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Bosch gibt umfassende Ausblicke auf die Mobilität der Zukunft

Sauber, sicher, selbstfahrend

News Florian Pillau

Effizienztechnik, Fahrerassistenz und Telematik sollen Boschs Geschäft beflügeln helfen. Neben den kommenden CO2-Grenzen sind Komfort und Unfallvermeidung die wichtigsten Innovationstreiber. Fernziele sind E-Mobilität und unfallfreies Fahren

Stuttgart/Boxberg, 12. Juni 2013 – Als der Wagen auf die enge Kurve der schmalen Straße zufährt, beschleunigt er noch. Die Dame am Steuer tut – nichts! Als ich sie schon warnen will, bremst das Fahrzeug wie von selbst, wie von Geisterhand dreht sich das Lenkrad und wir werden sicher durch die Schikane gesteuert. Wir befinden uns auf der Teststrecke von Bosch, in einem selbstfahrenden Auto [1]. Der Fahrerplatz ist nur für Notfälle besetzt. Auch Schilder und Ampeln werden erkannt und befolgt, und sogar vor unerwartet auf die Fahrbahn tretenden Fußgängern bremst der Wagen ordnungsgemäß. Fast so erstaunlich: weder lenkt die Technik dabei eckig noch bremst sie ruckhaft - alles fühlt sich ganz natürlich an.

Bosch verdient wieder besser

Solche spektakulären Demonstrationen weisen in die Zukunft und zeigen, dass Bosch – zur Zeit der größte Zulieferer in Deutschland – ein großes Innovationspotenzial besitzt. Fast alles, was dem Versuchsträger das autonome Fahren ermöglicht, ist heute bereits Serie oder kurz davor wie etwa das automatische Staufolgefahren [2] oder die Fußgängererkennung [3]. Noch intensiver an neuen Lösungen in der Effizienztechnik und Innovationen auf den Gebieten von Fahrerassistenz und Telematik arbeiten kann Bosch dank einer überraschend positiven Geschäftsentwicklung. Nachdem es im ersten Quartal zäh anlief, rechnet Bosch nun mit einem Umsatzplus von drei bis fünf Prozent. Der scheidende Leiter der Bosch-Kfz-Technik, Bernd Bohr sagte am Dienstag am Standort Testzentrum Boxberg "Nach verhaltenem Start nimmt das Geschäft im wieder Fahrt auf.“ Der Autoabsatz in Europa liegt wegen der Schuldenkrise zwar auf einem Niveau wie zuletzt vor fast 20 Jahren. Mittlerweile überkompensiert wird dieses Problem aber durch die langsam anziehende Nachfrage aus Asien und Nordamerika.

Ein wichtiger Umsatzmotor ist dabei das Geschäft mit Diesel-Einspritzausrüstungen. Bei Common-Rail-Systemen für Dieselmotoren sieht Bosch eine Steigerung von 8 Millionen 2012 bis auf „gut 12 Millionen“ bis 2015. Gleich danach die Benzin-Direkteinspritzung: 2012 waren es über 5 Millionen ausgelieferte Systeme, 2015 will man schon „über 9 Millionen“ verkaufen.

Mit Verschärfung der Abgasnormen steigt auch das Geschäft mit der Dieselabgas-Entstickung: Die gesteuerte Harnstoff-(„AdBlue“)-eindüsung „Denoxtronic“ soll sich bis Ende 2013 fünfmillionenmal verkaufen, bis Ende 2015 peilt man die 10-Millionen-Marke an.

Marktchancen mit Assistenz und Sicherheit

Effizienztechnik, Fahrerassistenz und Telematik sollen in Zukunft Boschs Kunden verstärkt helfen, gesetzliche Flottenverbrauchsvorschriften und steigende Anforderungen an Sicherheit und Komfort einzuhalten. Neben neuen CO2-Grenzen spielt hier das kommende EuroNCAP-Rating eine Rolle: Nur noch mit mindestens einem Fahrerassistenz-Sensor erhalten Neuwagen ab 2014 die Höchstnote. Welche schwindelerregenden Steigerungsraten Assistenz- und Sicherheitstechnik bringen können, sei exemplarisch am Beispiel Radarsensoren gezeigt: Wurden von Bosch von 2000 bis 2013 gerade mal eine Million Stück ausgeliefert, sollen es allein im Jahr 2014 bereits zwei Millionen und 2016 schon zehn Millionen Stück sein. Kein Wunder, dass Bosch angesichts solcher Marktchancen hier gewaltig Druck macht. Schon jetzt erzielt das Unternehmen mit Sicherheits- und Fahrerassistenzsystemen einen Umsatz von gut fünf Milliarden Euro. Im Laufe dieser Dekade wird allein hier ein jährliches Wachstum von zehn Prozent angepeilt.

