Vor 100 Jahren starb Rudolf Diesel. Sein Vermächtnis bewegt die Welt - lebendiger denn je

Der Erfinder des Wärmemotors

Vor 100 Jahren verloren wir einen Ingenieur, der ein wahrhaft bewegendes Vermächtnis hinterließ. Seine Begeisterung für Naturwissenschaft und eine unerschütterliche Beharrlichkeit ließen ihn einen Motor entwickeln, der Carnot's ideale Theorie der Thermodynamik anwendbar machen sollte

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  • Florian Pillau
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München, 2. Oktober 2013 – Vor 100 Jahren verloren wir einen Ingenieur, der ein wahrhaft bewegendes Vermächtnis hinterließ. Ohne seinen Motor mit einem heutigen Wirkungsgrad bis zu nahe 50 Prozent hätten wir "Peak Oil" möglicherweise schon längst hinter uns. Seine Begeisterung für Naturwissenschaft, eine gründliche Ausbildung zum Konstrukteur, sein scharfer Geist und eine unerschütterliche Beharrlichkeit ließen ihn einen Motor entwickeln, der Carnot's ideale Theorie der Thermodynamik anwendbar machen sollte.

Wie bei solchen Vorhaben häufig der Fall scheiterte auch Diesel am Absoluten – um dann aber, ganz Ingenieur – eine Umsetzung des praktisch Erreichbaren zu entwickeln. Diese Tatsache war es aber, die ihn danach tragischerweise den Rest seines Lebens mit Patentstreitigkeiten beschäftigen sollte. Als nach über 15 Jahren Arbeit sein "Wärmemotor" funktionierte, hatte er zwar eine Ingenieursglanzleistung vollbracht, aber eben nicht geschafft, den idealen Carnot-Prozess wirklich abzubilden. Der allerdings war die theoretische Grundlage seines bereits früher eingereichten Patents.

Gescheitert am Absoluten

Begonnen hat Diesels Suche nach einer rationellen Kraftquelle wohl, als er erfuhr, wie schlecht der Wirkungsgrad der damals am weitesten verbreiteten Wärmekraftmaschine war. Stationäre Dampfmaschinen lagen damals noch bei etwa 10 Prozent, in Lokomotiven und Schiffen erreichte man durch bessere Ausnutzung der Expansionsarbeit dank variabler Steuerzeiten und Restwärmenutzung auch mal bis zu 15. Mehr war damals nicht drin, und selbst als die letzten stationären Dampfmaschinen und Lokomotiven Mitte der 1960er-Jahre in Deutschland neu ausgeliefert wurden, lagen sie nur knapp darüber. Dass es nicht mehr werden konnte, hatte Diesel bereits viele Jahrzehnte zuvor als Student an der Technischen Universität in München gelernt, denn die thermodynamische Theorie der Dampfmaschine hatten die Wissenschaftler selbstverständlich bereits damals längst vollkommen im Griff. Es waren rein praktische Gründe, aus denen sie sich in bestimmten Bereichen noch so lange gehalten hat.

Diesel soll es regelrecht gekränkt haben, dass so viel Energie ungenutzt bleiben musste. Vielleicht hat ihn seine karge Jugend geprägt, in der sich seine Familie keine Verschwendung leisten konnte. Geboren wurde er in Paris, wo seine aus Süddeutschland eingewanderten Eltern als Gesellschaftsdame und Lederwarenhersteller ein knappes Auskommen hatten. Wegen des Deutsch-französischen Krieges 1870/71 lebte die Familie eine Zeitlang in Großbritannien, dann wurde er wegen der prekären Lage seiner Familie mit zwölf Jahren zu Verwandten nach Augsburg gegeben. Der Pflegevater war Mathematiklehrer an der Gewerbeschule und ließ Rudolf die Gewerbe- und Industrieschule abschließen, schickte ihn nach München an die Technische Universität. Diesels Interesse und Begabung für sein Metier zeigten sich damals in hervorragenden Abschlüssen: 1880 legte er das beste Examen seit Gründung der Technischen Universität München ab.

Kältetechniker entwickelt Wärmemotor

Nach einem halbjährigen Praktikum bei der Maschinenfabrik Sulzer in der Schweiz, später übrigens ein erfolgreicher Dieselmotoren-Entwickler, wird er von seinem ehemaligen Professor Carl von Linde zum Leiter seiner neu errichteten Eisfabrik in Paris gemacht. Zu diesem Zeitpunkt ist Diesel bereits intensiv mit seiner Idee einer rationellen Wärmekraftmaschine befasst und sein Mentor erlaubt ihm, während der Arbeitszeit daran zu forschen. Diesel erkennt, dass er die Effizienz einer inneren Verbrennung nutzen und sie mit hoher Verdichtung würde verbinden müssen. Er geht allerdings noch von einem atemberaubenden, technisch nicht erreichbaren Verdichtungsenddruck von 250 bar aus.

