Fahrzeuge von Sony & Co.

Autos bauen ist gar nicht so schwer. Oder doch? Spätestens seit der Vorstellung des vollelektrischen Sony Vision-S fragt man sich, ob inzwischen jeder beim Automobilbau mitmischen kann.

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Fahrzeuge von Sony & Co.

(Bild: 1:10-Modell H2 Speed / mit Material von Pininfarina)

Lesezeit: 11 Min.
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Dass nicht nur alteingesessene Milliardenunternehmen mit Jahrzehnten Erfahrung ein Auto bauen können, haben Tesla oder auch die Deutsche Post mit ihrem E-Transporter längst bewiesen. Auch Apple und Google wollen bekanntlich bei der Mobilität von morgen mit­mischen.

Mit der Vorstellung des Konzeptautos Vision-S ist Sony dennoch eine Überraschung gelungen. Zumal das Fahrzeug selbst aus der Nähe betrachtet derart ausgereift wirkt, als könne man einfach den Startknopf drücken und losfahren.

Tatsächlich ist der E-Flitzer vom Unterhaltungskonzern Bote einer neuen Ära im Automobilbau. Vieles spricht dafür, dass künftig mehr Autos von TV-Herstellern, Discountern oder Wurstfabrikanten kommen.

Hinter Sonys Vision-S stehen gleich elf große Namen der Automobilzulieferbranche. Da wäre zuoberst der Auftragsfertiger Magna Steyer, der in Österreich Fahrzeuge in Kleinserie auch für die großen Automobilmarken herstellt. Er fertigt Klassiker wie den Geländewagen Mercedes G oder Sportfahrzeuge, jüngst zum Beispiel den in Zusammenarbeit mit BMW entstandenen Toyota Supra GR. Zusammengebaut wird der Vision-S also in einer erfahrenen Autoschmiede.

Die Zulieferindustrie wird gemeinhin in drei unterschiedliche Ebenen (Tiers) geteilt. An der Spitze der Pyramide stehen die OEMs (Tier 0), die eventuell zu einem Konzern gehörigen, aber unter eigenem Namen produzierenden Premium-Marken von Audi bis Volvo. Da Magna Steyer komplette Fahrzeuge fertigt, werden die Öster­reicher oft als Tier 0,5 bezeichnet – es steht halt nur nicht Magna auf den Fahrzeugen drauf. Darunter kommen die Anbieter kompletter Systeme in Tier 1, die etwa ­Abgasreinigungsanlagen oder Antriebsstränge liefern. Sie wiederum erhalten Einzelteile von den Zulieferern der Tier 2.

Zu den Zulieferern für den Sony ­Vision-S zählen die Großen der Branche: Continental, Bosch, ZF und Benteler, die sowohl als Einzelteilelieferant als auch als Systemanbieter agieren. Immer wichtiger werden Elektronik und Software: Auch Qualcomm und Nvidia lieferten zu, und vom Erlanger Unternehmen Elektrobit stammt die Software für Tacho und Infotainment. Nur wenige der Komponenten des Vision-S stammen direkt von Sony (siehe Kasten).

Marco Kollmeier leitet die Abteilung Elektromobilität bei Benteler, einem Unternehmen der „Sony-Elf“. Was genau man zum Sony-Car beigetragen hat, darf er nicht sagen – ein übliches Vorgehen in einer Branche, in der sich die Zulieferer dezent hinter den großen Marken halten müssen. „In den vergangenen Jahren ist eine Entwicklung hin zu immer komplexeren Vorprodukten festzustellen“ erklärt Kollmeier im Gespräch mit c’t. Auch Benteler hat sich von einem Anbieter von Komponenten für ­Karosserie und Fahrwerk inzwischen zum Systemanbieter gewandelt.

