25 Jahre "Counter-Strike": Von der Mod zur Weltherrschaft​

Seite 2: Learning by failing

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Die Gefechte in "Counter-Strike" laufen schnell und erbarmungslos ab: In aller Regel reicht ein Treffer in den unbehelmten Kopf, um die Runde vorzeitig beendet zu bekommen – und das ist speziell aufgrund der durchschlagskräftigen Scharfschützengewehre (die AWP in der Hand eines reflexstarken Gegners ist ein Albtraum) deutlich mehr die Regel als die Ausnahme.

Anders als in den anderen Online-Shootern der damaligen Zeit erscheint man in "Counter-Strike" nach einem Abschuss aber nicht direkt wieder einsatzbereit auf dem Schlachtfeld. Stattdessen verbringt man den kompletten Rest der Runde als dem eigenen Team hinterher schwebender Geist. Wer tot ist, bleibt für diese Runde auch tot – und ehrlicherweise verbringt man gerade als Anfänger den allergrößten Teil seiner Spielzeit als Zuschauer.

Denn "Counter-Strike" ist schwer. War es schon immer. Es setzt sehr viel Lernwillen und ein mächtig dickes Frustfell voraus, um dauerhaft Spaß zu machen: Die Einkaufs-Hotkeys wollen verinnerlicht werden. Die Bedienung der vielen unterschiedlichen Waffen muss einem in Fleisch und Blut übergehen. Die Bomben- und Geiselpunkte auf jeder Karte muss man im Schlaf aufsagen können, genau wie den Aufbau der Map an sich, da die meisten davon über viele unterschiedliche Wege zum Ziel verfügen. Die bekanntesten Zangenpunkte der Gegner muss man kennen, Freund und Feind sicher auf Distanz unterscheiden zu können, ist essenziell. Man muss sehr viel Zeit auf beiden Seiten verbringen, um die wichtigen Unterschiede im Spielsystem beider Parteien zu erfassen. Und am wichtigsten: bloß kein Dauerfeuer bei den Automatikwaffen! Nur gezielt platzierte Einzelschüsse bringen den Erfolg – wer den Feuerknopf länger als den Bruchteil einer Sekunde gedrückt hält, entwickelt die Trefferquote eines imperialen Sturmtrupplers.

Technisch war "Counter-Strike" von Anfang an, na ja, zweckmäßig. Das Spiel läuft auf der ollen GoldSrc-Engine von "Half-Life", die für die damalige Zeit zwar schon fortschrittlich war, aber nicht direkt für Fotorealismus bürgt. Das spielte für "Counter-Strike" aber auch nicht die geringste Rolle: Hier zählten und zählen nur Spielgeschwindigkeit und Lesbarkeit der Levels. Legendäre Karten wie "de_dust2", "cs_italy", "de_nuke", "de_inferno", "de_aztec" oder "cs_office" sind simpel strukturiert und nach Jahren des Feinschliffs auf optimale Spielbarkeit perfektioniert.

Und das merkt man auch heute noch: Es führen immer mehrere Wege zum Ziel, es gibt überall Punkte, an denen man sich zumindest kurzzeitig einen Vorteil verschaffen kann – aber man kann sich nirgendwo wirklich einkesseln. Camper hatten in "Counter-Strike" noch nie etwas zu suchen, und sind auch die Ersten, die von einem Server fliegen. Die Zweiten sind die, die mit dem M249 losrennen, statt mit dem Messer in der Hand.

Die am 16. Januar 2003 herausgebrachte Version 1.6 war die finale große Veröffentlichung des Original-"Counter-Strike". Und auch gleichzeitig die erste, die über Valves damals brandneue Distributionsplattform "Steam" zu den Spielern gebracht wurde. Diese Fassung, die weiterhin gepatcht wurde, aber immer die Seriennummer "1.6" trug, war dann auf viele Jahre hinaus der "Counter-Strike"-Standard. Unter dieser Nummer entwickelte es sich zum eSports-Koloss. Unter dieser Nummer wurde es nach den diversen tragischen Schulmassakern zum Vorzeige-"Killerspiel" gemacht. Und unter dieser Nummer wurde es zum Millionen-Seller. Wie viele Exemplare im Laufe der Jahre genau verkauft wurde, lässt sich unmöglich sagen, da es in unzähligen Varianten und Sammlungen wieder und wieder und wieder veröffentlicht wurde. Selbst Valve kann nur grob in die Millionen hinein spekulieren.

