25 Jahre "System Shock 2": Look at you, hacker!​

Seite 3: Zerbröselnde Waffen

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Komplett ohne den Griff zur Waffe geht’s allerdings auch nicht, denn manche Gegner lassen sich nicht wegdiskutieren. Ein gutes Dutzend zum Teil sehr ungewöhnlicher Waffen warten in "System Shock 2" auf ihren Einsatz, darunter ein Schrotgewehr, eine EMP-Kanone oder ein Lasersäbel. Anders als in den "Dooms" oder "Duke Nukem 3Ds" dieser Welt besteht das Arsenal hier aber aus sehr empfindlichen Gerätschaften, die im Laufe der Zeit kaputtgehen, wenn man sich nicht sorgsam um sie kümmert – ein hoher Wartungs- oder Reparaturskill hilft in diesem Fall sehr viel.

Es gibt nichts Schlimmeres, als mitten in einem heftigen Feuergefecht zu merken, dass einem die Waffe zu versagen beginnt. In so einem Fall kann man eigentlich nur noch wegrennen, sich irgendwo einen sicheren Platz suchen und mit der Reparatur beginnen. Das ist fraglos ein sehr gewöhnungsbedürftiges System, aber eines, das seinen Teil zur Spannung im Spiel beiträgt.

Es gibt diverse Munitionsarten für die verschiedenen Gerätschaften, die allesamt unterschiedlich stark auf diverse Gegner wirken. Organische Gegner sind z.B. anfällig für reguläre Geschosse, während man mechanische Feinde lieber mit panzerbrechenden Geschosse oder Energiewaffen bekämpfen sollte. Wie schon erwähnt, gilt aber: "System Shock 2" ist kein klassischer Shooter! Munition ist sehr knapp gesät, man muss sie sehr sparsam einsetzen und jederzeit die Augen nach neuen Vorräten offen halten.

Deutlich mehr Zeit als mit den zum Teil sehr abgefahrenen Gegnern verbringt man in "System Shock 2" aber mit dem Erkunden der Von Braun. Das Schiff ist ein gigantisches Konstrukt, unterteilt in Sektoren wie "Engineering", "Hydroponics", "Operations" oder "Command". Und da es ursprünglich mal das Zuhause von etlichen Crewmitgliedern war, gibt es auch ein Einkaufszentrum, ein Fitnessstudio oder sogar ein Kino. Nur dass man all diese so normal wirkenden Lokalitäten jetzt allein durchstreift, was dem Spiel eine beeindruckend klamme Atmosphäre verleiht. Anders als in modernen Spielen bekommt man hier keine Checkpunkt-Möhre vors Gesicht geschnallt, sondern muss sich seinen Fortschritt verdienen: Du benötigst eine Zugangskarte? Dann such dir eine! Dein Hacking-Skill ist nicht hoch genug, um eine verschlossene Tür zu öffnen? Ja, dann schau halt mal, ob du irgendwo genug Cyber-Module findest, um dir das Upgrade leisten zu können! "System Shock 2" ist keine geführte Tour, sondern eine Erfahrung, die voraussetzt, dass der Spieler bereit ist, die notwendige Arbeit zu investieren.

Was man dafür als Belohnung erhält, ist noch bis heute absolut einmalig, Alleine vom Sounddesign her hat sich "System Shock 2" jegliches Himmelhochjauchzen mehr als verdient. Wenn man zum ersten Mal von der Schwarmintelligenz "The Many" angesprochen wird, wo mehrere komplett unterschiedliche Stimmen übereinander gelegt werden, kann man mit der eigenen Gänsehaut Diamanten zerschneiden. Die Geräuschkulisse auf der Von Braun ist gleichermaßen gewöhnlich wie bedrohlich, die bordeigene Intelligenz "Xerxes" schwankt zwischen lapidar (wenn sie zum Beispiel über die Lautsprecher verkündet, wie lange die Geschäfte noch geöffnet haben) und furchterregend, wenn sie den Spieler direkt anspricht und ihn beschimpft. Und dann ist da natürlich auch noch Shodan, die die Ereignisse von "System Shock" überlebt hat – ihre Enthüllung in "System Shock 2" ist bis heute eines der schockierendsten Erlebnisse überhaupt in einem Computerspiel.

Die Spielepresse hat "System Shock 2" seinerzeit geliebt und gefeiert. Noch dazu hat "System Shock 2" gefühlt jeden Award dieser Welt abgeräumt: "PC Game Of the Year" in der USA Today, "RPG Game of the Year" bei PC Gamer, und "Best Action Game” und “Game of the Year" bei CNET sind nur ein paar ausgewählte Beispiele für den verdienten Jubel. Aber wie das nunmal leider so oft der Fall ist: Nur weil die Kritiker etwas lieben, heißt das noch lange nicht, dass die Käufer das genauso sehen. Denn genau wie sein Vorgänger war auch "System Shock 2" vor allem ein Verkaufsschock: Im ersten Jahr wanderten weniger als 100.000 Exemplare über die Ladentische dieser Welt. Womit dieses Spiel zu einem der letzten Nägel im Sarg von Looking Glass wurde – das legendäre Entwicklungsstudio musste im Mai 2000 die Tore für immer dichtmachen.

Irrational Games dagegen nahm gerade erst Fahrt auf, und erlangte in den Folgejahren vor allem durch die Spiele der "Bioshock"-Reihe große Berühmtheit, die sehr offensichtlich geistige Nachfolger von "System Shock 2" waren, genau wie das 2017 veröffentlichte "Prey" der Arkane Studios. Im selben Jahr wurde Irrational Games geschlossen und als "Ghost Story Games" wiederbelebt, die allerdings bis heute noch kein Spiel veröffentlicht haben. Und ein "System Shock 3" sollte es bereits mehrmals geben, wozu es bis heute allerdings noch nicht gekommen ist.

Wer "System Shock 2" heute nochmal oder gar zum ersten Mal spielen möchte, hat es dank GOG.com oder Steam mittlerweile sehr leicht. "Mittlerweile" deswegen, weil das Spiel lange Zeit in einem Lizenznetz verheddert war, aus dem es erst im Februar 2013 von den Nightdive Studios befreit wurde. Es gibt etliche Fan-Modifikationen, die das Original mit Quality-of-Life-Erweiterungen oder HD-Texturpaketen auf einen halbwegs modernen Stand hieven (Empfehlung: "System Shock 2 Redux"). Und ein offizielles "Enhanced Edition"-Remaster für aktuelle PCs und Konsolen ist auch schon seit einigen Jahren in Arbeit und soll in Kürze erscheinen.

Und auch wenn die "Dark Engine" ihre besten Jahre schon lange hinter sich hat, wodurch "System Shock 2" mittlerweile ganz schön alt aussieht, fällt die Empfehlung sehr leicht. Denn die sagenhaft dichte Atmosphäre des Spiels lässt einen die grobe Darstellung schnell vergessen; die fantastische Soundkulisse, dieses nagende Gefühl der ständigen Bedrohung, die unangenehme Einsamkeit, die furchteinflößenden Gegner, die Knappheit aller Ressourcen, die schiere Größe der Von Braun – all das und noch viel mehr sorgt für eine nervenzerfetzend spannende Reise, bis zum Schluss.

(dahe)