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Barcelona, 17. Juni 2014 – Die Idee eines elektrischen Kleintransporters ist nicht gerade sonderlich innovativ, hat aber nichts von ihrem Charme eingebüßt. Die Reichweiten sollten für den urbanen Betrieb locker ausreichen, dazu kommen steuerliche Vorteile und geringe Wartungskosten. Mit diesen Vorzügen will Nissan ab Juli Kunden den neuen e-NV200 schmackhaft machen. Wir konnten ihn schon fahren.

Profis und Privatleute

Nissan bezeichnet den e-NV200 ungeniert als das Beste aus zwei Welten. Der Hersteller nahm den 80 kW starken Elektroantrieb des Leaf und verpflanzte ihn in den Kleintransporter NV200. Das Ergebnis ist ein Auto, das Nissan zu 70 Prozent an Geschäftskunden verkaufen will. Handwerker und Lieferanten werden das Auto vermutlich meist als zweisitzigen Kastenwagen bestellen, die Taxis, Shuttles und Privatautos sollen als verglaste „Kombi“-Version oder als ebenfalls verglaste, aber noch luxuriösere Variante Evalia abgesetzt werden.

Der normale NV200 hat etwa die Abmessungen des VW Caddy. Die Elektroversion ist mit 4,56 Meter gleich 16 Zentimeter länger. Für die Platzverhältnisse im Innenraum bringt das nichts, denn allein der Vorderwagen wurde verlängert. Denn dort musste das in der Front installierte Ladegerät hineinpassen. Und das rund 200 Kilogramm höhere Gewicht erfordert eine längere Knautschzone.

Der rund 1,6 Tonnen schwere Evalia In der Stadt ist man mit den 80 kW gut motorisiert, was vor allem am ordentlichen Drehmoment von 254 Nm liegt – gefühlt ist der Vorwärtsdrang noch stärker, als die Zahl es sagt. Das gilt allerdings nur, solange die Eco-Taste nicht gedrückt ist, sonst wird das Auto spürbar träger. Außerdem gibt es am Getriebe-Wahlhebel – er fällt anders als beim Leaf ganz konventionell aus – neben der D-Stellung noch einen B-Modus für Break oder Bremsen. Letzterer ist besser für die Stadt oder Bergabfahrten geeignet. Denn hiermit wird eine kräftigere Rekuperation gewählt. Wir hätten uns aber eine noch stärkere Bremsenergie-Rückgewinnung gewünscht – so stark wie beim BMW i3. Bei dem kommt man bei Bedarf fast ganz ohne Bremspedal aus.

So schön der Vorwärtsdrang des e-NV200 bei Stadttempo ist: Jenseits von 50 km/h lässt der Elan bald nach. In Zahlen: Der Sprint auf Tempo 100 dauert nur 14 Sekunden und damit eine halbe Sekunde weniger als bei der 1,5-Liter-Dieselversion, die Höchstgeschwindigkeit aber beträgt nur 123 km/h. Verantwortlich für diese Charakteristik ist die gegenüber dem Leaf verkürzte Antriebsübersetzung: Sie sorgt für einen schnelleren Ampelsprint, aber auch eine geringere Höchstgeschwindigkeit. Klar, ein Elektroauto ist wegen der geringen Reichweite primär für die Stadt gemacht. Aber wer zum Beispiel öfter die Autobahnstrecke von München zum weit außerhalb gelegenen Flughafen fährt, wird sich gedulden müssen.

Ruppiges Fahrwerk

Hinzu kommt, dass einem der e-NV200 auch dann Stöße verabreicht, wenn die Fahrbahndecke eigentlich gut aussieht. Vorne basiert das Fahrwerk zwar dem Leaf, hinten aber hat der e-NV200 die Starrachse mit Blattfedern geerbt, die auch in den konventionell angetriebenen Versionen arbeitet. Vorteil: Diese robuste Lösung bietet eine etwas höhere Zuladung von 579 Kilogramm im Fall des Evalia oder 770 Kilogramm beim Kastenwagen. In Kurven profitiert der Evalia von der schweren Batterie: Obwohl das Auto höher als breit ist, wankt es in der Kurve durch seinen tiefen Schwerpunkt viel weniger als andere Autos, die über 1,80 Meter hoch sind.

Der Kofferraum ist gegenüber dem normalen NV200 unverändert. Das heißt, er fasst in fünfsitziger Konfiguration bei dachhoher Beladung 2300 Liter, maximal passen 3100 Liter hinein. Der letzte Wert gilt für den Evalia bei dachhoher Beladung und umgeklappten Fondsitzen. Dabei werden zuerst die Lehnen nach vorne gefaltet, und dann die gesamten Möbel in die Senkrechte gekippt - es handelt sich also um so genannte Tumble- oder Wickel-Sitze. Der Laderaum dahinter hat einen ebenen Boden. Die Beladung wird durch die extrem niedrige Ladekante vereinfacht. Eingeladen wird beim Evalia serienmäßig über eine Heckklappe, nicht über Hecktüren. In den Fond steigt man über zwei serienmäßige Schiebetüren ein. Das Cockpit besteht größtenteils aus Hartplastik, was immerhin eine gewisse Pflegeleichtigkeit verspricht und gut zu dem Auto passt. In der Mitte gibt es einen Einsatz auch schwarz glänzendem Kunststoff, der in dieser Umgebung etwas fremd wirkt.