1892 veröffentlicht er die "Theorie und Konstruktion eines rationellen Wärmemotors" und noch bevor irgendein Prototyp gelaufen ist, beginnt man die vielversprechende, neue Theorie in der Wissenschaft intensiv zu diskutieren. Denn der aufgezeigte Weg ist so klar, dass man ihn sofort als hoch interessant erkennt.

Ein Zeitzeuge, Dr. Ing. Muth aus Stuttgart, wird 1913 im Polytechnischen Journal schreiben: "Lebhaft erinnere ich mich noch einer Vorlesung Prof. Schröters Mitte der neunziger Jahre, in der er seinem Auditorium an Hand von Originalzeichnungen Diesels die ersten Mitteilungen über die neue Maschine und über die ersten Versuche machte und einen Ausblick auf die Umwälzung gab, welcher der Kraftmaschinenbau entgegenging. Wir standen unter dem Eindruck eines wichtigen Erlebnisses in der Geschichte des Maschinenbaues".

Bereits die Theorie erzeugt Furore

Erst vier Jahre später zeigt ein von Krupp und der Maschinenfabrik Augsburg (MA, heute MAN) gesponsertes Joint Venture einen ersten Versuchsmotor. Direktor Buz richtet Diesel ein Labor in der MA ein, in dem er ihn weiterentwickeln konnte. Als der Motor zwei Jahre später erstmals Nutzarbeit leistet, gehen die Aktien der Maschinenfabrik Augsburg durch die Decke. Die Versuchsreihen zeigen aber auch, dass dieser Motor nie die ideale, temperaturkonstante Expansion erreichen kann, die Carnots Theorie fordert. Der Arbeitsprozess in dieser Maschine ist viel näher an einer druckkonstanten Ausdehnung. Auf diesen Punkt in Diesels Patent, das nur auf Theorie aufgebaut hat, stürzen sich nun alle Wettbewerber, sei es, weil sie bereits Gasmotoren nach Ottos Prinzip produzieren, sei es, weil sie selber Selbstzünder nach Diesels Prinzip fertigen wollen. Ihre Aggression ist teils aus der Erkenntnis gespeist, dass ihnen Diesels Erfindung mit ihrem deutlich höheren Wirkungsgrad existenziell gefährlich werden kann.

Trotz allen Ärgers kann der Verkauf von Lizenzen genügend Mittel für eine Serienproduktion einbringen. Die MA beginnt die Serienproduktion von Selbstzündern, schon 1897 wird der erste "Wärmemotor Patent Diesel" von Deutz gebaut, 1898 entsteht das erste Modell des schweizerischen Herstellers Sulzer. Von 1902 bis 1910 baut MAN eine erste größere Serie von 82 Motoren mit 12 PS bei 250/min aus 10 Litern Hubraum, von denen mindestens einer noch lauffähig erhalten ist. Bereits 1905 wurde der Motor vom Schweizer Alfred Büchi durch einen Turbolader mit Ladeluftkühler noch effizienter gemacht. Ja, schon 1905.

Streit und falsche Berater

Dass diese Verbesserungen von Büchi kommen, ist vielleicht auch symptomatisch für Diesels Situation: Ihm geht es wie vielen erfolgreichen Entwicklern, er kann sich kaum mehr um seine Erfindung kümmern. Stattdessen muss sich Diesel zunehmend mit Geld- und Rechtsstreitigkeiten, auch falschen Ratgebern herumärgern. Zudem beschäftigt ihn immer noch der Zustand der Gesellschaft. Für sein 1903 erschienenes, gesellschaftsutopisches Buch "Solidarismus, natürliche wirtschaftliche Erlösung der Menschen" findet sich kein Verleger. Doch auch in seiner Erfindung steckte der Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung, sollte sie doch nach seiner Vorstellung kleinen Gewerbetreibenden und Handwerkern zu erschwinglichen Preisen ermöglichen, mit der Industriellen Revolution Schritt zu halten statt unter ihre Räder zu kommen. Denn Dampfmaschinen waren nur für Industrielle wirtschaftlich. Auch lehnt er den Einsatz seiner Motoren zu Kriegszwecken ab.

Dass sein Wärmemotor tatsächlich zu großen Veränderungen beigetragen hat, erlebt der Kältetechniker nicht mehr. Am 29. September 1913 geht er auf der Reise nach London in Antwerpen an Bord des britischen Schiffs SS Dresden. Sein Ziel: Ein Meeting der Consolidated Diesel Manufacturing Ltd.. Nach dem Abendessen wird er nicht mehr gesehen. Am 10. Oktober kann die Besatzung des niederländischen Lotsenbootes Coertsen aus den Kleidern einer Leiche im Wasser Gegenstände bergen, die der Sohn Eugen Diesel am 13. Oktober eindeutig als die seines Vaters identifiziert.