Das Beste an den Neunzigern war die Honda VFR 750 F

Es war nicht alles schlecht damals

In den Neunzigern hatten bei den Motorrädern die Fahrwerke und Bremsen endlich zur Motorleistung komplett aufgeschlossen. Die Ära der Sporttourer begann. Wir feiern ein 90s-Revival mit der Honda VFR 800 F

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Von
  • Clemens Gleich
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"Es war ja nicht alles schlecht damals", das war der Schlachruf alter Reaktionäre, als ich noch jung war. Heute bin ich selber ein alter Reaktionär, und ich möchte den Schlachtruf auf die Neunziger anwenden, in denen fast alles Kraftfahrtechnische schlecht war, aber eben letztlich doch nicht alles. Es gab gute Dinge. Bei den Autos fällt mir jetzt so auf Anhieb nichts Gutes ein, aber bei den Motorrädern. Die Ikone alles Guten der Neunziger dürfte die Honda VFR 750 F gewesen sein.

Die Neunziger waren gezeichnet davon, dass im Einspurbereich die Fahrwerke endlich zu den Motorleistungen aufholten. Vorher gab es Dinge wie die Kawasaki Mach 3: ein 500er-Dreizylinder-Zweitakter in einem Rahmen von der Festigkeit und im typischen Durchmesser einer Lakritzstange. Das Teil lief an guten Tagen 200 km/h, wenn man das Vorderrad am Boden halten konnte, was deshalb schwierig war, weil ein Teillastbereich von Kawa damals nicht vorgesehen war, zumindest keiner, in dem man irgendwas am Drehmoment unter Kontrolle bekam. Also Vollgas. Und dann brauchte es Platz, denn zur Verzögerung spendierte Kawa einen Satz feuchter Trommelbremsen. Wer sich das heute sinnvoll vorstellen will, muss den 200+-PS-Motor der BMW S 1000 RR in den Rahmen eines Downhill-Mountainbikes schrauben, die Bremsbeläge ölen und die Einspritzung eines Großrasenmähers an die Ansaugrohre spaxen.

Die Aufholjagd

Ein Einsehen dauerte etwas länger, aber in den Neunzigern war es dann konsequent soweit: Man konnte sagen, dass die Dimensionen von Rahmen, Bremsen und Feder-Dämpfer-Elementen in einem sinnvollen Bezug zur Motorisierung standen. Es begann eine befreite Ära des Motorrad-Breitensports. Junge Leute finden sportliche Vollschalentiere toll, und damals waren wir alle noch jünger. Wer nie emotional vor der Honda RC30 gekniet hat, der hat sie entweder nicht gesehen oder nicht verstanden. Kaufen konnte sie eh nur eine Handvoll Auserwählter.

Aus dieser Zeit stammt der klassische Sporttourer. Sportmaschine war gewünscht, oftmals jedoch nur zusätzlich zu Bedürfnissen wie die Liegestützhaltung für lange Tagesetappen von über 500 Kilometern Landstraße verlassen zu können, ein paar windfest integrierte Koffer montieren zu können und vielleicht sogar die Allerwerteste auf einem Beifahrersitz mitnehmen zu können, statt ihr das Wort "Sitzbrötchen" erläutern zu müssen. Die Hersteller lieferten Maschinen, die nach Deutschland vielleicht besser passten als in jedes andere Land, denn sie punkteten alle mit Autobahn-Aerodynamik plus passend dickbackigen Motoren.