i1-Spur

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Stuttgart, 5. Mai 2014 – Die Eckdaten des neuen Elektro-Großrollers von BMW lesen sich wie folgt: 265 kg, rund 100 km Reichweite, 15.000 Euro. Es ist wie die Speisekarte eines veganen Restaurants: Für WAS soll ich WIEVIEL zahlen?! Doch der Unterschied zu vergangenen Produkten vom Planeten Vega steckt wie der Teufel in den Details. Das erste Detail ist schon die nötige Führerscheinklasse. Dieses fette Gerät ist ein A1-Fahrzeug, wird also zugelassen wie eine 125er mit 11 kW Nennleistung. Dem Fahrer stehen jedoch jederzeit 35 kW auf Abruf bereit. Die Zulassung kommt zustande, weil die Nennleistung für A1 als Dauerleistung gemessen wird, und als Dauerleistung stehen tatsächlich nur 11 kW an. Wahrscheinlich werden in Zukunft mehr Hersteller diese Eigenheit der Homologation von Elektroantrieben ausnutzen, was ich begrüße: Jedes Zweirad im Verkehr, das ein Auto ersetzt, macht den Verkehr für alle flüssiger.

Die Überlast des E-Motors mit 35 kW Spitze hält der Antrieb so lange durch, bis das Fahrzeug aus dem Stand seine abgeregelte Endgeschwindigkeit von 120 km/h erreicht hat. Es gibt also in der Praxis keine Situation, in der diese Leistung nicht zur Verfügung steht, was in der Stadt toll funktioniert: 2,7 Sekunden von Ampelstopp auf 50 km/h. Die 100 steht nach 6,2 Sekunden auf dem TFT-Display. Aber der Boost ist mehr als einfach nur schön. Da der C Evolution wie viele E-Fahrzeuge keine schleifbare Kupplung hat, muss man ihn allein mit dem Motordrehmoment die Tiefgaragenrampe hochkriegen, zu zweit mit Gepäck. Das hohe Drehmoment reißt das Hinterrad bei der Testfahrt selbst im Trockenen gelegentlich in den Schlupf. Dann regelt die Traktionskontrolle. Die greift überraschend hart ein. Besonderheit der TK: Sie regelt auch bei der Rekuperation auftretenden negativen Schlupf aus – mitgedacht.

i-lectric wie bei den Autos

Die 8-kWh-Traktionsbatterie besteht aus denselben Modulen wie die der i-Autos, mit denselben Zellen von Samsung. Im C Evolution stecken die Module in einem Alu-Träger, der gleichzeitig als der Rahmen herhält. Die Batterie ist luftgekühlt, bei großer Hitze ziehen Ventilatoren Luft am Rahmen vorbei. Die Leistungselektronik ist wassergekühlt, mit zwei kleinen Radiatoren vorne in der Verkleidung, ebenfalls mit Lüfter für extreme Außentemperaturen im Stau. Eine Steuerelektronik in der Batterie erkennt Fehlerströme und schaltet bei Zündung aus oder gedrücktem Kill-Schalter ihr Hochvoltsystem mit maximal 150 Volt nach außen spannungsfrei.

Bremse ziehen und Startknopf drücken, dann funktioniert der Gasgriff rechts, oder besser: der Drehmomentgriff. Mit einem UFO-mäßigen, leise wummernden Heulen hauptsächlich aus dem Endantrieb (ein in der Schwinge gekapselt laufender Zahnriemen) fährt der C los. Die Balance ist wie bei den verwandten Zweizylinder-Großrollern hervorragend, aus demselben Grund: Die schweren Teile hängen tief im Chassis, was zum typischen Stehaufmännchen-Handling führt. Die Ansteuerelektronik des E-Motors löst so fein auf, dass millimetergenaues Kriechen am Gasgriff funktioniert. Außerdem gibt es Rückwärtsfahren auf Knopfdruck. Tschüs, Füßeleinparken!

Moar Modes!

Ein heller TFT-Bildschirm vor dem Lenker zeigt die üblichen Daten des Tachos plus wichtige Zustandsdaten der E-Maschine. Es gibt Balken, die anzeigen, ob sie gerade als Generator lädt oder als Motor anschiebt. Außer Restreichweite und Ladezustand in Prozent zeigt der Bildschirm auf Knopfdruck links am Lenker sogar die aktuelle Spannung der Traktionsbatterie an oder die des 12-Volt-Netzes. Rechts am Lenker befindet sich der übliche BMW-Modus-Wahlknopf für die Modi "Dynamic", "Road", "Sail" und "Eco Pro".

