Vor 10 Jahren: Stephen Elop springt von Nokias "brennender Plattform"

Per Memo kündigt der CEO einschneidende Veränderungen an. Am Ende sind Nokia, Windows Phone und zwei CEOs weg vom Fenster – und tausende Nokianer ihren Job los.

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Stephen Elop springt.

(Bild: Nokia)

Lesezeit: 8 Min.
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"Hallo zusammen." So ungezwungen beginnt Stephen Elop sein internes Memo, mit dem er die Belegschaft des weltgrößten Handyherstellers auf einen harten Kurswechsel einschwören will. Der neue CEO, gerade erst von Microsoft auf den Chefsessel bei Nokia gewechselt, soll den "finnischen Patienten" kurieren und zukunftsfähig machen. Gelingen soll das ausgerechnet mit Windows Phone, dem auch nicht gerade kraftstrotzenden Smartphone-OS aus Redmond. Elop weiß, dass er dafür viel Überzeugungsarbeit leisten muss.

In seinem an die Medien durchgesteckten internen Memo beschönigt der ehemalige Microsoft-Manager nichts. "Wir stehen auf einer 'brennenden Plattform' und wir müssen entscheiden, wie wir unser Verhalten ändern", schrieb Elop und verwies auf gleich mehrere Brandherde. Nokia hatte aus seiner Position der Stärke heraus einfach weitergewurschtelt, während Apple und Android mit ihren Ökosystemen den Markt auf den Kopf stellten. Elop verordnete den Finnen den Sprung ins kalte Wasser.

Drei Jahre zuvor war die Smartphone-Welt eine andere – und für Nokia noch in Ordnung. Die Finnen waren Marktführer, das hauseigene Symbian das System der Stunde. Auf zwei von drei der rund 120 Millionen in diesem Jahr verkauften Smartphones lief Symbian. Mit Abstand und einem Marktanteil von jeweils um die 10 Prozent folgen die beiden anderen relevanten Smartphonesysteme der frühen Jahre: RIMs Blackberry und Microsofts Windows Mobile. Keine dieser Plattformen spielt heute noch eine Rolle.

Dabei waren die Zeichen schon 2007 nicht mehr zu übersehen. Auf der Macworld im Januar hatte Steve Jobs das iPhone vorgestellt, das im Sommer in den USA in den Handel kam und in Europa ab November erhältlich war. Mit dem iPhone und dem neuen iOS kam Apple aus dem Stand auf einen Marktanteil von fünf Prozent. Spätestens da schrillen in Espoo, Redmond und Waterloo die Alarmglocken. Aber das Establishment ist zu träge und nicht gut vorbereitet – und sie unterschätzen den neuen Wettbewerber kolossal.

Die Nokia-Führung unter CEO Olli-Pekka Kallasvuo tat Apples Smartphone noch ein Jahr später als "Nischenprodukt" ab. Auch Microsoft-CEO Steve Ballmer sah "keine Chance, dass das iPhone einen nennenswerten Marktanteil erringen wird". RIM-Gründer Mike Lazaridis erkannte zwar, dass Apple ein starkes Produkt hatte. "Diese Typen sind richtig, richtig gut", soll er zu seinem Co-CEO Jim Balsillie gesagt haben. Doch der meinte nur: "Es ist okay, wir schaffen das." Haben sie nicht.

Drückt man anderthalb Augen zu, hatten Kallasvuo und Ballmer mit der "Nische" irgendwie auch Recht. Zwar ist es inzwischen eine stattliche Nische, doch Apple hat den Markt nicht im Handstreich übernommen. Aber das iPhone hat Smartphones nicht nur technisch neu gedacht, sondern auch die Mechanismen des Geschäfts fundamental verändert. iPhone, iOS und der 2008 eingeführte App Store bildeten ein Ökosystem, auf das die etablierte Konkurrenz keine Antwort wusste.

Marktanteile der Smartphone-Betriebssysteme 2007 - 2018.

(Bild: heise online)

Die hatte dafür ein anderer Newcomer im Mobilfunkbusiness, der vom Establishment ebenso sträflich unterschätzt wurde. 2005 hatte Google ein kleines Start-up übernommen, das ein Betriebssystem für Digitalkameras entwickeln wollte. Unter der Ägide des Suchmaschinenriesen bekam das von Andy Rubin gegründete Softwareunternehmen eine neue Mission: Statt auf Kameras sollte das System auf Smartphones laufen. Das Ergebnis wurde noch 2007 vorgestellt: Android.

Bei Nokia haben sie auch diesen neuen Konkurrenten kleingeredet. "Unser Betriebssystem Symbian wird in den kommenden Jahren das dominierende System bleiben", lässt sich Anssi Vanjoki noch 2009 zitieren. "Android ist vor allem ein Hype." Dabei wussten die Finnen da längst, dass sie ein Problem haben, das "Symbian" heißt – und arbeiteten an einer Alternative namens Maemo. Doch Diadochenkämpfe und eine verfettete Konzernstruktur verhinderten eine schnelle Reaktion. Als sich der finnische Patient endlich bewegt, ist es schon zu spät.