Spitzenumbau

Kommentar: Was bleibt von Volkswagenchef Müller?

Volkswagen-Konzernchef Matthias Müller muss nach nur zweieinhalb Jahren an der Spitze gehen. Was bleibt von dieser Zeit? Ein vielschichtiges Bild, bei dem man zwischen dem öffentlichen und internen fein unterscheiden sollte

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Matthias Müller 5 Bilder

(Bild: Volkswagen)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Martin Franz
Inhaltsverzeichnis

Eine steile Karriere ruft in der Regel zumindest einige Neider auf den Plan. Als das Ende von Martin Winterkorn als Konzernchef kurz nach dem von Volkswagen verursachten Abgas-Skandal unabwendbar war, hatte man jedoch fast den Eindruck, es ginge ein bisschen zu wie beim Erbe der „Wetten-dass“-Moderation. Stets war eigentlich klar, dass der Nachfolger nur ein Mann des Übergangs sein konnte. Die Probleme, die auf den Neuen einströmten, schienen ebenso übergroß zu sein wie das Erbe, welches er antreten sollte. Die Wahl fiel schließlich auf Matthias Müller. Nach zweieinhalb Jahren an der Spitze ist seine Zeit dort nun vorbei. Was bleibt von ihm in Erinnerung?

Fehlende Sensibilität

Der Abschied scheint seit längerem vorbereitet gewesen zu sein, ohne dass der Chef selbst eingeweiht worden war. Dafür spricht die glänzende Laune von Müller in den vergangenen Wochen – und Müller ist kein guter Schauspieler, was ihn letztlich seine Stellung gekostet haben dürfte. Mit viel Fingerspitzengefühl und Sensibilität konnte er nicht aufwarten. Wenn er sich ärgert, macht er dem auch Luft, was viele, gerade in der besonderen Situation im Abgas-Skandal, als undiplomatisch empfunden haben dürften. So trug es keineswegs zu Beruhigung der Lage bei, Entschädigungen für europäische Kunden damit abzubügeln, dass ihnen „ja kein Nachteil entstehe – weder beim Verbrauch noch bei den Fahreigenschaften“. Auch die Feststellung, Volkswagen „habe ja eigentlich gar nicht betrogen“, zeugt davon, dass diesem klugen Mann mitunter das Gefühl dafür fehlte, was man wann besser nicht sagt.

Gehaltsfrage

Zuletzt hatte er nicht nur extern, sondern auch intern für Verstimmung gesorgt. Er kritisierte heftig die politische Forderung, Managergehälter nach oben zu begrenzen. „In Deutschland besteht der Drang, alles politisch regulieren zu wollen. Aber wo soll das enden? Wir hatten so etwas bereits einmal in Form der DDR“, so Müller. Man kann zu einer Begrenzung von Gehältern unterschiedlicher Auffassung sein, doch wenn jemand mit den Bezügen von Müller sich öffentlich in dieser Richtung äußert, sollte er sich der Reaktionen vorab bewusst sein. Niedersachsens Ministerpräsident Weil, der auch im Aufsichtsrat von Volkswagen sitzt, wurde in einer Reaktion darauf für seine Verhältnisse öffentlich ungewöhnlich deutlich. Hinter den Kulissen dürfte er zu den Kräften gehört haben, die eine Absetzung von Müller befürwortet haben.

Dabei gehört zu einem vollständigen Bild von Müllers Zeit als Volkswagen-Chef aber auch die andere Seite. Müller hat den Posten in einer unglaublich schwierigen Situation übernommen. Damals schien nahezu nichts mehr ausgeschlossen, einige sahen gar schon das Ende von Volkswagen gekommen. In der Nachsicht wirkt das natürlich immer anders als im zeitlichen Kontext, zumal sich der Konzern sicher sein konnte, dass die Politik ihm nicht von der Seite rücken würde. Volkswagen war einfach zu wichtig, um es untergehen zu lassen.

Volkswagen steht glänzend da

In Foren schlägt dem Konzern häufig ein sehr rauer Wind entgegen, doch in den Verkaufszahlen macht sich das bislang kaum bemerkbar. Global betrachtet war Volkswagen im vergangenen Jahr der Konzern, der die meisten Autos absetzen konnte. Müller hat den schweren Tanker Volkswagen zudem innerhalb kürzester Zeit in einem wichtigen Bereich umgesteuert. Unter seinem Vorgänger Winterkorn hatte E-Mobilität keine große Priorität, was Müller sehr schnell änderte. In industriellen Maßstäben gemessen baute Müller in Rekordzeit Strukturen auf, die die Entwicklung von Elektromobilität priorisierte. Die Weichen sind gestellt, VW wird in diesen Bereich in den kommenden Jahren groß einsteigen. Müller wird die zu erwartenden Erfolge nicht mehr ernten, doch er hat sie mit angelegt.

Wenn man Müller in der Abgas-Affäre etwas vorwerfen mag, dann ist es ein in diesem Bereich sehr zögerliches Vorgehen. Zu seiner Ehrenrettung sei gesagt, dass er natürlich weniger der öffentlichen Meinung als vielmehr dem Konzernergebnis verpflichtet ist. Doch was für ein Beben hätte es wohl ausgelöst, wenn er Ende 2015/Anfang 2016 verkündet hätte, dass alle Motoren im Konzern so schnell wie möglich auf Euro 6d oder zumindest Euro 6d-TEMP umgestellt werden? Es wäre fraglos ein teures Zeichen gewesen, aber auch ein sehr nachhaltiges. „Wir haben verstanden, was für einen Mist wir da gemacht haben.“

Die Realität des Jahres 2018: Fast alle Benziner werden auch bei Volkswagen momentan ohne Partikelfilter verkauft, bei den Dieselmotoren gibt es noch immer diverse Modelle, die nur die Euro 6b erfüllen. Wie die Konkurrenz wartet auch Volkswagen bis zum letztmöglichen Zeitpunkt, um die gesetzlichen Auflagen zu erfüllen. Viele Kunden haben die verbindliche Euro-6c-Einführung im September 2018 nicht im Hinterkopf, was ihnen niemand verübeln sollte. Doch als Auslöser und Verursacher wäre Volkswagen in der Position gewesen, diesbezüglich in Vorleistung zu gehen und nicht nur danach zu schauen, ob es sich auszahlt.

Vielschichtiges Bild

Auch das wird Müllers Bild in der Öffentlichkeit möglicherweise nachhaltig prägen. Vorläufig, also ohne größere zeitliche Distanz, bleibt jedoch der Eindruck eines Mannes, der vielfach mehr Fingerspitzengefühl hätte haben müssen – was dem Konzern hinsichtlich der Absatzzahlen kaum geschadet hat. Intern hat er wichtige Weichenstellungen vorgenommen. Damit sind die Fußstapfen, die er hinterlässt, eigentlich nicht kleiner als die seines Vorgängers. Sein Nachfolger Herbert Diess hat den Ruf eines knallharten Sanierers, der keinem Konflikt aus dem Weg geht. Extern dürfte er sensibler auftreten, intern den von Müller begonnenen Umbau des Konzerns beherzt vorantreiben. Matthias Müller dagegen muss zwar den Machtverlust verkraften, doch finanziell wird er das überstehen. Wie die FAZ (Ausgabe vom 13. April 2018) berichtet, kann er mit einer Rente von rund 2900 Euro rechnen – pro Tag.