Power-to-Gas als klare Chance fürs Brennstoffzellenauto

Speicherkapazität

Batterien sind heute als Kurzzeitspeicher für Strom einsetzbar. Wenn sehr große Energiemengen langfristig gelagert werden sollen, bietet Power-to-Gas eine technisch umsetzbare Perspektive – und damit eine klare Chance fürs Brennstoffzellen-elektrische Fahren

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  • Christoph M. Schwarzer
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Hamburg, 12. Juni 2015 – Das Zeitfenster für die Weichenstellung der Zukunftsmobilität ist offen. Wie lange, ist unbekannt. Vielleicht sind es zehn Jahre, also bis 2025, in denen sich eine Antriebsart entweder etabliert oder als Fehlgriff erwiesen hat. Spätestens dann, so schätzen Wissenschaftler, wird sich zeigen, ob die übernächste Batteriegeneration den Sprung vom Labor in die Serienproduktion schafft.

Und auch für die mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzelle kommt die Stunde der Wahrheit – versandet die Technik, kommt sie in Fahrt, oder wird sie der Elektromobilität gar zum ersehnten Durchbruch verhelfen? Klar ist, dass die Energiewirtschaft den Wasserstoff äußerst interessant findet. Er bietet nämlich anders als die Batterien heutiger Bauart die Möglichkeit, immense Energiemengen über lange Zeiträume zu speichern. Power-to-Gas ist das Stichwort, die Umwandlung von Strom über Elektrolyse zu Gas.

Attraktiv ist Wasserstoff zudem für die klassischen Mineralölkonzerne. Hier ist man seit Jahrzehnten vertraut mit dem Industriegas. Und irgendwie ist es ja schöner als der unsichtbare Strom, wenn man etwas hat, das man abfüllen und in Tanklastzügen transportieren kann. Das Ideal der neuen Energiewelt streicht aber selbst diesen Weg und produziert vor Ort. Shell praktiziert das seit März in Hamburg an der Schnackenburgallee.

Billige Elektrolyse mit günstiger Regelenergie

An der Shell Station wird Wasserstoff per Elektrolyse direkt hergestellt. Der Strom dafür stammt zur einen Hälfte aus erneuerbaren Quellen, die andere Hälfte ist so genannte Regelenergie. Dahinter steckt die Idee, möglichst preisgünstig genau dann Strom zu kaufen, wenn besonders viel davon im Netz ist. Bis zu 65 Kilogramm können mit dieser Anlage pro Tag hergestellt werden; das reicht ungefähr aus, um 13 Toyota Mirai komplett zu betanken, die damit insgesamt circa 6500 Kilometer weit fahren können.

Entscheidend für die perspektivische Konkurrenzfähigkeit ist der Einkaufs- oder Gestehungspreis des Stroms. Der liegt meistens im einstelligen Cent-Bereich pro Kilowattstunde. Im Extremfall kann er an der Börse sogar negativ gehandelt werden. Shell verweist beim Elektrolyseur auf den Hersteller, der angibt, für ein Kilogramm (und ungefähr so viel braucht ein H-Auto für 100 Kilometer) Wasserstoff 64,5 Kilowattstunden zu benötigen. Ein Wert, der bald auf 50 kWh sinken soll.

Da ist er wieder, der im Vergleich zu aktuellen Batterie-elektrischen Fahrzeugen niedrige, im Vergleich zu allen verbrennungsmotorischen Konzepten dennoch hohe Wirkungsgrad. Die Befürworter der Brennstoffzelle argumentieren nun einerseits damit, dass die zurzeit nur im Labor und lediglich für ein Dutzend Zyklen haltbaren Lithium-Luft-Batterien lediglich auf 30 Prozent (aktuelle E-Autos: über 95 Prozent) bei Verwendung von Luftsauerstoff kommen. Von einer Kilowattstunde Strom, die hineingegeben wird, kommen nur 300 Wattstunden wieder heraus. Was also könnten die Wunderakkus besser als die Brennstoffzelle? Zum anderen, und das wird bei allen Power-to-Gas-Vorgängen grundsätzlich ins Feld geführt, bietet Wasserstoff die Möglichkeit, größte Energiemengen zum Beispiel in unterirdischen Kavernen langfristig zu lagern.