Mir gefällt, dass sich diese Modi mit Ausnahme von Eco Pro nur durch die Stärke des Rekuperierens bei Gasgriffstellung Null unterscheiden. Dynamic schaltet die elektrische Bremse auf Maximum, Road auf einen mittleren Wert, der recht nahe bei üblichen Motorrad-Motorbremsen liegt, Sail schaltet die Bremse aus für freies Rollen. Der Vortrieb bleibt jedoch in allen drei Modi gleich satt. Eco Pro kappt die Leistung bei maximaler Rekuperation, damit die Batterie im Schnitt 10 Prozent mehr Kilometer hält. In der Praxis wird das die Heimhumpel-Funktion sein, wenn es von der Reichweite her eng wird. Fahren mit der reduzierten Leistung ist nämlich eher unerfreulich, vor allem im Kontrast.

Das Onboard-Ladesystem unterstützt nur 230-V-Wechselstrom mit bis zu 16 Ampere. Gleichstrom-Schnellladung hat sich BMW gespart, weil sie wahrscheinlich nur für einen Bruchteil der Kundschaft interessant wäre. Eine Spaß-Ausfahrt an einen schönen Ort mit Gleichstrom-Druckbetankungsdings am Randbereich der Reichweite muss also ausfallen oder mit einem längeren Mittagessen kombiniert werden: An 230 Volt dauert es bei 16 Ampere Stromstärke rund 3 Stunden, bis eine entladene Batterie wieder voll ist.

Ich glaube, dass Käufer solche Ausfahrten tatsächlich unternehmen werden, weil das Teil noch um einiges besser fährt als seine Zweizylinder-Verwandten, die schon recht motorradnah Schräglagenspaß machen. Der C Evolution ist in der Endgeschwindigkeit natürlich langsamer, aber er hat überall Druck, der sofort am Hinterrad anliegt, statt zunächst am CVT-Gummiband. Wie jedes gute E-Fahrzeug zeigt auch der C, dass ein elektrischer Antrieb bis auf die Unzulänglichkeiten der Batterie nur Vorteile hat.

Die Unzulänglichkeiten der Batterietechnik

Die Batterie ist der Grund für den Aufpreis gegenüber den Zweizylinder-C-Modellen. Sie ist ein chemischer, zyklischer Energiespeicher, wie wir ihn von unserer Unterhaltungselektronik kennen. BMW garantiert nach 5 Jahren oder 50.000 Kilometern eine Akkukapazität von mindestens 70 Prozent des Neu-Nennwerts. Das ist analog zum Stand der Technik. Nur sollten sich Interessierte die Praxis zu dieser Theorie klarmachen: Wenn in 5 Jahren der 40 Kilometer entfernte Arbeitsort nicht mehr in der Reichweite "hin und zurück" liegt, ist diese Garantie erfüllt. Und die Traktionsbatterie ist das mit Abstand teuerste Teil eines batterieelektrischen Fahrzeugs.

Wir wollen niemandem den Spaß verderben, nur ist die Kaufüberlegung zu einem E-Fahrzeug ohne Überlegungen zum Akkuverfall nicht vollständig. Denn so oft die Autoindustrie auch Anderes behauptet, letztendlich verwendet sie dasselbe Substrat wie jenes in Ihrem Smartphone. Batteriedegeneration kennt jeder, es sollte also nicht schwer sein, diese Erfahrungen auf den Roller zu übertragen. Der Akkuträger ist natürlich so gebaut, dass die Zellen getauscht werden können, wenn sie ihr Lebensende erreicht haben. Ansonsten beschränken sich Wartungsarbeiten im Prinzip darauf, die Bremsflüssigkeit regelmäßig zu kontrollieren und ab und zu neue Reifen aufzuziehen. Vernünftig konstruierte elektrische Antriebe halten meistens Jahrzehnte ohne weitere Probleme durch. Selbst die Bremsbeläge verschleißen bei hauptsächlicher Nutzung der elektrischen Bremse kaum noch.

Natürlich ist dieser Großroller viel zu teuer. Aber hat das je dem Verkaufserfolg eines BMW-Produkts Abbruch getan? Schon die C-Geschwister mit dem Reihenzweizylinder waren so teuer, dass alle Journalisten nur ihren Kopf geschüttelt haben. Wer soll das denn kaufen? Na, die BMW-Kunden, vor allem die in Städten. Sie taten das, was sich die Nichtkäufer nicht vorstellen konnten: kaufen. Sie werden das auch beim C Evolution tun, trotz des Preises. Denn eines hat BMW allen Anderen voran von Tesla gelernt: Wenn du etwas viel zu teures verkaufen willst, dann bau etwas, das Leute wirklich wollen. Keine Sau braucht den C Evolution. Doch wie den i3 werden ihn viele Leute kaufen, weil sie genau soetwas so spannend finden, dass sie es wollen.