Jeder hat mal groß angefangen

Immer deutlicher wird, dass auf bestimmten Feldern beide Bereiche auch synergetisch wirken können, wie Bosch auf einem Technik-Kolloquium mit Fahrzeugen seiner Kunden, eigenen Prototypen und Versuchsträgern zeigen konnte. Dabei wurde auch klar, wie viel die neuen Technologien darüber hinaus zum Fahrspaß beitragen und wie modulisierbar die Technologien werden: Was Bosch bei der Maximallösung Vollhybridantrieb gelernt hat, sickert nun in Teilen bis in untere Segmente durch. Denn angesichts der Verbrauchsvorschriften in den verschiedenen Fahrzeugklassen werden sich zumeist nur Teillösungen rechnen – sowohl vom Einspareffekt, als auch, was den erzielbaren Endpreis angeht.

Zwar werden weiterhin Plug-in-Hybrid-Sportwagen mit einem absurden NEFZ-Verbrauch mit einer Drei vor dem Komma entstehen wie der Porsche Panamera Plug-in-Hybrid [4]. Bei Bosch weiß man aber um die Gebrechen des NEFZ und wird Lösungen anbieten, die dem Kunden im Realbetrieb eine deutliche Einsparung bringen können, obwohl sie sich im Zyklus-Verbrauch überhaupt nicht abzeichnen. Sicher hat man dabei aber auch den kommenden Fahrzyklus WLTP im Blick, der solche Erfolge dann messbar berücksichtigen wird und eine geplante globale Anrechnung von Spritspartechnik.

„Noch ist der Verbrenner die geschäftliche Basis“

Wie seine Kunden sieht auch Bosch den Verbrennungsmotor als dominierende Antriebsart noch mindestens für die nächste Dekade. Erst dann erwartet man einen Wandel. Für Bosch Grund genug, bereits heute intensiv am Elektroauto zu arbeiten, statt sich davon abzuwenden: „Ganz allmählich steigt der Anteil der Alternativen. Im Jahr 2020 erwarten wir weltweit 110 Millionen Neufahrzeuge, darunter bereits zwölf Millionen mit elektrifiziertem Antrieb. Und diese letzte Zahl wird sich im nächsten Jahrzehnt entlang einer immer steileren Kurve erhöhen."

Ein wichtiges Entwicklungsziel sind Lithium-Ionen-Batterien, die "bei halbierten Kosten pro Kilowattstunde mindestens doppelt so große Reichweiten ermöglichen wie bisher – die beste Absatzförderung für das elektrische Fahren“, wie Bohr es ausdrückte. Noch ist die Elektromobilität eine teure Zukunftsinvestition – sie kostet Bosch jedes Jahr noch 400 Millionen Euro. Ob das inklusive der Subvention von 28,87 Millionen Euro allein bis April dieses Jahres (FAZ vom 22. Mai [5]) ist, sagte man nicht.

Die Elektrifizierung wird skalierbar

Auf kürzere Frist hat Bosch für Autos mit Verbrennungsmotor eigene „Flottenziele 2020“ definiert. Denn dann gilt die Grenze von 95 g/km. Bohr bringt es auf die Faustformel: „Je größer das Fahrzeug, desto mehr Elektrifizierung werden wir im zukünftigen Antrieb sehen.“ Vernünftig gesetzte Grenzwerte sieht er im Übrigen als Ansporn zu Neuentwicklungen und sagt im Übrigen zum Thema "gesetzliche Vorgaben", was man als Mann in seiner Position eben dazu sagen muss: „Anreize sind gut – Überreizung ist schlecht!“

Bei den Kleinwagen sollen die konventionellen Otto- und Diesel-Motoren so effizient werden, dass sie die CO2-Grenzwerte für 2020 auch ohne Elektrifizierung unterschreiten können. In der Kompaktklasse wird das nach eigener Einschätzung nur Dieselfahrzeugen gelingen können. Der Ottomotor benötigt hier bereits elektrische Unterstützung. Einen „kostengünstigen Einstieg in die Hybridisierung“ sieht Bosch in seinem BRS („Boost Recuperation System“), in dem ein riemengetriebener Starter/Generator eine Stopp/Start-Funktion, Segeln, Rekuperation und Boosten ermöglicht.