Strom-, Wärme- und Verkehrsmarkt (müssen) zusammenwachsen

Hier ist ein kurzer Exkurs in das deutsche Energiesystem nötig. Der Anteil des Primärenergieverbrauchs aller Pkw liegt bei lediglich elf Prozent. Der häufig zitierte CO2-Kuchen von 20 Prozent bezieht sich immer auf den gesamten Verkehrssektor inklusive der Nutzfahrzeuge, den Zügen, Schiffen und Flugzeugen. Dem geringen Anteil des Autoverkehrs (mit entsprechend niedrigem CO2-Einsparpotenzial) steht zugleich die nahezu totale Abhängigkeit vom Rohöl gegenüber. Ein Missstand, der nicht mehr hinnehmbar ist.

Der Fachdiskurs geht davon aus, dass die früher getrennten Energiebereiche für Strom, Wärme und Verkehr zusammenwachsen (müssen). Und hier bietet Power-to-Gas eine schöne Aussicht: Mit Wasserstoff kann elektrisch gefahren werden. Und wenn man zum Wasserstoff noch Kohlendioxid dazu gibt („Sabatier-Prozess“) hat man Erdgas, mit dem wir noch lange unsere Wohnungen und Häuser heizen werden.

Der in Relation zu Batterien scheinbar grenzenlosen Speicherkapazität steht nach unseren Recherchen aber noch kein wirklicher Bedarf gegenüber. Wir haben bei diversen Organisationen nachgefragt. Repräsentativ für die Antworten stehen die Auswertungen des Fraunhofer IWES in Kassel. Dort wird Wasser in den Wein der Speicherfreunde gegossen: Bevor mindestens 60 Prozent des Stroms, so heißt es da, aus fluktuierenden Quellen wie Photovoltaik oder Windkraft kommen, sei der Ausbau von Stromspeichern „keine Voraussetzung“. Selbst bei einem Anteil der Renewables von über 90 Prozent wären neue Speicher nicht notwendig – allerdings nur dann, wenn „Erzeugung und Nachfrage“ flexibilisiert würden und man hinnimmt, das circa ein Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien weggeschmissen wird.

Müsliriegel als Geschäftsmodell

Die Hättes, Wäres und Könntes in den unterschiedlichen Prognosen sind vielfältig. Sie lassen den dringenden Schluss zu, dass Shell richtig handelt, wenn dort abseits aller Rechnerei der Alltagsbetrieb erforscht wird. Der Mineralölkonzern könnte so sein Geschäftsmodell erhalten: Kunden haben wie bisher eine kurze Verweildauer an den Tankstellen, die oft auf wertvollen Grundstücken stehen. Sie kaufen in welcher Form auch immer gebundene Energie fürs Auto und einen Essriegel (Energie!) dazu, mit dem dann Gewinn erzielt wird.

Es ist keine Vision: Mit bereits heute in allen Komponenten verfügbaren Technologien ließe sich die Tankstelle der Zukunft errichten. Der Strom wird, um Transportverluste zu vermeiden, direkt oder zumindest in der Nähe durch Wind-, Wasser- oder Sonnenkraft gewonnen. Auf dem Gelände wird er dann über Schnellladesäulen in batterieelektrische Fahrzeuge gefüllt, wobei Nachfragespitzen über eine stationäre Pufferbatterie ausgeglichen werden. Die großen Langstreckenautos und die Nutzfahrzeuge wiederum bedienen sich als Ergänzung beim Wasserstoff. Es ist alles vorhanden, um das umzusetzen.