Rund 100.000 "ZuhauseKraftwerke" sollen Wärme und "Schwarmstrom" erzeugen

Volkswagen baut Mini-Kraftwerke für Energieversorger Lichtblick

Neue Arbeit für das Motorenwerk Salzgitter: Volkswagen baut für den Energieversorger Lichtblick "ZuhauseKraftwerke" – mit Erdgasmotoren, die sonst in Autos wie dem Caddy verbaut werden

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Hannover, 11. September 2009 – Der Hamburger Energieversorger „Lichtblick“ und Volkswagen haben gestern in Salzgitter eine Vereinbarung zur Produktion von Minikraftwerken unterschrieben, die nach dem Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung funktionieren. Die Rollen der ungleichen Unternehmen sind dabei klar verteilt: Lichtblick will als Energieversorger eine „dezentrale, variable und intelligente“ Stromversorgung aufbauen, Volkswagen liefert die Blockheizkraftwerke oder „ZuhauseKraftwerke“, wie sie nun heißen sollen. Diese Kraftwerke sind gewissermaßen „Autos ohne Räder“, wie Dr. Rudolf Krebs, Leiter des VW-Motorenwerks Salzgitter, anmerkte. Damit erklärt sich auch, was der Autohersteller Volkswagen in dieser ungewöhnlichen Allianz zu suchen hat: Herz des kleinen Kraftwerks ist ein 2,0-Liter-Erdgas-Ottomotor, der in ähnlicher Form auch in Autos wie dem VW-Caddy seinen Dienst tut, doch dazu später.

Dezentrale Energieversorgung
Lichtblick will von 2010 an in den kommenden Jahren in Wohnhäusern 100 000 Minikraftwerke installieren. Dies entspricht nach Angaben des Unternehmens einer Kapazität von zwei Atomkraftwerken. Der Kunde zahlt für die Installation der Minikraftwerke 5000 Euro, danach einen Grundpreis von 20 Euro pro Monat. Für die verbrauchte Wärme soll er nach einem vom Statistischen Bundesamt ermittelten Gaspreisindex zahlen – im Gegenzug erhalten die Verbraucher aber monatlich 5 Euro „Kellermiete“ und 0,5 Cent pro in das Netz gespeister Kilowattstunde Strom. Die Kraftwerke produzieren Strom und Abwärme, die direkt abgegeben oder in einem Wärmespeicher gespeichert werden kann. So muss die Anlage nicht permanent betrieben werden, sondern kann Phasen abwarten, in denen der Strompreis hoch ist, um dann Strom ins Netz einzuspeisen.

Schwarmstrom
Die Logik dabei klingt einfach: Je mehr sich Sonnen- und Windenergie etabliert, desto mehr drohen Schwankungen im Stromangebot. Hohe Preise signalisieren dann einen Energiemangel und sind für Lichtblick gewissermaßen das Startsignal, um die Heimkraftwerke zu aktivieren und Strom in das Netz einszuspeisen. Damit in diesen Situationen nicht über­flüssige Wärme erzeugt wird, ist ein besonders großer Wärme­speicher installiert, der bei dieser Gelegenheit „gefüllt“ wird. So kann diesem Speicher später Wärme entnommen werden, ohne das Kraftwerk anzuwerfen, während man gleichzeitig dem regulären Netz Strom entnimmt. Die Kraftwerke können quasi ferngesteuert innerhalb von einer Minute hochgefahren werden, um alle miteinander Strom zu produzieren – Lichtblick bezeichnet das als „Schwarmstrom“. Die Schar von ZuhauseKraftwerken soll sich dann logisch wie ein großes Gaskraftwerk verhalten. Jedes einzelne stellt dabei eine elektrische Leistung von 20 kW und eine Wärmeleistung von 34 kW bereit. Voraussetzung ein am Kraftwerk verbautes Kommunikationssystem, das mit einer Leitstelle in Hamburg kommunizieren kann, über einen DSL-Anschluss oder per Mobilfunk.

Volkswagen baut Mini-Kraftwerke für Energieversorger Lichtblick

Hoher Wirkungsgrad
Ob der erzeugte Strom guten Gewissens als Ökostrom bezeichnet werden kann, wie es Lichtblick propagiert, sei einmal dahingestellt, denn die Kraftwerke werden mit Erdgas betrieben, was nun einmal ein fossiler Kraftstoff ist. Allerdings ist der Wirkungsgrad hervorragend: Während in einem Auto die Wärme des Verbrennungsmotors größtenteils nutzlos entschwindet, wird sie bei der Kraft-Wärme-Kopplung fast vollständig genutzt. Laut Lichtblick liegt die Energie­effizienz der Technik bei 92 Prozent, das sei zwei- bis dreimal höher als die eines Kohle- oder Atomkraftwerks. Zudem brauche zum Beispiel ein Kohle­kraftwerk bis zu sieben Stunden, um anzufahren, ein Atom­kraft­werk noch länger – zu lang also, um kurzfristige Schwankungen auszugleichen.