Der Normverbrauch liegt bei 16,5 Kilowattstunden (kWh) pro 100 Kilometer. Bei unseren beiden Ausfahrten brauchten wir laut Bordcomputer 17,9 beziehungsweise 17,6 kWh. Die elektrische Energie kommt aus einem Lithium-Ionen-Akku am Unterboden, der 24 kWh speichern kann. Die Reichweite gibt Nissan beim Evalia mit bis zu 167 Kilometern an. Das soll reichen, da nach den Nissaneigenen Berechnungen 35 Prozent der kommerziell eingesetzten Transporter täglich nicht mehr als 120 Kilometer fahren.

Für das Aufladen gibt es drei Optionen. An der normalen Haushaltssteckdose (einphasiger Wechselstrom, 3,3 Kilowatt) dauert es rund zehn Stunden. An einer 22-Kilowatt-Ladestation verkürzt sich das Laden auf vier Stunden. Am schnellsten geht es am Gleichstrom-Schnelllader nach dem CHAdeMO-Standard: Hier wird in 30 Minuten eine 80-Prozent-Ladung erreicht. Vom letzteren Typ gibt es laut Nissan derzeit 60 Stationen in Deutschland. Um die Batterielebensdauer nicht zu verringern, wird am CHAdeMO-Lader nicht über 80 Prozent geladen. Eine Besonderheit des e-NV200 ist eine automatisch anspringende Kühlfunktion beim Quick Charging: Die Batterie wird mit Luft aus der Klimaanlage gekühlt. Denn Nissan geht davon aus, dass die vielen Geschäftskunden die Schnellladefunktion häufiger in Anspruch nehmen als die private Kundschaft beim Leaf.

Bidirektionales Laden

Als weitere Besonderheit preist Nissan das bidirektionale Laden an, auf das der e-NV200 vorbereitet sei. Die Grundidee ist, dass man den Strom der Fahrzeugbatterie nutzen kann, um Elektrogeräte zu betreiben. So könnte der Handwerker seine Bohrmaschine damit füttern, der Privatnutzer beim Picknick sein Kühlgerät. Doch es gibt gleich mehrere Haken: Das Steuergerät ist nicht gerade klein, es kommt erst im Herbst 2014 auf den Markt und wird deutlich über 5000 Euro kosten.

Enthusiasmus gefragt

Dass Elektroautos sich für Privatleute nur in Extremfällen wirklich rentieren, dürfte klar sein – eine Portion Enthusiasmus für diesen Antrieb, gepaart mit dem entsprechenden Budget, ist also Voraussetzung. Doch zuerst die Zahlen. Als fünfsitziger Kombi ist der e-NV200 ab 34.458 Euro zu haben, als noblerer Evalia Tekna ab 43.752 Euro. Zum Vergleich: Ein Evalia Tekna 1.5 dCi mit 110 PS kostet 23.280 Euro, ist also rund 20.000 Euro günstiger.

Nissan selbst empfiehlt, die Batterie nur zu mieten, und zwar aus mehreren Gründen: Der Anschaffungspreis sinkt auf 36.735 Euro. Fällt die Batteriekapazität im Laufe der Jahre unter 75 Prozent, wird der Akku vom Händler kostenlos repariert oder ausgetauscht. Außerdem ist das Abschleppen gratis, wenn man mal liegen bleibt. Und schließlich wird der Wiederverkauf erleichtert.

Teuer

Die Batteriemiete kostet bei einem Zwei-Jahres-Vertrag und maximal 25.000 Kilometer pro Jahr 1656 Euro jährlich. Gegenrechnen kann man die nur etwa halb so hohen „Kraftstoff“-Kosten bei Strom: Beim e-NV200 zahlt man bei einem Strompreis von 30 Cent pro Kilowattstunde knapp fünf Euro für eine 100-Kilometer-Fahrt. Dieselbe Strecke kostet bei einem Evalia mit 110-PS-Diesel (7,3 Liter Normverbrauch, 1,37 Euro pro Liter Diesel) rund zehn Euro. Die Differenz von fünf Euro addiert sich bei 25.000 Kilometer jährlich auf 1250 Euro. Zumindest bei normalen Stromkosten ist die Batteriemiete also teurer als die verringerten Spritkosten ausmachen. Außerdem sind die Anschaffungskosten etwa 13.000 Euro höher. Selbst wenn man die geringeren Wartungskosten mit in die Rechnung einbezieht: Ein e-NV200 ist kein Sparmodell.