Vom Stern zu P2P

Zwischen Taxi und Massentransport: Smart Shuttles

Beim Entwurf öffentlicher Transportmittel tritt immer wieder die Skalierbarkeit als Problem ein: Die Ubahn, die zu Stoßzeiten brechend voll ist, fährt den Rest des Tages fast leer. Kleinere Gefäßgrößen mit intelligenter Vernetzung sollen hier Abhilfe schaffen.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Clemens Gleich

Trotz der großen Probleme des Individualverkehrs tun sich öffentliche Verkehrsmittel schwer, Alternativen anzubieten, die sich sowohl für die Betreiber als auch für die Passagiere lohnen. Wer nicht für Stoßzeiten plant, wird an der stoßweisen Überlastung Kunden verlieren; wer für die Peaks gerüstet hat, wird zu den Off-Zeiten leere, große Kabinen teuer durch die Gegend fahren. Seit öffentliche Verkehrsmittel mehr und mehr aus staatlicher Hand an private Betreiber gegeben wurden, fielen Strecken aufs dünner besiedelte Land aus und selbst in Stadtgebieten fahren die Öffis der Auslastung wegen gern sternförmig. Wer weiter vom Zentrum entfernt eine Strecke zurücklegt, muss daher erhebliche Umwege über den nächsten Knotenpunkt in Kauf nehmen. Kleinere Gefäßgrößen müssen her.

Anruf-Sammel-Smart-Shuttle

Zu diesem Problem bieten aktuell mehrere Anbieter die Lösung smarter Shuttles an. Ein Smart Shuttle wird nach Bedarf gerufen wie ein Taxi, und wie das Taxi fährt es bis zum Ziel. Es ist nur üblicherweise größer, damit es bei mehr Bedarf auch mehr Passagiere mitnimmt. Der Einzelne hat davon als Nachteil nur kleinere Umwege, zu einem Preis, der über dem der Zeit-getakteten öffentlichen Verkehrsmittel liegt, aber deutlich unter dem des Taxis. Die dynamische Routenplanung, Logistik und Verwaltung übernimmt ein Software-System, das im Backend auf typischerweise vom Anbieter betriebenen Servern läuft und im Frontend bei Fahrern und Passagieren auf dem Smartphone oder Tablet.

Es existieren mehrere Anbieter solcher Systeme auf dem deutschen Markt, die sich in mehr Eigenschaften gleichen als unterscheiden. Anruf-Sammel-Taxi, Taxibus, Rufbus oder Anruf-Linien-Taxi hießen sie früher, heute geht der Trend eher zu Kunstnamen, die auch die dahinterstehende Software einschließen soll, zum Beispiel Ioki (Deutsche Bahn) oder Moia (Volkswagen). Wir sprachen mit der Hamburger Firma Wunder Mobility kurz nach ihrer Entscheidung, nicht an Moia/VW zu verkaufen, sondern ihr Angebot eigenständig weiter zu vermarkten, um den Lesern einen Einblick in diesen Geschäftsbereich zu geben.

Ride Sharing in Manila

Die Wunder-Lösung begann als Ride-Sharing-Plattform: Pendler mit Auto nehmen Pendler ohne Auto mit, die Verabredungen finden per App statt, die Abrechnung legt die Plattform fest. Wie bei Blablacar auf Fernrouten legte auch hier der Anbieter fixe Preise für alle fest. Das kam in Deutschland aber nicht an. Es lohnte sich für deutsche Pendler offenbar schlicht nicht, für ein, zwei Euro noch jemanden mitzunehmen. In Manila, dem Ballungsraum Cebu (auch Philippinen), Delhi, Mumbai und Bangalore dagegen sah die Sache schon ganz anders aus. Dort sind Pendelzeiten von rund 3 Stunden pro Tag üblich und die Fahrzeugeigner gern bereit, ihr Auto mit anderen Pendlern zu füllen für durchschnittlich einen Euro pro Person und Fahrt. Als nächster Schritt startet "Wunder Carpool" in der Metropole Kairo. Der Pendler mit Fahrzeug kommuniziert per App seine Route, die Pendler ohne Fahrzeug kommunizieren ihren Standort und ihren Zielwunsch, man findet in einer möglichst optimalen Route zusammen.

Die in den Megacities über Routen, Menschenverhalten und Mobilität ganz allgemein gesammelten Erfahrungen und Daten kehren mit Wunders Angebot der Smart Shuttles wieder zurück nach Deutschland. Die Fahrzeuge sollen die Lücken im öffentlichen Nahverkehr schließen und Preise von durchschnittlich 3 bis 5 Euro pro Fahrt kosten – wohlgemerkt: auf Abruf und bis Ziel. Die eigentliche Personenbeförderung erledigt ein Betreiber, der bei Wunder die Plattform kauft. Das sieht dann so aus, dass Wunder zum Beispiel an Ausschreibungen von Gemeinden teilnimmt, die einen modernen Taxibus-Service anbieten wollen. Ihre Abrechnungsmodalitäten passen sie daher den Ausschreibungen an. Meistens kostet es einen sechsstelligen Betrag für die Einrichtung des Systems plus Cent-Beträge pro Transaktion. Wie genau abgerechnet wird, gibt jedoch letztendlich die Ausschreibung vor. Mit dem wie auch immer strukturierten Betrag kauft der Betreiber die Software-Dienste der Wunder-Server und die App für Android beziehungsweise iOS, angepasst in der jeweils eigenen Gestaltung des Betreibers.

Die Fahrzeuge schafft der Betreiber gesondert an, genauso wie die Mobilrechner für die Apps. Wunders Software arbeitet komplett unabhängig vom eingesetzten Fahrzeug, liest nichts aus dem Fahrzeug aus, verlangt keine Anbauten – außer vielleicht eine Stromversorgung für das Mobilgerät. Stattdessen läuft alle fahrzeugseitige Logistik über das Smartphone/Tablet des Fahrers, in einer Fahrer-App. Diese Vorgehensweise macht die Lösung so flexibel, dass mit beliebig alten, beliebig weit vom Mainstream entfernten Fahrzeugen gefahren werden kann. Im Prinzip könnte der Fahrer also auch eine Pferdekutsche oder Rikscha betreiben. In der Praxis fährt er meistens einen ganz normalen Kleinbus: VW T-Modelle, Opel Vivaro, Renault Trafic, Mercedes Viano/V-Klasse, etwas aus dieser Gefäßgröße eben. Wunder selbst betreibt eine Testinstallation in Hamburg mit VW-Bussen: Mitarbeiter der Firma pendeln von und zur Arbeit per Smart Shuttle. Augen offen halten, solche Angebote könnten in der nächsten Zeit durchaus auch auf Ihren Pendel-Routen aufploppen, sei es nun von privat von der Firma oder öffentlich von der Gemeinde organisiert. (cgl)