpreisigeres Angebot her.

Listen verkaufen den Kaffee

Stattdessen wollen alle in den Hochpreis-Markt, weil die Margen pro Einheit fetter sind. Dazu reicht es aber nicht, von der glorreichen Vergangenheit zu schwadronieren, sondern zum Verkauf modischer Premium-Sachen gehören die modischen Premium-Features. Alles, was man auf eine Liste schreiben kann, ist gut. Einen Kaffee mit Latten, Crack und Fixerbesteck finde ich attraktiv, weil er eine längere Liste an Zutaten hat, die ich nur vage verstehe. "Kaffee" ohne Liste kann ich mir daheim selber in der Graef brühen. Es hat mich deshalb seit meinen Anfängen in der Motorrad-Szene fasziniert, wieso kein anderer Hersteller anfängt, BMWs Konfigurator nebst Aufpreisliste zu kopieren. Ich meine: Da wird doch sonst alles kopiert. Natürlich meine ich nicht BMWs unbeschreiblich abscheuliches Java-Frontend [5], sondern die Möglichkeit, integrale Fahrzeugteile optional zu bestellen oder es eben zu lassen.

"Wieso kann ich bei euch nicht mein Motorrad mit Traktionskontrolle, Heizgriffen und Crack-Einspritzung bestellen?", fragte ich zum Beispiel Triumph, als ich sie im Werk Hinckley besuchte. "Ihr schaut doch sonst so viel nach München." Die naheliegende Antwort: Es ist gar nicht so einfach, sowas in eine Motorradproduktion zu integrieren. Stimmt bestimmt. Aber es war auch gar nicht so einfach, Motorradmotoren auf Euro 3 zu bringen, und das hat selbst Enfield [6] mit Vergasern irgendwie geschafft. Was ist die Aussage? "Ja, da kann man einen Arsch voll Geld verdienen, aber das ist uns zu schwierig."?

Das ist jetzt ein bisschen unfair gegenüber Triumph, denn sie probieren es wenigstens. Es gibt eine Art Konfigurator, auch wenn es noch keine BMW-vergleichbare Auswahl gibt. Bei den anderen Herstellern: Fehlanzeige. Entweder ein System ist dran, wenn du kaufst, oder man kann es im Karton zum Händler schicken, oder es gibt das System eben einfach nicht. Den Zenit der Absurdität stellte vor einigen Jahren die Kawasaki 1400 GTR dar: Ein erstklassiges Tourenmotorrad, für das es keine Heizgriffe gab, nicht für Geld, nicht für gute Worte. Verzweifelt-verschämt musste Kawa Deutschland Heizhandschuhe als Zubehör ausschreiben. Nein, ich habe auch noch nie eine Erstserien-GTR in freier Wildbahn gesehen. Lange haben wir gewartet, dass aus Japan die nächste Generation der Superbikes kommt, jetzt kommt sie wieder aus Bayern. Die überarbeitete S 1000 RR legt sich so prominent in die Auslage, dass die HP4 [7] nur noch abverkauft wird.

Featuritis, die profitable Krankheit

Features verkaufen Hauptprodukte, Hauptprodukt-Kunden kaufen Features. Denn ein Feature ist das auf einen Listenpunkt kondensierte Versprechen, etwas tun zu können. Das Gas eines 200-PS-Motors im Eck ohne Angst grobmotorisch voll aufreißen zum Beispiel. Hersteller können hier auch auf einen enormen Erfahrungsschatz nicht nur von BMW Motorrad, sondern auch vieler Autohersteller zurückgreifen. Da liegt eine Geldader. Aber keiner will sie schürfen. Außer BMW. Es gibt für die S 1000 RR jetzt neu: einen Schaltautomaten mit automatischem Blipper, damit man auch runterschalten kann, einen racing-mäßig brabbelnden Pitlane-Limiter, am Cockpit einstellbare, frei konfigurierbare Settings für alles, Launch Control, Tempomat, Heizgriffe, ein automagisch adaptives Fahrwerk, Data Recording auf USB-Sticks und für richtige Rennfahrer für vergleichsweise faires Geld Racing-Software für die Serien-ECU und eine Einstellsoftware, die das Fahrwerk kurvengenau programmiert. Dazu noch einmal scharfe Soße und dann einpacken, bitte. Ist gekauft.

"Ich weiß wirklich nicht, was man an dem Motorrad jetzt noch besser machen sollte", sagte auch diesmal wieder mehr als eine Person nach den Testfahrten auf der 2015er S 1000 RR – dasselbe Geschwätz halt, das bei jeder neuen Modellgeneration bei jedem Hersteller abgesondert wird. Ich weiß genau, was in der nächsten Generation besser sein wird: Der Kat muss schneller warm sein wegen Euro 4, es wird weiter gefeilt werden am Grundmotorrad, und es wird neue Features für die Liste geben. Anders als den Testfahrern mangelte es dem RR-Projektleiter überhaupt nicht an Kreativität: "Ich hab da schon ein paar Ideen." Vielleicht kann er den Japanern welche davon verkaufen.


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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Tage-der-Tentakel-2057867.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Schief-liegen-1972610.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Playstation-1837753.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Alles-anders-Die-Technik-der-Ducati-1199-Panigale-1439680.html
[5] http://www.bmw-motorrad.de/de/de/index.html?content=http%3A%2F%2Fwww.bmw-motorrad.de%2Fde%2Fde%2Fbikes%2Furban%2Fr1200r_my2011%2Fr1200r_ecom_vco.html
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/Der-Kommunikator-2179647.html
[7] https://www.heise.de/autos/artikel/Die-BMW-HP4-mit-Dynamic-Damping-Control-1709129.html