10 Jahre CEO: Wie Satya Nadella bei Microsoft den Kulturwandel vollzog

Als CEO machte Satya Nadella Microsoft zum wertvollsten Unternehmen der Welt. Doch die Ära Nadella begann vor zehn Jahren mit einer herben Niederlage.​

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 263 Kommentare lesen
Satya Nadella spricht in Microsofts Berliner Niederlassung ĂĽber die Chancen von KI.

Satya Nadella spricht in Microsofts Berliner Niederlassung ĂĽber die Chancen von KI (2023).

(Bild: heise online/vbr)

Lesezeit: 9 Min.
Inhaltsverzeichnis

Als Satya Nadella am 4. Februar 2014 offiziell die Nachfolge von Steve Ballmer als CEO von Microsoft antrat, ĂĽbernahm er ein schwieriges Erbe. Der gebĂĽrtige Inder ist damals schon ĂĽber 20 Jahre im Unternehmen, hat FĂĽhrungserfahrung. Die Ă„ra Nadella beginnt mit einem schweren RĂĽckschlag, doch heute steht das Unternehmen besser da denn je.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

2014 ist Microsoft ein stagnierender Konzern. Zehn Jahre lang waren unter Steve Ballmer, dem nach Bill Gates zweiten CEO, zwar die Umsätze gestiegen, aber der Aktienkurs und damit der Wert des Unternehmens bewegte sich nur seitwärts. Ballmer stand unter Beschuss und musste im Oktober 2013 seinen Hut nehmen. Der bullige Sales-Manager hinterließ viele Baustellen und eine von Konfrontation geprägte Firmenkultur, aber mit Azure auch eine vielversprechende Neuentwicklung.

Ballmer hatte die Vision eines Unternehmens, das mit Services und Mobile wachsen sollte. Die Übernahme des Kerngeschäfts von Nokia für 7,9 Milliarden US-Dollar sollte Microsofts Position im Smartphone-Markt stärken, der von Apple und Google dominiert wurde. Im Verbund mit Nokias Geräten, insbesondere der Lumia-Reihe, sollte die Plattform Windows Phone eine einheitliche und integrierte Erfahrung für die Nutzer schaffen.

Die Übernahme erwies sich als ein Fehlschlag. Windows Phone konnte als Plattform nicht mit der Konkurrenz mithalten und die Nokia-Geräte verursachten hohe Verluste. Nadella, zuvor für Microsofts Cloud-Geschäft verantwortlich, galt als Gegner der Nokia-Übernahme. Als CEO musste er das von seinem Vorgänger angebahnte Geschäft abschließen – um es nur ein Jahr später abzuwickeln.

2015 schrieb Microsoft 7,6 Milliarden US-Dollar ab und entließ zigtausende Mitarbeiter aus dem Mobilfunkbereich. In der Folge gab das Unternehmen 2017 die eigene Plattform Windows 10 Mobile auf. Auch der Nachfolger von Windows Phone litt unter einem Mangel an Apps, Marktanteilen und Nutzerinteresse. Microsoft entschied sich stattdessen, seine Software und Dienste auf iOS- und Android-Geräten anzubieten.

Nadella prägte dafür den Slogan "Cloud First, Mobile First": Microsoft sollte Produkte und Dienstleistungen mit Blick auf mobile Endgeräte und Cloud-Back-Ends entwickeln. Am 25. Juni 2015 verschickte Nadella eine Mail an alle Mitarbeiter mit einer neuen Direktive: "Our mission is to empower every person and every organization on the planet to achieve more". (Unsere Mission ist es, jede Person und jedes Unternehmen auf dem Planeten zu befähigen, mehr zu erreichen.)

Dieses "Mission Statement" gilt bis heute. Motor des Wachstums ist die Partnerschaft mit anderen Unternehmen. Nach der Wertvorstellung von Nadella muss eine solche Partnerschaft stets beiden Seiten dauerhaft nutzen: Eine Plattform, die mehr verdient als ihre Nutzer, kann auf Dauer keinen Bestand haben.

Vor Nadella war Microsofts Firmenkultur von der Konkurrenz zwischen Teams und einzelnen Mitarbeitern gekennzeichnet. Nadella beschrieb diese Ă„ra in seinem Buch "Hit Refresh" als eine Zeit, in der Innovation durch BĂĽrokratie und Teamwork durch interne Politik ersetzt wurde. Veranschaulicht wird das durch die berĂĽhmte Karikatur des ehemaligen Google-Mitarbeiters Manu Cornet, der Microsofts Organigramm als kriegfĂĽhrende Fraktionen darstellte.

Nadella verordnete Managern und Mitarbeitern einen "Growth Mindset". Das Konzept des Growth Mindset geht auf die amerikanische Psychologin Carol Dweck zurück, die über Schüler und ihre Einstellung zum Versagen forschte. Nach dieser Denkschule sind Fähigkeiten und Intelligenz erlernbar und Herausforderungen bieten Gelegenheit zu lernen. Menschen mit einem Growth Mindset bringen ein gehöriges Maß an Arbeit und Durchhaltevermögen auf, um ihre Fähigkeiten zu erweitern und ihre Ziele zu erreichen. Menschen mit einem "Fixed Mindset" hingegen meiden Aufgaben, die als zu groß empfunden werden, geben bei Schwierigkeiten auf und sehen Kritik als Bestätigung ihres Misserfolges.

Um die Kulturveränderung zu unterstützen, führte Nadella auch neue Bewertungs- und Belohnungssysteme für die Mitarbeiter ein. Er schaffte das umstrittene "Stack Ranking" ab, das die Mitarbeiter dazu zwang, sich gegenseitig zu bewerten. Er ersetzte es durch ein System, das die Mitarbeiter nach ihrer Leistung, ihrem Wachstum und ihrem Beitrag zum Erfolg ihrer Kollegen beurteilt. Er erhöhte auch die Transparenz und den Dialog zwischen den Führungskräften und den Mitarbeitern. Er organisierte regelmäßige Hackathons, um die Innovation und die Zusammenarbeit zu fördern.

Linux, einst von Steve Ballmer als Krebs bezeichnet, wurde von Nadella bereits im ersten Jahr als CEO umarmt. "Microsoft loves Linux", verkündete er im Oktober 2014 – eine Aussage, die man von einem Microsoft-Chef so nicht erwartet hatte. Mit dieser Richtungsänderung setzt sich Azure in der Wahrnehmung als umfassende Cloud-Lösung und nicht als ein in der Cloud gehosteter Windows Service durch. Heute hat Azure mit über 17 Prozent einen größeren Marktanteil an der Public Cloud als Amazons Web Services (knapp 13 Prozent) – eine Entwicklung, die vor zehn Jahren unvorstellbar war.

GitHub ist eine der wichtigsten Akquisitionen von Microsoft, die im Juni 2018 als Transaktion mit Microsoft-Aktien im Wert von 7,5 Milliarden US-Dollar angekündigt wurde. Die Reaktion unter Entwicklern war zunächst eher verhalten. Seitdem hat sich GitHub als eine der führenden und wachstumsstärksten Plattformen für Softwareentwicklung, Kollaboration und Open Source etabliert. 2017 hatte Github eine Nutzerbasis von 28 Millionen, die binnen fünf Jahren auf 100 Millionen wuchs. Der jährliche Umsatz wuchs im selben Zeitraum von 200 Millionen US-Dollar auf mehr als eine Milliarde.