Mit dem Benteler Electric Drive System (BEDS) bietet das Unternehmen eine serienreife Plattformlösung für Elektromobile an. Das in Kooperation mit Bosch entwickelte BEDS in der Version 2.1 bringt als „rolling chassis“ alles mit, was man zum Aufbau eines E-Fahrzeugs benötigt: vom Batterieblock über die passenden E-Motoren, Bremsen und das Crash-, Thermo- und Lademanagement als Software – induktives Laden wird auf Wunsch ebenfalls angeboten. „Unser BEDS erlaubt es auch weniger erfahrenen Herstellern in kürzester Zeit, ein elektrifiziertes Serienfahrzeug auf den Markt zu bringen“, sagt Kollmeier.

Das Benteler Electric Drive System bietet branchenfernen Herstellern eine Plattform, mit der sie schnellstmöglich ein E-Fahrzeug auf die Straße bekommen.

(Bild: Vibracoustic)

Die Rechnung scheint aufzugehen. So ist Benteler durch einen Lizenz-Deal an einer der größten Elektrifizierungsprojekte weltweit beteiligt. Die chinesische „Evergrande New Energy Automobile Group“ hat es sich zum Ziel gesetzt, in den nächsten fünf Jahren zum größten Hersteller von E-Autos zu wachsen. Das Stammgeschäft: Immobilien. Evergrande hat die Lizenz zur Weiterentwicklung des BEDS erworben. Das Unternehmen will 15 Modelle von der Luxus- zur Mittelklasse bauen und in 10 Jahren 8 Millionen Fahrzeuge verkaufen. Hier zeichnet sich ein weiterer Trend ab: Man muss ein Fahrzeug nicht unbedingt selbst bauen, um Geld damit zu verdienen, sondern das Lizenzieren einer Plattform kann ebenso lukrativ sein.

Die Projektdauer für den Vision-S ­betrug zwei Jahre – ein vergleichsweise kurzer Zeitraum von der Idee bis zum Auto. „Diese kurzen Entwicklungszeiten sind nur möglich, weil die unterschied­lichen Industriezweige nahtlos zusammenarbeiten“, so Kollmeier. „Niemand muss heute Heerscharen von Ingenieuren einstellen, um ein solches Fahrzeug an den Markt zu bringen.“ Kollmeier rechnet aus diesem Grund künftig mit immer mehr „new OEMs“, die – abseits vom Geschäftsmodell klassischer Autohersteller – eigene Fahrzeuge auf den Markt bringen werden und dabei auch neue Geschäftsmodelle abseits des Autoverkaufs verfolgen.

Spätestens ein Blick ins Innere des Sony Vision-S zeigt: Hier geht es realistisch zu. So wie das Konzeptfahrzeug vorgestellt wurde, könnte es schon morgen unauffällig auf der Straße rollen.

(Bild: Sony)

Ein weiterer Grund für die schnelle Umsetzung des Vision-S mag man in seiner Antriebsart vermuten. Denn dass ein E-Auto gegenüber einem Verbrenner mit weniger Teilen gefertigt werden kann, hat sich inzwischen herumgesprochen. Andererseits ist der Bau von Elektrofahrzeugen mit größeren Herausforderungen verbunden, wie ein Besuch beim Zulieferer ­Vibracoustic in Weinheim zeigt.

Er hat sich auf die Herstellung von Teilen spezialisiert, die man auf den ersten Blick nicht mit „High-Tech“ in Verbindung bringen würde: Alles dreht sich ums Gummi. Vibracoustic ist unter anderem spezialisiert auf Dämpfer, auf denen der Motor eines Fahrzeugs lagert. Die Antriebsaggregate übertragen unerwünschte Schwingungen als Körperschall auf die Karosserie, was störende Innengeräuschpegel zur Folge haben kann. Erst die elastische Aufhängung sorgt für eine akustische Entkopplung des Motors vom Fahrzeug­innenraum und reduziert unangenehme Vibrationen.

