Bringt der neue Mobilfunkstandard die Fahrzeug-Vernetzung in Schwung?

LTE-Mobilfunk als Basis für Car-to-Car-Kommunikation

Der schnelle UMTS-Nachfolger LTE soll ganz Deutsch­land mit Breitband-Internet versorgen. Im Projekt CoCarX untersucht man, ob die neue Mobilfunk­technik auch für die Vernetzung von Autos taugt

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  • ssu
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Düsseldorf, 27. Mai 2011 – Ampeln, die ihre Grünphasen dem tatsächlichen Verkehrsaufkommen anpassen oder Warnungen vor Gefahren, bevor sie der Fahrer entdecken kann: Die Vernetzung von Fahrzeugen verspricht einigen Nutzen. Forscher entwickeln Szenarien unter Oberbegriffen wie Car-2-Car- oder Car-to-X-Kommunikation. Doch noch ist nicht abzusehen, wann die kooperative Vernetzung von Fahrzeugen und/oder Verkehrsinfrastruktur den Sprung aus einem der zahlreichen Pilotprojekte in den Alltag der Autofahrer schafft.

Alter Bekannter: das Henne-Ei-Problem

Selbst wenn ab morgen vorgeschrieben würde, dass neue Autos mit standardisierter Car-X-Funktechnik ausgerüstet sein müssen, würde es Jahre in Anspruch nehmen, bis die Technik den Fahrzeugbestand von derzeit rund 45 Millionen Pkw in Deutschland durchdrungen hätte. Auch bei externer Infrastruktur wie intelligenten Ampeln, welche die Autofahrer zu flüssigem und effizientem Fahren erziehen, oder Leitpfosten die anfangen zu blinken, wenn sich hinter einer schwer einsehbaren Kurve ein Stau gebildet hat, stellt sich die Frage, wer deren Aufbau finanzieren soll. Schließlich ist in vielen Kassen das Geld so knapp, dass selbst die winterlichen Schäden am Asphalt nur notdürftig geflickt werden. Und wenn es um Subventionen geht, stehen Car-X-Projekte im Wettbewerb zur Elektromobilität, von der sich die Bundesregierung so einiges – genauer gesagt eine Million E-Autos bis 2020 – erhofft.

Vorhandene Infrastruktur mitnutzen

Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, beim vernetzten Fahren nicht sofort die große Lösung anzustreben, in denen vernetzte Fahrzeuge einander vor Kollisionsgefahren und unerwarteten Verkehrshindernissen warnen. So lange eben nicht alle Fahrzeuge vernetzt sind, können das ein aufmerksamer Fahrer und bordeigene Assistenten wie ein Totwinkelwarner besser. Vielmehr könnten die ohnehin vorhandenen Mobilfunknetze im Zusammenspiel mit Smartphones und den beliebten Apps dem Car-X-Markt schrittweise den Boden bereiten: Wer es satt hat, die minutenlange und teils Bundesländer übergreifende Stau-Litanei im Radio zu verfolgen, freut sich über eine App, die die für die eigene Route relevanten Durchsagen herausfiltert, in einem alten Käfer ebenso wie in einem High-Tech-Flitzer. Zugegeben, dies sieht noch sehr nach einem reinem Push-Dienst aus, doch erlauben es die im Mobilfunknetz verfügbaren Daten über Aufenthaltsort und Bewegung des eigenen und anderer Fahrzeuge, Staumeldungen schnell zu aktualisieren und -Prognosen zu erstellen, Empfehlungen für einen Tankstopp zu geben etc.

Wird LTE zum Schrittmacher?

Vorhandene und kommende Mobilfunktechnik auf ihre Eignung für Car-to-Car-Anwendungen zu untersuchen, war ein Schwerpunkt des Forschungsprojekts "Cooperative Cars Extended" (CoCarX), das Ende Mai 2011 abgeschlossen wird. Eine wesentliche Rolle spielt dabei der LTE-Mobilfunkstandard (Long Term Evolution), der derzeit in Deutschland eingeführt wird. Mit theoretisch möglichen Download-Raten von bis zu 300 MBit/s stellt LTE nicht nur vorhandene Funktechniken wie UMTS oder HSDPA, sondern auch manchen Festnetzanschluss in den Schatten. Daher hat die Bundesnetzagentur den Mobilfunkern auch auferlegt, LTE zunächst dort aufzubauen, wo es derzeit noch keinen Zugang zum Breitband-Internet gibt. Diese Vorgabe spielt auch dem CoCarX-Konzept in die Hände, da ein LTE-Ausbau abseits der Ballungszentren zahlreiche Autobahnen und Landstraßen gleich einbezieht.