In jedem Fall wurde gleich mehrfach versucht, diesen Glückstreffer zu wiederholen – mal mehr, mal weniger erfolgreich. "Counter-Strike: Condition Zero" zum Beispiel sollte ein vor allem auf Solo-Spieler ausgelegter Ableger werden, der aber vier Jahre Zeit und drei Entwicklungsstudios verschliss, bevor er im Frühjahr 2004 auf den Markt kam – nur um dort von der Spielerschaft weitgehend ignoriert zu werden.

Etwa ein halbes Jahr darauf erschien "Counter-Strike: Source", das, wie der Name schon andeutet, das Originalspiel auf die von Valve primär für "Half-Life 2" (2004) entwickelte "Source"-Engine bringt. Klingt eigentlich nach einem klaren Gewinner, aber auch dieses Spiel fand nie seinen Weg in die eingeschworene Spielergemeinschaft, der Bump-Mapping und realistischere Raucheffekte egal waren.

Erst das im Spätsommer 2012 veröffentlichte "Counter-Strike: Global Offensive" schaffte es, das zu diesem Zeitpunkt bereits fast zehn Jahre alte "Counter-Strike 1.6" von seinem Thron zu schubsen. "Global Offensive" war von Valve von Anfang an als eSports-Titel ausgelegt. Es hatte einen etwas schwierigen Start, wurde aber im Laufe der Jahre zum eSport-Giganten perfektgepatcht und war auf Jahre hinaus der Titel, der auf den größten Turnieren der größten Ligen die größten Preisgelder ausschüttete.

Bis 2023. Dann kam das ebenfalls schier ewig in Entwicklung befindliche "Counter-Strike 2" und ersetzte "Global Offensive" ebenso buchstäblich wie zwangsweise über Nacht. Das kam in der Community natürlich zuerst alles andere als gut an, aber mittlerweile führt an diesem Spiel kein Weg mehr vorbei, wenn es um "Counter-Strike" geht. Zwischenzeitlich gab es von der Reihe auch noch Konsolenumsetzungen, mit dem 2004er "Counter-Strike Neo" sogar eine von Namco Bandai entwickelte Arcade-Version. Aber nichts davon hat merkliche Spuren im Zement der Geschichte hinterlassen.

Das ursprüngliche "Counter-Strike", also Version 1.6, ist heute zumindest von Valve nicht mehr offiziell zu bekommen. Wer möchte, kann auf gemoddeten DS- und 3DS-Handhelds loslegen, aber sehr viel sinnvoller ist es, es einfach im Browser zu spielen. Und wenn man das nach Jahren der Abstinenz mal wieder macht, dann fühlt man sich sofort wieder zur Jahrtausendwende zurückversetzt: Das kakophonische Klackern zum Rundenstart, wenn alle gleichzeitig ihre Einkäufe tätigen, gefolgt von "Okay, let’s go!" Die Rauchgranaten, die direkt zur Begrüßung in die üblich verdächtigen Choke Points geworfen werden, begleitet von "Fire in the hole!" Die Stimmen, die Soundeffekte, das von Luciano Pavarotti vorgetragene "E Il Sol Dell'anima", das durch die Straßen von "cs_italy" schallt.

Hach. Was hat dieses Spiel um die Jahrtausendwende meine privaten LAN-Parties dominiert! Wir haben damals viel gespielt: "StarCraft", "Quake 3 Arena", "Armagetron", "Team Fortress Classic" – aber nachdem wir erst mal "Counter-Strike"-Blut geleckt hatten, gab’s kein Zurück mehr.

"Counter-Strike" war die prototypische Underdog-Story der Jahrtausendwende, vom kleinen Fanprojekt zum Massenphänomen, von der Modding-Fingerübung zum ultimativen skillbasierten Teamshooter. Der in seinem Kern heute noch ganz genauso funktioniert wie zur ersten Veröffentlichung vor 25 Jahren. Und der neben "Wolfenstein 3-D", "Doom" und "Duke Nukem 3D" problemlos als einer der wichtigsten und einflussreichsten Ego-Shooter aller Zeiten gelten darf. Und als eine der wichtigsten Mods sowieso.

Siehe auch:

(dahe)