Große Fahrzeuge wie etwa eine Mercedes-Benz S-Klasse [6] oder ein Audi A8 und Full-Size-SUV werden dazu leistungsfähige Hybridsysteme benötigen. Zu allen Optionen kommt Erdgas als Möglichkeit, die CO2-Emission um 25 Prozent zu senken. Bereits heute rechnen sich Erdgas-Antriebe in Deutschland laut Bosch ab einer Jahresfahrleistung von 7000 Kilometer und seit 10 Jahren liegt das Marktwachstum bei je 25 Prozent, bei gesicherter Zukunft. Damit ist nicht gemeint, dass die Erdgasvorkommen die Erdölvorkommen übersteigen, sondern, dass man „Erd“gas auch synthetisch aus Abfällen gewinnen oder als Träger für regenerativ erzeugte Energie [7] herstellen kann, was den CO2-Ausstoß künftig noch drastisch senken helfen kann.

Sieben Ansatzpunkte für höhere Effizienz

Bosch entwickelt die nötigen technischen Lösungen zur erreichung der Flottenziele bis 2020 entlang eines konkreten „Sieben-Punkte-Programms“:
1) Downsizing kleiner Diesel- und Ottomotoren soll den Verbrauch gegenüber 2012 um bis zu 20 Prozent senken.
2) Automatisierung des Schaltgetriebes. Mit eClutch, einer elektrisch betätigten Kupplung und Segelfunktion vermindert sich der Verbrauch um gut fünf Prozent.
3) Stopp/Start-System mit Ausroll- und Segelassistenten und Navigation als Sensor zur Außenwelt. Geplante Einsparung im realen Betrieb auf Landstraßen: bis zu 15 Prozent.
4) Übergang zum Hybridantrieb für die Mittelklasse mit dem Boost Recuperation System („BRS“). Segeln und regeneratives Bremsen mit einem Verbrauchsvorteil von bis zu sieben Prozent.
5) Hydropneumatik-Hybridantrieb [8]. Bremsenergie wird per Druckbehälter gespeichert und entladen. Der Verbrauch soll damit im Schnitt um 30 Prozent, in der Stadt um bis zu 45 Prozent sinken.
6) Strong-Hybrid-Systeme sollen den Verbrauch großer Pkw um bis zu 25 Prozent reduzieren.
7) Der Plug-in-Hybrid für Diesel- und Ottomotoren mit einem Verbrauchsvorteil von bis zu 50 Prozent im NEFZ.

Bei dieser Aufzählung wird deutlich, wie viele Einzelaspekte der vollen Hybridisierung genutzt werden können, um zu angemessenen Kosten auch kleinere Effizienzaufgaben zu lösen. Beispiel "Segelmodus":

Die Zukunft ist modular

Das Rollen bei ausgeschaltetem Verbrennungsmotor [9] wurde zunächst im Hybrid entwickelt, lässt sich aber nun einzeln auch als Mildhybrid-Funktion zu geringen Kosten in kleineren Pkw umsetzen. Das wird umso lohnender, je mehr mechatronische Schnittstellen zur Verfügung stehen. Bei einem bereits vorhandenen Doppelkupplungsgetriebe beispielsweise ist dafür hauptsächlich eine Erweiterung der Steuerung ausreichend. Die Funktion soll "zunächst beim Ausrollen des Fahrzeugs und bis 2016 auch während der Fahrt, wenn der Fahrer vom Gas geht" den Motor automatisch abstellen können. Wahlweise kann diese Funktion stufenweise etwa zu einem BRS ausgebaut werden, indem man einen größeren Stromspeicher, eine zweite Spannungsebene und eine entsprechende E-Maschine verbaut. Es soll so die große Lücke zwischen Stopp/Start-Systemen und Hybrid-Antrieben schließen. Wolf-Henning Scheider, Mitglied der Geschäftsführung, sagt: „Das Boost Recuperation-System steht für die preiswerte Elektrifizierung der Mittelklasse“.