Geringe Latenzen

In Düsseldorf, wo der Mobilfunkanbieter Vodafone ein LTE-Versuchsnetz mit Hardware von Ericsson betreibt, sollten zwei Ford S-Max die Eignung und das Potenzial von LTE demonstrieren. In den Vans befanden sich jeweils zwei LTE-Empfänger: Per Laptop konnten die Insassen einen hochauflösenden Videostream verfolgen, während auf einem Terminal für den Fahrer Verkehrsmeldungen einliefen. Sobald das vorausfahrende Auto bremste, erhielt der dahinter folgende Fahrer eine Warnmeldung aufs Display. Diese unspektakulär wirkende Demonstration sollte zwei wesentliche Vorteile von LTE gegenüber früheren Mobilfunk-Generationen vor Augen führen: Dank der aufgebohrten Bandbreite können mehr Teilnehmer innerhalb derselben Funkzelle gleichzeitig bandbreitenhungrige Dienste nutzen. So soll auch auf stark befahrenen Straßen eine dauerhafte Vernetzung von Fahrzeugen gewährleistet werden. Hinzu kommt, dass die LTE-Entwickler Wert auf eine Reduzierung der Signallaufzeiten ("Latenzen") gelegt haben. Diese liegen laut den CoCarX-Forschern in der Test-Funkzelle unterhalb von 100 Millisekunden. Zudem sind im Vergleich zu UMTS und HSPA die so genannten Quality-of-Service-Funktionen (QoS) verbessert worden. Sie dienen zum Beispiel dazu, Gefahrenhinweise mit Vorrang vor Videostreams oder Telefonaten zu übertragen.

Koexistenz mit WLAN-Nahfunk

Wie der Vorgänger UMTS muss LTE als Mobilfunksystem in Relation zu sensorbasierten Fahrerassistenzsystemen und WLAN betrachtet werden, Letzteres wird im Car-to-X-Bereich vor allem in der Variante 802.11p eingesetzt, wobei ein Serienbetrieb bisher an hohen Kosten und mangelnden Standards scheitert. Weil LTE keine zusätzliche verkehrsbezogene Infrastruktur benötigt, mag man es als interessante Alternative begreifen, stößt dabei allerdings an prinzipielle Grenzen. Schließlich schützt auch der beste Mobilfunkstandard nicht vor Netzausfällen oder Versorgungslücken. Dezidierte WLAN-Systeme können allenfalls lokal ausfallen und erlauben zudem eine gemischte Car-to-Car- und Car-to-Infrastructure-Kommunikation, deren Topologie im Prinzip frei festgelegt werden kann – ein Vorteil an stark belasteten Verkehrsknotenpunkten, der freilich mit zusätzlichen Kosten verbunden ist. Auch die am CoCarX-Projekt Beteiligten billigen der Nahbereichs-Funktechnik pWLAN nach wie vor eine "wichtige Rolle" zu. Unser Eindruck: pWLAN kann bei ausreichender Verbreitung wirksamer vor Kollisionen schützen, hingegen ist ein Mobilfunknetz für Stau-Vorhersagen prädestiniert, da es problemlos Daten über Anzahl, Fahrtrichtung und Geschwindigkeit von Fahrzeugen liefert.

Wer bietet an und wer bezahlt?

Doch nicht nur in der Technik treten Unterschiede zu Tage: pWLAN arbeitet im unlizensierten Frequenzbereich um 5.9 Ghz, das heißt abgesehen von den Hardware-Kosten kommunizieren die Autos umsonst miteinander. Hingegen haben die Mobilfunkanbieter für die LTE-Lizenzen insgesamt 4,4 Milliarden Euro in die Staatskasse gezahlt, und diese Investitionen sollen sich rentieren. Doch auch hier haben die Entwickler vorgesorgt, LTE verspricht gegenüber älteren Standards auch verbesserte Möglichkeiten, Dienste der unterschiedlichsten Art abzurechnen. Man darf gespannt sein, welche Geschäftsmodelle auf die Autofahrer zukommen werden: Wie wäre es für den Anfang mit maßgeschneiderten Verkehrshinweisen, die mit dezenten Hinweisen auf die nächstgelegene Fast-Food-Kette garniert sind?