Bei einem Verbrennungsmotor lassen sich diese Effekte nach recht einfachen Formeln berechnen. Die Zündvorgänge der Zylinder geben passend zur Drehzahl des Motors den Takt vor, die nieder­frequenten Schwingungen führen zu ­Vibrationen und Störgeräuschen.

Dass sich hier durch die Elektro­mobilität einiges ändert, wird deutlich, sobald man den Hochfrequenzmessraum in Weinheim betritt. „Was wir hier messen, sind nicht mehr sichtbare, sehr wohl aber akustisch wahrnehmbare Schwingungen“, erklärt Rainer Elenz, Test-Technology-­Spezialist bei Vibracoustic. In dem schwergewichtigen Messaufbau ist ein Motor­lager eingespannt, das im Testverlauf mit einem Frequenz-Sweep angeregt wird. „Es kann bei einem Elektromotor zu Anregungen kommen, die in Frequenzbereiche von 2000 Hz bis 3000 Hz deutlich hörbar sind“, erläutert Elenz. Je geringer die Steifigkeit des Motorlagers in einem bestimmten Frequenzbereich ausfällt, desto geringer wirken später Kräfte vom Motor auf die Karosserie durch.

Im Motorlager aus Gummi sind kleine Metallplatten eingearbeitet: „Ändert man beispielsweise das Material dieser Elemente von Stahl zu Aluminium, lässt sich der Bereich der verringerten Steifigkeit um etwa 500 Hz verschieben.“ Weist eine ­Karosserie einen problematischen Drehzahlbereich auf, so kann man diesen gezielt verbessern. Im Vergleich zur akustischen Optimierung eines Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor sind diese filigranen ­Justierungen ungleich komplizierter.

„Elektro“ ist nicht gleich „einfach“. Im Hochfrequenz­labor wird die Charakte­ristik eines Motor­lagers bestimmt. Der Aufwand ist nötig, um im Fahrzeuginnenraum unangenehme Resonanzeffekte zu vermeiden.

(Bild: Vibracoustic)

Auch die Wahrnehmungspsychologie macht den Bau von E-Fahrzeugen zu einer Herausforderung, denn durch den Wegfall der sonst üblichen Schallkulisse des Verbrennungsmotors liegt die Aufmerksamkeit der Passagiere unweigerlich auf den verbleibenden Soundquellen im Fahrzeug, beispielsweise auf den Klimaaggregaten für Innenraum und Fahrzeugakkus. Selbst ein leicht klapperndes Gebläse setzt in einem Elektrofahrzeug schnell ungekanntes Nervpotenzial frei. Ein E-Auto mag aus weniger Teilen gefertigt sein, um diese aber zu einem komfortablen und sicheren Fahrzeug zusammenzufügen, braucht es zusätzliches Know-how in unterschiedlichen Fachdisziplinen.

Viel spricht dafür, dass die Autowelt künftig deutlich vielschichtiger und bunter wird. Sony hat als prominenter „new OEM“ den Paradigmenwechsel mit seinem Vision-S sichtbar gemacht. Möglich werden diese Autos weniger durch den Wechsel vom Verbrenner zum E-Fahrzeug. Am Ende erlaubt es der Mix aus hochkomplexen Zulieferkomponenten, dem generellen Zusammenwachsen unterschiedlicher Industriezweige und einer global vernetzten Entwickler-Community auch Unternehmen fernab der Auto-Branche, ein Fahrzeug auf vier Räder zu stellen.

In einem „Rügenwalder“ nimmt man vielleicht nicht so gerne Platz. Aber wenn es von Porsche schon Wasserkocher gibt, warum dann nicht ein Fuhrwerk von Vorwerk? Unser Titelbild zeigt übrigens ein Spielzeugauto der italienischen Designschmiede Pininfarina – Kostenpunkt 500 Euro. Noch dieses Jahr wollen die Italiener mit einem extravaganten Elektroauto auch die großen Kinder begeistern. „Designed in Italy“ und „Powered by Benteler Electric Drive System“.