Der Phantasie sind bei der Kombination keine Grenzen gesetzt. Sollte ein Bauteil fehlen, wird es entwickelt, Beispiel iBooster: Da bei stehendem Motor und fahrendem Auto die übliche Bremsunterstützung durch den Saugrohr-Unterdruck wegfällt, hat man einen elektrisch unterstützten Bremskraftverstärker entwickelt. Die Zusatzvorteile des iBooster: Er ist kompakter und dreimal so schnell wie ein konventionelles Bauteil und hilft per Steuerung der Rekuperationsrate, die Energierückgewinnung noch effizienter ablaufen zu lassen.

Einzig der hydropneumatische Hybridantrieb ist eine vollkommen individuelle Lösung. Bosch und PSA wollen damit eine Möglichkeit schaffen, auch auf den für sie so wichtigen "Emerging Markets" hybridisieren zu können. Der Charme für weniger entwickelte Länder liegt in einem geringeren Preis, vergleichsweise hoher Reparatur- und Wartungsfreundlichkeit, der Eignung für kleine Autos (aber gleichermaßen auch für Nutzfahrzeuge) und nicht zuletzt eines alterungsbeständigen Energiespeichers.

Vorausschauendes Zusammenspiel

Ähnlich wie bei den Antrieben durch Kombination verschiedener Techniken steigt die Effizienz auch durch das Zusammenspiel von Daten und Fahrassistenz. So können weiter verfeinerte Navigationsdaten dem Fahrer oder der Cruise Control Informationen über die vorausliegende Strecke geben, mit denen sich zusätzlich auch die Sicherheit steigern lassen kann. Mit einem solchen "elektronischen Horizont" lassen sich bis zu zehn Prozent Kraftstoff sparen. Die Daimler AG bietet seit 2012 bereits einen vorausschauenden Tempomaten [10] für Lkw an. Noch feiner und aktueller könne die Streckeninformationen dann noch durch die Vernetzung der Fahrzeuge werden. Regeln beispielsweise die ESP mehrerer vorausfahrender Fahrzeuge an der selben Stelle, "weiß" das folgende Auto bereits, dass dort Gefahr droht - und kann den Fahrer warnen oder vor der Gefahrenstelle selbsttätig verlangsamen.

Wie wir erleben durften, lassen sich solche Funktionen mit entsprechender Sensorik bereits bis zum autonomen Fahren ausbauen. Ob es zu diesem extremen, aber technisch möglichen Fall kommen wird, hängt stark von äußeren Faktoren bis hin zur Kundenakzeptanz ab. Viele einzelne Komponenten aber werden bereits heute in mehr oder weniger großer Konzentration serienmäßig in die meisten Fahrzeuge eingebaut. Mit oder ohne autonomem Fahren: Diese Entwicklung lässt Bosch wohl zurecht hoffen, dass man auch künftig weiterhin kräftig verdienen können wird.


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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Bosch-Selbstfahrende-Autos-brauchen-noch-mindestens-zehn-Jahre-1779582.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Spitzensteuer-1864676.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Neue-Assistenzfunktionen-und-Sicherheitsfeatures-der-neuen-S-Klasse-1754521.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Sparverstaerker-1834596.html
[5] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/elektromobilitaet-bosch-steht-an-der-spitze-bei-subventionen-fuer-elektroautos-12190060.html
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/Spitzensteuer-1864676.html
[7] https://www.heise.de/autos/artikel/Audi-gibt-Kohlendioxid-eine-Chance-1243674.html
[8] https://www.heise.de/autos/artikel/Transfer-Leistung-1790037.html
[9] https://www.heise.de/autos/artikel/Segeltour-im-Mercedes-E-300-Bluetec-Hybrid-1499161.html
[10] https://www.heise.de/autos/artikel/Die-Predictive-Powertrain-Control-im-Mercedes-Actros-1581210.html