Stickoxidemission von Diesel-Kfz im Realbetrieb weit über EU6-Limit

Anrüchig

Diesel-Pkw mit Euro 6 sollten nun annähernd so wenig NOx emittieren wie Ottomotoren. In der Tat liegen ihre Realemissionen allerdings weit über dem gesetzlichen Limit. Das zeigt eine Untersuchung des baden-württembergischen Landesamts für Umwelt und des TÜV Nord

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 76 Kommentare lesen
10 Bilder
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis

Karlsruhe, 16. April 2015 – Diesel stinken. Was der Mensch bewusst riechen kann, sind aber nicht die Partikel. Die sind inzwischen vorwiegend ein Problem der Benzindirekteinspritzer. Es sind die Stickoxide. Chlorartig-stechend schädigen sie die Atemwege direkt und gelten als Verursacher von Allergien, Asthma und anderen Krankheiten. Diesel-Pkw machen den größten Anteil der Luftverschmutzung durch Stickoxide aus. Mit Einführung der Abgasnorm Euro 6 (2014/15) und einem Grenzwert von 80 mg/km sollten sie nun annähernd so wenig Stickoxide ausstoßen wie Ottomotoren, für die eine Grenze von 60 mg/km gilt.

In der Tat liegen ihre Realemissionen jedoch weit über dem gesetzlichen Limit, wie eine Untersuchung des baden-württembergischen Landesamts für Umwelt, Messungen und Naturschutz sowie des TÜV Nord jetzt ergab.

SCR- vs. Speicherkat vs. motorische Maßnahmen

Ziel der Erhebung mit so genannten PEMS (portable emission measurement system, das sind mobile Messgeräte, deren Sonde am Auspuff während der Fahrt misst) war neben der absoluten Messung ein Vergleich der drei etablierten und unterschiedlichen Abgasreinigungssysteme. Ein Volkswagen CC trat mit einem SCR-Katalysator an, bei dem regelmäßig die wässrige Harnstofflösung mit dem Handelsnamen AdBlue nachgefüllt werden muss, ein BMW 320d Touring fuhr mit einem NOx-Speicherkatalysator, während ein Mazda 6 auf innermotorische Maßnahmen zur Minimierung der Abgase setzte.

Insgesamt wurden vier Strecken gefahren. Zum einen wichtige Verkehrsadern in Stuttgart (20 Kilometer lang) und München (elf Kilometer). Dazu zwei Touren über Land und Autobahnen in den Umkreisen von Stuttgart (51 Kilometer) und Garmisch-Partenkirchen (90 Kilometer). Ein exakter Vergleich wie auf einem Prüfstand ist im echten Verkehrsgeschehen zwar niemals möglich; diese Unschärfe sollten aber durch die hohe Anzahl von 90 Fahrten über 79 Stunden und 2890 Kilometer ausgeglichen werden.

Die Ergebnisse sind eindeutig: In keinem Fahrzustand wurde der Euro 6-Grenzwert von 80 mg/km eingehalten. Die Abweichungen lagen zwischen Faktor 1,6 und 8,5. Überschreitungen von 160 bis 850 Prozent also, die beim Kraftstoffverbrauch niemand hinnehmen würde. In Ausnahmesituationen wurden sogar über 2500 mg/km gemessen, was dem Faktor 31 entspricht. Um die Funktionsfähigkeit der Fahrzeuge zu prüfen, wurden sie vor Beginn und nach Ende des Tests auf einem Rollenprüfstand im für die EU6 relevanten NEFZ bewegt – hier wurden alle Anforderungen der Euro 6-Norm erfüllt.

In der differenzierten Analyse der durchführenden Behörde finden sich mehrere interessante Details und Schlussfolgerungen. So weisen die Autoren unter anderem darauf hin, dass eine Geschwindigkeitsreduzierung auf 40 oder 30 km/h innerorts wie zuvor bei Euro 4- und Euro 5-Fahrzeugen nicht zu weniger Stickoxidemissionen führte. Unter diesem Aspekt hätte das vielfach geforderte innerörtliche Tempolimit von 30 km/h keinen Vorteil.

Potenziell beste Abgasreinigung durch SCR-Technik

Auffällig ist der Studie zufolge die hohe Bandbreite der Emissionen innerorts. Damit sind nicht die Differenzen zwischen den verschiedenen Autotypen gemeint, sondern die Varianz bei jeweils einem Fahrzeug. „Die Abgasminderungssysteme reagieren sehr empfindlich auf Unterschiede in der Dynamik des Fahrverlaufs“, heißt es da, und „je höher die Dynamik, desto höher die Emissionen.“ Ein Verhalten, dass bei Euro 4- und Euro 5-Autos weit weniger ausgeprägt gewesen sei.

Die höchsten Stickoxidemissionen traten in der Folge im Stop-and-Go-Verkehr auf; vor allem beim Beschleunigen und nach dem Gangwechsel gab es Abgasspitzen. Das ist der wohl deutlichste Hinweis darauf, wo die Hersteller nacharbeiten müssen, wenn irgendwann die Messwerte am Straßenrand sinken sollen, wo Radfahrer, Fußgänger und Kinder unterwegs sind.

Einen weiteren starken Abgaspeak gab es, wenig verwunderlich, bei Geschwindigkeiten über 135 km/h. Bei konstanter Fahrt, also zum Beispiel mit Tempomat, ergaben sich Werte bis „etwa 500 mg/km“. Wer es auf der Autobahn krachen lässt, wird noch deutlich höhere Werte erzielen.

Im Fazit plädieren die Verfasser dafür, dass der in der EU beschlossene RDE-Prozess, also die verpflichtende Messung aller Autos auch unter realen Bedingen (abgekürzt RDE für Real Driving Emissions) „unbedingt notwendig“ ist.

Was wird ausgelassen?

Es gibt leider keine Bewertung der drei unterschiedlichen Abgasreinigungssysteme im Vergleich. Ursache dürften die Messergebnisse sein, die auch auf den zweiten Blick weder die signifikante Überlegenheit noch die eindeutige Unterlegenheit des einen oder anderen Systems erkennen lassen. In der Tendenz lässt sich jedoch interpretieren, dass innermotorische Maßnahmen ohne Abgasnachbehandlung (abgesehen von einem Oxidationskatalysator) mit den höchsten Emissionspeaks einhergehen und das potenziell beste Reinigungsergebnis mit SCR-Technik möglich ist. Um diesen Anfangsverdacht zu erhärten oder zu widerlegen, müssten aber viel mehr verschiedene Fahrzeuge mit allen drei Maßnahmenpaketen zur Abgasentstickung gemessen werden.

Letztlich bleibt die Frage, welcher technische Aufwand getrieben werden muss, um eine angemessene Reinigung von Dieselabgasen zu erreichen – und was das kostet. Denn während motorseitig eine schrittweise Annäherung zwischen Otto und Selbstzünder stattfindet, beide zum Beispiel meistens aufgeladene Direkteinspritzer sind, muss beim Diesel mehr Geld in die Nachbehandlung der Abgase investiert werden. Zumindest für die schwachen Ergebnisse im Stadtverkehr gibt es eine andere Lösung: den Vollhybrid.