Mit der Ténéré baute Yamaha 1983 eine Über-Enduro und traf damit genau den Zeitgeist

Wüstenkönigin

Vor 30 Jahren avancierte die Ténéré zum Abenteuer-Bike schlechthin. Ihren guten Ruf manifestierte sie auf der berüchtigten Rallye Paris-Dakar und war zeitweise das meistverkaufte Motorrad Europas. Ein Meilenstein der Motorradgeschichte. Bis heute baut Yamaha eine Enduro dieses legendären Namens

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Von
  • Ingo Gach
Inhaltsverzeichnis

Als die XT 600Z Ténéré 1983 erschien, war sie auf Anhieb der Inbegriff des Abenteuermotorrads, so sehr sah sie nach Wüste und Weite aus. Dabei konnte man auf ihr auch jeden Morgen zum Brötchen holen fahren. Ein Hauch von Dakar wehte durch die Innenstädte.

Schon mit der Urgroßmutter aller Enduros im modernen Sinne, der XT 500, hatte Yamaha 1976 einen Volltreffer gelandet. Als sie 1978 die frisch aus der Taufe gehobene Rallye Paris-Dakar gleich zweimal in Folge gewann, begann auch die Konkurrenz das Konzept „Enduro“ zu kopieren. Daher war für Yamaha klar, dass eine stärkere Variante her musste. Nach der etwas glücklosen XT 550 wurde 1983 auf dem Moto Salon in Paris die XT 600Z mit dem Beinamen Ténéré vorgestellt. Ein Name zum Träumen, bezeichnet er doch ein besonders abgelegenes Sanddünengebiet der Sahara im Niger.

Besonders der voluminöse 30-Liter-Tank stach sofort ins Auge. Die Ingenieure hatten das Kunststück vollbracht, das Spritfass so kompakt zu formen, dass es selbst im Gelände nicht störte. Die Ténéré fand auf Anhieb reißenden Absatz, war zeitweise sogar das meistverkaufte Motorrad Europas, in den ersten zehn Jahren wurden 61.000 Stück abgesetzt. Es war als hätte die Motorradwelt auf diese Enduro gewartet.

Leicht und geländetauglich

Der 600-Kubik-Einzylinder mit vier Ventilen brachte für damalige Verhältnisse kräftige 44 PS auf die Kurbelwelle und rannte knapp 160 km/h. Bei Topspeed pendelte sie zwar bedenklich, aber die Fahrer legten ohnehin mehr Wert auf Geländetauglichkeit. Dank ihrer aus dem Motocross stammenden Monocross-Schwinge mit zentralem Federbein und der 41-mm-Telegabel war die Ténéré sehr robust, die langen Federwege schluckten selbst üble Krater und als Sahnehäubchen trug sie die rot-weißen Farben der Werks-Yamahas. Selbst mit vollem Tank brachte die Ténéré nur 162 kg auf die Waage, was die Geländefahrer sehr zu schätzen wussten.

Zahlreiche Fernreisende eroberten auf ihr die entlegensten Winkel der Erde, mit rund 500 km Reichweite und dem schlaglochfesten Fahrwerk brauchten sie sich um das Ankommen wenig Sorgen zu machen.

Image angekratzt

Yamaha brachte bereits 1986 ein überarbeitetes Modell auf den Markt, das allerdings nur noch über einen 23-Liter-Tank verfügte, dafür aber auch per E-Starter zum Leben erweckt werden konnte. Der Tank, unter dem sich jetzt auch der Luftfilter befand, war aus Schwerpunktgründen seitlich tiefer gezogen worden, was sich aber als verhängnisvoll erwies: Der Einzylinder erhielt nicht genügend Kühlung, der Luftfilter zog die heiße Luft vom Zylinderkopf und es kam mitunter zu kapitalen Motorschäden. Der gute Ruf der Ténéré litt.

