Chaos in Essen

Meinung: Besser Chaos aushalten als Unglaubwürdigkeit

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen verhängt eine Fahrverbotszone über Essen, zu der auch die Autobahn A40 gehört. Chaos scheint vorprogrammiert. Doch gerade wegen des Entsetzens, welches das Urteil auslöst, sollte es befolgt statt relativiert werden

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(Bild: Sven-Olaf Suhl)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Florian Pillau
Inhaltsverzeichnis

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen verhängte gestern (15. November 2018) eine Fahrverbotszone über Essen, zu der auch die Autobahn A40 gehört. Diese führt durch das Stadtgebiet von Essen. Betroffen wären von dem Fahrverbot für ältere Diesel-Kfz ab dem Sommer 2019 auf dem Autobahn-Abschnitt nicht nur Pendler im Ruhrgebiet, sondern auch der Auto-Fernverkehr.

Chaos droht. Pendler kommen nicht mehr zur Arbeit, Joghurt nicht mehr in die Regale, Handwerker nicht mehr zum Kunden, finanzielle Werte werden vernichtet. Ob die gemessenen Werte dadurch zurückgehen, dass der Verkehr über Umwege woanders fließt, steht dahin. Was für eine Überraschung nach neun Jahren, in denen man den Zielwert immer noch nicht erreicht hat.

Erstmals nicht mehr Bund gegen Kommunen

Die Aufregung ist groß, weil das Urteil nun auch eine Autobahn betrifft: Bisher konnte der Bund die Probleme noch auf die Kommunen abwälzen. Die Reaktion aus dem Bundesverkehrsministerium lässt daher nicht auf sich warten: Minister Andreas Scheuer (CSU) verweist darauf, „dass auch alte Luftreinhaltepläne die Basis von diesen Gerichtsurteilen sind“ und daher aktualisiert werden müssten.

Er befindet erstens, dass die Maßnahme die Verhältnismäßigkeit überschreitet. Recht hat er, eine Sperrung für einen nennenswerten Teil der Diesel-Flotte könnte sogar dazu führen, dass die Emissionen insgesamt weiter ansteigen. Die Logik dieser Argumentation nützt ihm, denn Angesichts der krassen Unverhältnismäßigkeit fällt es ja nicht schwer, zustimmen. Doch wofür benötigt er diese Zustimmung? Für den Versuch, die Grundlage für das Urteil zu untergraben.

Verzweiflung

Das ist auf Linie der verzweifelten Bundesregierung. Geht es nach Kanzlerin Merkel (CDU), soll die Verhängung von Diesel-Fahrverboten per Gesetz erschwert werden, wenn die Grenzwerte nur in geringem Umfang überschritten werden. Entsprechend wolle ihre Partei nun das Bundesimmissionsgesetz ändern. Daher sagt die Kanzlerin auch: „Wir haben, das ist ganz wichtig, keinerlei europäische Grenzwerte verändert, die gelten. Aber wir haben unterschieden zwischen geringeren Überschreitungen der Grenzwerte von 40 Mikrogramm und höherer Überschreitung.“ Finanzminister Olaf Scholz von der SPD gefällt an einer Neuregelung „... ein attraktives Umfeld für Verbesserung, was die Emission der Fahrzeuge angeht.“

Bei diesem Gesetz handelt es sich immerhin um eine Reaktion auf die Klage der EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof gegen Deutschland wegen notorischer Überschreitung der Grenzwerte. Nicht nur die DUH und die Grünen halten den Vorstoß der Regierung daher für europarechtswidrig. Wahrscheinlich wird am Ende wieder ein Gericht darüber befinden müssen.

Urteile garantieren kein Einlenken

Egal, was dabei einmal herauskommt, entscheidend ist jetzt der erkennbare Wille, bereits gesprochenes Recht zu umgehen. In München zeigt sich, dass am Ende nicht einmal Gerichtsurteile ein Einlenken garantieren können: Nachdem der Verwaltungsgerichtshof München befunden hatte, Bayern tue zu wenig gegen die Luftverschmutzung in der Landeshauptstadt München, setzte das Gericht eine Frist. Die Landesregierung ließ sie verstreichen und zahlte gewissermaßen achselzuckend die Geldbuße von 10.000 Euro ans eigene Finanzministerium. Wenn sich Behörden nicht an Urteile halten wollen, kann niemand sie dazu zu zwingen.

Klingt komisch, ist aber so: Unser Rechtssystem geht stillschweigend von der Gesetzmäßigkeit von Verwaltung und Rechtsprechung aus. Wenn sich Behörden weigern, Urteile umzusetzen, verstößt das zwar gegen die Verfassung. Die Gerichte haben jedoch keine Mittel, Behörden zur Umsetzung von Urteilen zu bringen. Unser System setzt schlicht voraus, dass sich öffentliche Verwaltungen an Gerichtsurteile halten. Für den Fall der Missachtung von Urteilen gibt es daher nicht einmal eine Handlungsanweisung.

Verhältnismäßiges Urteil?

Die Versuchung ist nach dem Spruch aus Gelsenkirchen noch deutlich größer als in München, sich mit dem völlig berechtigten Hinweis auf die Verhältnismäßigkeit über Urteile hinwegzusetzen. Dann allerdings „sabotiert die zweite Gewalt die dritte“, wie es der münchner Jurist und Journalist Heribert Prantl einmal treffend ausdrückte. Das darf aber, bei allem Verständnis, nicht sein.

Sobald die Politik diese Ordnung anzweifelt, untergräbt sie das Fundament ihres eigenen Handelns. Der Staat benötigt den Rechtsfrieden, in dem alle Staatsgewalten die Autorität des Rechts anerkennen. Das Recht steht über ihnen, er ist daher ein Rechtsstaat. Populistisch motivierte Eigenmächtigkeit der Politik wie es Polen oder die Türkei bereits erleben, gefährdet damit einen Grundpfeiler der Demokratie.

Das Chaos notfalls aushalten

Nicht, dass wir jetzt ähnlich schlimmes für Deutschland befürchten würden. Aber damit es nicht so weit kommen kann, müssen wir in Essen das zu erwartende Chaos notfalls aushalten – trotz der offensichtlichen Unverhältnismäßigkeit und so absurd das Urteil auch sein mag. Die Gesetze sind ja nicht vom Himmel gefallen, weil sie von der EU kommen. Auch sie wurden einmal aus Gründen, über die man übereinstimmte, von gewählten Politikern beschlossen. Die Richter zu kritisieren, verfehlt das Ziel: Es ist nicht ihre Aufgabe zu beurteilen, wie sinnvoll die Gesetze sind.

Die Politiker, denen das jetzt teils aus eigenem Verschulden auf die Füße fällt, sollten ans Aufräumen denken statt mit dem Relativieren europäischer Gesetze die Unordnung noch zu vergrößern. Sonst erkennen sie durch tätiges Handeln an, was ihre Konkurrenten aus den populistischen Parteien täglich behaupten: dass wir angeblich von der EU entmachtet würden.