Ein genauerer Blick auf die Komponenten im Sony Vision-S zeigt: Ein GroĂźteil der eingesetzten Elektronik ist schon serienreif oder nah dran.

Sony will zuvorderst mit seiner Sensor-Expertise punkten. Aus insgesamt 33 Sensoren, darunter Kameras, Radar und Solid State LiDARs, baut Sony einen „Sicherheitskokon“. Außer mit einer Rundumsicht versorgen die Sensoren das Auto auch mit Informationen über seine Passagiere, helfen beim Einparken und ersetzen herkömmliche Rückspiegel. Für die Datenverarbeitung nutzt Sony die Autoplattform Nvidia Drive.

Sonys Vision-S steckt voller ­Sensorik. Ein ­Großteil der ­Elektronik ist schon serienreif.

Neben konventionellen RGB-Sensoren setzt der Kameraspezialist Sony dabei auch Time-of-Flight-Sensoren ein. Bei den insgesamt drei unterschiedlichen Kameras des Vision-S handelt es sich nicht um neu entwickelte Prototypen, sondern um mitunter bereits 2017 vorgestellte Kameratechnik. Das Sony Vision-S ist kein Blick in eine ferne Zukunft, sondern soll zeigen, was Sony jetzt als Zulieferer leistet – auch wenn das Unternehmen auf Anfrage nicht näher darauf eingehen möchte, ob und in welchem Ausmaß das bereits der Fall ist.

Da verwundert es nicht, dass nicht der Sensor IMX 490 dem Auto Augen verleiht, sondern sein Vorgänger IMX 390 (vorgestellt Mitte 2017). Der winzige Sensor im 1/2,7-Zoll-Format (Diagonale: 6,67 Millimeter) beherrscht den simultanen Einsatz von LFM- und HDR-Technologie – und war damit 2017 der erste seiner Art. Die sogenannte LFM-Technologie (LED Flicker Mitigation) reduziert das Flimmern von LED-Verkehrszeichen, sodass selbstfahrende Autos sie besser erkennen. Die gleichzeitige Aufnahme in High Dynamic Range (HDR) ermöglicht die Darstellung heller Partien einer Szene, etwa Verkehrszeichen in der Sonne, ohne dass dunkle Teile – ein im Schatten kreuzender Passant – verschluckt werden. Damit die anfallenden Daten aller 12 Sensoren schnell genug verarbeitet werden können, lösen die insgesamt acht IMX 390 im Vision-S mit nur jeweils 2,45 Megapixeln auf.

Der Sensor für den Blick nach vorn und zurück (IMX 424, 7,4 MP) war nach Sony-Angaben der erste Stacked Sensor für den Automotive-Einsatz; für Digitalkameras hatte Sony solche Chips bereits 2015 auf den Markt gebracht. Dabei ­handelt es sich um einen Mehrschichtprozessor mit einer separaten Ebene für Fotosensor und Schaltelektronik, was für eine besonders schnelle Bildverarbeitung sorgen soll. Sowohl IMX 390 als auch IMX 424 arbeiten aufgrund der niedrigen Auflösung mit relativ großen Sensorpixeln, was sie lichtempfindlich für Fahrten in der Dunkelheit macht.
Der Time-of-Flight-Sensor im Innern richtet seinen Blick auf die Insassen. ­Anders als die Infrarotkameras in Audis Konzeptauto AI:ME lesen die ToF-Kameras den Passagieren ihre Wünsche nicht von den Augen ab, sondern erfassen Szenerien per Lichtpuls und reagieren auf Gesten.

Die Automatisierung des Vision-S entspricht derzeit Level 2+, also kann das Auto in bestimmten Situationen Brems-, Beschleunigungs- und Lenkvorgänge übernehmen. Ein Ausbau auf Level 4 – das Auto kann beispielsweise auf der Autobahn voll autonom fahren – soll ­folgen. (rbr)


Dieser Artikel stammt aus c't 5/2020. (sha)