Ruf gerettet

Der Hersteller reagierte und präsentierte 1988 die Enduro im völlig neuen Kleid. Eine rahmenfeste Verkleidung mit kleinem Windschild und Doppelscheinwerfer wie bei der Werks-Rallyemaschine, einem neu gestaltetem Heck und einer Scheibenbremse am Hinterrad. Der vorderer Kotflügel saß jetzt direkt über dem Reifen und der Luftfilter unter der Sitzbank, so dass der Motor ausreichend Kühlung bekam. Die dritte Generation der Ténéré lief wieder zuverlässig und stärkte das Vertrauen in die Abenteuer-Enduro. Allerdings hatte sie auch einige Kilo zugenommen, wog 188 kg und damit 26 kg mehr als die Ur-Ténéré. Mit dem Gewicht hatten auch die inzwischen 46 PS ihre Mühe, zumal die Konkurrenz nicht schlief und kräftige Zweizylinder-Enduros anbot.

Da wollte Yamaha nicht hinten anstehen und brachte 1989 die Super Ténéré mit einem 749-Kubik-Paralleltwin und 69 PS. Sie ähnelte nicht nur dem Prototyp, den Stephane Peterhansel – bis heute erfolgreichster Teilnehmer der Paris-Dakar – durch die Wüste trieb, sondern bot auch einiges von deren Technik: Wasserkühlung, zwei oben liegende Nockenwellen, zwei Ausgleichswellen und fünf Ventile pro Zylinder. 26 Liter Tankinhalt sicherten eine große Reichweite, allerdings wog die Super Ténéré 226 kg.

Charisma verloren

Als Antwort auf die langsam erlahmende Nachfrage der XT 600 Z Ténéré spendierte Yamaha der Nachfolgerin 1991 einen auf 660 Kubikzentimeter aufgebohrten Einzylinder mit Wasserkühlung und fünf Ventilen, der 48 PS leistete.

Aber die Fans zeigten sich enttäuscht von der XTZ 660, war ihre ehemalige Abenteuer-Enduro doch nun mit kürzeren Federwegen versehen, hatte nur noch einen 20-Liter-Tank, wog 195 kg (und wurde ab 1994 sogar noch schwerer) und sah so gar nicht mehr wie die heißen Werks-Rallyemotorräder aus. Zwar wurde die Ténéré noch sieben Jahre lang weiter gebaut und überarbeitet, aber das Interesse flaute immer weiter ab, sie hatte ihr Charisma der Wüstenkönigin verloren. 1998 lief die letzte Ténéré vom Band. Die globale Fangemeinde trauerte, aber hegte und pflegte ihre alten Ténérés, die bis heute überlebten und erstaunliche Laufleistungen vorweisen können.

Moderner ist nicht immer besser

Im Jahr 2008 kündigte Yamaha voller Stolz die Rückkehr einer Legende an. Doch die neue XT 660Z Ténéré geriet sehr futuristisch, das Design war – vorsichtig ausgedrückt – gewagt und traf sicher nicht jedermanns Geschmack. Unter der hoch aufragenden Plastikverkleidung arbeitete der brave Vierventil-Einzylinder mit 660 Kubik und weiterhin etwas schlappen 48 PS. Die Federwege fielen mit 160 mm vorn und 210 mm hinten nicht gerade üppig aus, das Hinterrad war nur 17 Zoll klein und die Waage zeigte schwerwiegende 216 kg an. Immerhin erwies sich der Single als sparsam und erzielte mit dem 23-Liter-Tank eine große Reichweite. Viele Ténéré-Fans griffen wieder zu und bereisten damit wie einst ferne Länder.

Doch schon lange hatten die großen Zweizylinder den Reiseenduro-Markt fest im Griff. Dort ließ sich gut Geld verdienen und Yamaha brachte endlich 2010 die Nachfolgerin der bis 1996 gebauten Super Ténéré. Ein 1200er-Motor mit 110 PS trieb die riesige Enduro an. Ihre Dimensionen waren üppig, das Gewicht betrug stattliche 261 kg, aber die Optik gefiel, sie versprühte endlich wieder das Flair des Abenteuer-Bikes. Erstaunlich, dass sie immer noch von dem Charisma eines Motorrads lebt, dass vor 30 Jahren seinen Siegeszug über den Globus antrat.