Klartext: Ver-Messen

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Zum Web Summit gehen aber nur Fachleute, die sich gegenseitig mit Ideen befruchten wollen. Da geht es zu wie bei der Ü40-Party nach ein Uhr mit Recruitern, Codern, Startups, jeder farbig auf einen Blick erkennbar markiert. Das kann man nicht vergleichen mit einer normalen Messe, die ist nämlich eher wie ein Restaurant. Befruchtungen passieren eher vorher, eher nachher, nur ausnahmsweise währenddessen. Gehen wir also davon aus, dass die aktuellen Entwicklungen zunächst so weitergehen. Wir können die Hersteller nicht ändern. Wir können uns aber ändern, vor allem unseren Umgang mit Informationen.

Historie eines Junkies

Ich persönlich konnte schon als Kind nicht mit Informationen umgehen, obwohl sie damals noch viel weniger aufdringlich in Form von Worten auf Papier oder gar Mikrofiche (die Älteren erinnern sich, die Jüngeren rechtsklicken für ein Google-Query) vorlag. Ich stopfte alles in mich hinein, ich las jedes Wort jeder Seite jedes Magazins meines Vaters, war top informiert in Sachen Gartengestaltung und weibliche Anatomie. Ich las die Berge von Büchern, aus denen unsere Wände bestanden. Ich kaufte neue Bücher. Als ich kein Geld mehr für meine Droge hatte, ging ich in die Bibliothek, die mir versprach, sie könne mir „ALLES beschaffen“. Einem kurzen Moment der Seligkeit folgte Ernüchterung: Sie konnte mir alles beschaffen, aber ich konnte unmöglich alles konsumieren. Sowohl die verfügbare Lebenszeit als auch meine geistige Gesundheit reichten nicht aus.

In dieser Zeit entwickelte ich meine mentale Superkraft: Ignoranz. Ich entschied, was ich gut fand und las in der Folge nur noch diese Themen. Bis heute weiß ich nie, wann wer warum Fußball spielt oder besoffen hinter einer Pappnase schunkelt. Feindseligkeit liegt mir dabei fern. Ich hasse Fußball oder Fasching nicht. Es interessiert mich nur nicht. Ich habe die Finanzkrise 2008 komplett ausgelassen, wusste nur davon, weil alle sagten „Krise, Krise“.

Als ich selber zu Messen musste, drückte ich mich, so gut es eben ging. Ich war zwei Mal auf der Cebit, weil ich dafür bezahlt wurde. Ich war ein Mal auf der Intermot, aus demselben Grund. Trotz Bezahlung reichte ich in der Folge zu Messezeiten Urlaub ein, der wider Erwarten klappte – vielleicht, weil niemand sonst das tat. Statt Cebit hing ich bourgeois mit gespreiztem Finger in Straßencafés ab, immer mit Lesestoff. Statt Intermot-Hallenluft ließ ich mir Alpen-Höhenluft im Sattel der Aprilia Shiver ums Gesicht wehen.

Wenn einer keine Reise tut …

Dabei stellte ich fest, dass der Nichtmessegänger mehr mitkriegt als der Messegänger. Vor Ort hetzt du verschwitzt von Termin zu Termin, nur um schließlich festzustellen, dass daheimgebliebene Redakteure dein Thema längst gemütlich mit trinkbarem Kaffee in Artikel umsetzen konnten. Manche Dinge wissen wir zwei Wochen vorher mit aber-Pscht!-Erklärung, damit wir mit dem üblichen Vorlauf ein Messepapierheft bauen können. Ich habe den Fehler gemacht, dieses Jahr zur CES zu gehen, weil ich die Messe in der Kindheit bei der Lektüre von Videospiel-Heften idealisierte. War genauso unüberraschend wie die Intermot.

Wenn also morgen alle Messen dicht machen, müssen weder Redakteure noch Kaufinteressenten traurig sein. Wir könnten uns als Autofahrer, als Technik-Enthusiasten, als Kradisten auf die Dinge konzentrieren, die uns bewegen sollen, statt auf die Dinge, die das wider unseren Willen tun. Weniger Trump in der Timeline, mehr Triumph-Motorräder. Weniger AfD. Mehr Audi. Weniger gegenseitiges Anschreien wegen Immigration. Mehr Autokultur von Anderswo. Das Geheimnis stressfreieren Lebens liegt in der Einflusskontrolle. Die Technik lenkt uns nicht nur ab, sie kann uns auch helfen beim Ignorieren, mit automatischen Filtern. Das wird gern als Problem beschrieben, aber glauben Sie mir: Wichtige Nachrichten erreichen Sie immer. Was The Donald wieder gesagt hat, gehört nicht dazu. Bleibt nur das Probesitzen als Messemerkmal. Aber es geht das Gerücht, dass der örtliche Händler Sie auch sitzen lässt, ja: fahren gar. (cgl)