Geht auch mit Biogas
Zudem soll es nicht dauerhaft bei Erdgas bleiben – wie auch. Mit steigender Verfügbarkeit will man heimisches Biogas einsetzen. Lichtblick verweist dabei auf Studien, nach denen Biogas einen großen Teil des Gasbedarfs in Europa decken könne. Und bis 2030 wolle die Bundesregierung immerhin ein Zehntel des Bedarfs durch Biomethan ersetzen. Lichtblick hat große Pläne: Die Zahl der Kunden soll in den kommenden Jahren von derzeit 550 000 auf zwei Millionen steigen, das Unternehmen will die Nummer fünf in der Branche werden, nach den vier führenden Stromriesen in Deutschland.

Mehr Motoren von VW
Der Verdacht, sich Volkswagen mit seinem Engagement besonders schlaue Ladekonzepte für Elektroautos verspricht, bestätigt sich nicht. Umso klarer sind aber andere Vorteile: Im Werk Salzgitter schafft oder sichert das Projekt Arbeitsplätze und setzt auf Kompetenzen auf, die längst vorhanden sind. VW hat bereits selbst ein Blockheizkraftwerk entwickelt und verfügt über Erfahrung mit Erdgasmotoren. Für sie gibt es übrigens durchaus andere Anforderungen als im Auto. Denn im ZuhauseKraftwerk läuft ein Verbrennungsmotor bei relativ niedriger Drehzahl im stationären Betrieb, „Downsizing“ oder eine Turboauf­ladung wären bei dieser Betriebsart nicht sinnvoll. Vielmehr kommt es hier darauf an, die Reibung zu minimieren, was in diesem Fall eher für einen Motor mit größerem Hubraum spricht – man könnte sagen, viel wirksames Volumen in Relation zu den Reibungsflächen.

Volkswagen baut Mini-Kraftwerke für Energieversorger Lichtblick

Auto ohne Räder
Der 2,0-Liter-Motor mit der Bezeichnung ecoBlue ist auf CNG ausgelegt und tut ansonsten im Caddy und Touran Ecofuel seinen Dienst. Er treibt einen Asynchrongenerator an, Ergebnis sind wie gesagt 20 kW elektrisch und 36 kW thermisch. Den Wirkungsgrad des Kraftwerks gibt VW mit 94 Prozent an, den Schalldruck mit 50 dB (a) – das sei nicht mehr als bei anderen Aggregaten, die man im Keller stehen hat. Vorgesehen ist eine Betriebsdauer von 1500 bis 3000 Stunden im Jahr, die Lebensdauer des Motors beträgt etwa 30.000 Betriebsstunden.

Bei der Präsentation sprach Rudolf Krebs wie gesagt humorig von einem „Auto ohne Räder“. Tatsächlich ist vieles vorhanden, was man sonst auch im Auto kennt. Der entscheidende Unterschied ist, dass die Abwärme in Kühlwasser und Abgasanlage für die Heizung oder Warmwasser benutzt werden kann. Während normalerweise ein Ottomotor kaum mehr als 30 Prozent erreicht und die Wärme bisher nur für die Heizung verwendet wird, zeigt er sich in der Anwendung Kraft-Wärme-Kopplung von seiner besten Seite.

Doppelter Nutzen
Ob Lichtblick das Konzept zu einem Erfolg machen kann, muss man abwarten. Immerhin macht das Unternehmen Abnehmern des Kraftwerks ein preislich interessantes Angebot. Für VW sind die Risiken wohl gering, der Nutzen aber offensichtlich. Das Werk Salzgitter erhält zusätzliche Aufträge für Motoren, die in fast identischer Bauart auch in Autos eingesetzt werden – von zusätzlich 160 Arbeitsplätzen ist die Rede. Und wenn die Idee funktioniert, wird der Autobauer zu einem wichtigen „Player“ bei den Energieversorgern. Das würde dem Geschäft mit Elektroautos ebenso dienen wie der Wertschöpfung im klassischen Motorenbau.

So erläutert Lichtblick das Konzept des Schwarmstroms: