30 Jahre blaue LED: Das blaue Wunder​
Längst gehören Leuchtdioden in allen Farben des sichtbaren Spektrums zum Alltag. Der Weg dorthin verhalf drei japanischen Forschern zum Nobelpreis.​
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Shuji Nakamura, einer der drei Träger des Nobelpreises für Physik 2014, steht für ein Pressefoto mit einem blauen Laser Modell.
(Bild: universityofcalifornia.edu; Randall Lamb)
Schon einmal ging es dem Volkswagen-Konzern schlecht. Viel zu lange hatte man sich auf dem Erfolg des "Käfers" ausgeruht. Mit der ersten Generation des VW Golf und dessen Stufenheckvariante Jetta fuhren die Wolfsburger 1974 zurück auf die Erfolgsspur. Ein technisches Detail dieser Fahrzeuge: Im Kombiinstrument im Armaturenbrett zeigten im Zuge der Modellpflege statt Glühlampen Leuchtdioden (Light-emitting Diode, LED) diverse Betriebszustände oder Probleme an. LEDs brauchen weniger Strom und sind fast unkaputtbar. Mit Glühlampen hingegen kommt es vor, dass die Kontrollleuchte und nicht die eigentlich anzuzeigende Funktion defekt ist.
Es gab nur ein Problem: Fürs Fernlicht war und ist blau als Signalfarbe Standard. Aber zur Premiere der Fahrzeuge gab es keine brauchbaren blauen LEDs – mit Rot, Grün und Gelb war das Ende der Farbskala erreicht. Nur mit Ausnahmegenehmigung durfte in den VWs eine gelbe LED den Fernlichtbetrieb anzeigen. Erst vor 30 Jahren erschienen die ersten alltagstauglichen blauen LEDs, die uns heute sparsame und haltbare Leuchtmittel, Blu-ray-Discs mit Kapazitäten im dreistelligen Gigabyte-Bereich sowie eventuell bald extrem haltbare und helle Bildschirme ermöglichen.
Blaue LEDs waren trĂĽbe Funzeln
Der Weg zum Erfolg war von Rückschlägen durchzogen. Die Elektrolumineszenz, also den zugrundeliegenden Effekt, hatte Henry Joseph Round, der persönliche Assistent des Funktelegrafiepioniers Guglielmo Marconi, schon 1907 entdeckt. Die ersten praxistauglichen Leuchtdioden entstanden 1962 – bei General Electric entwickelte der Ingenieur Nick Holonyak zunächst die rote Variante, in den späten 1960ern folgten bei Monsanto grüne. 1972 entwickelte M. George Craford, ein früherer Master-Student Holonyaks, die ersten gelben LEDs. Nebenbei verbesserte er die Helligkeit der bereits existierenden roten und rot-orangen LEDs um den Faktor 10.
(Bild:Â Nobel-Komitee, Johan Jarnestad/The Royal Swedish Academy of Sciences)
Der nächste logische Schritt war eine blaue LED, denn nur durch die Kombination der drei Grundfarben Rot, Grün und Blau (RGB) lässt sich weißes Licht erzeugen – ebenso wie fast alle in der Natur vorkommenden Farbnuancen. Jeder Farbbildschirm stellt Buntes dar, indem er RGB jeweils passend dosiert. Erste funktionierende blaue Exemplare entstanden zeitgleich mit der gelben LED auf der Basis magnesiumdotierten Galliumnitrids an der Universität Stanford durch die Arbeit der Doktoranden Herb Maruska und Wally Rhines. Allerdings waren diese LEDs trübe Funzeln, weshalb sie keinerlei praktische Bedeutung erlangten. Aber es war klar, wohin die Reise gehen musste – kein Wunder, dass sich japanische und amerikanische Branchenriesen aus Elektronik-, chemischer und Computerindustrie mit Eifer und viel Geld an die Entwicklung günstig zu produzierender und ausreichend heller blauer LEDs machten.
Vom Abfallprodukt zum Licht
Die Crux war, geeignetes Material für diese LEDs zu finden. Wie der Name sagt, sind LEDs zunächst Dioden, also Halbleiterbauteile. Halbleiter heißen so, weil sie aus prinzipiell elektrisch nicht leitendem Material bestehen. Durch gezielte Verunreinigung ("Dotierung") mit anderen Stoffen erzeugt man in ihnen auf atomarer Ebene wahlweise Elektronenüberschuss (n) oder -mangel (p). Kombiniert man p-/n-Schichten und legt eine Spannung an, fließt durch sie Strom. Dioden bestehen üblicherweise aus je einer p- und n-Schicht. Ihre ursprünglichen Aufgaben in elektronischen Schaltungen sind beispielsweise ein Schutz vor verpolten Stromquellen oder die Gleichrichtung von Wechselstrom, denn der Strom fließt durch Dioden nur in einer Richtung.
Fließt Strom von der n- zur p-Schicht, setzt das Photonen, also Licht, frei. In konventionellen Dioden bleibt es aber im infraroten Bereich und erzeugt Wärme. Kombiniert man aber geeignete Halbleitermaterialien, wird das Abfallprodukt der Dioden, die Photonen, zum eigentlichen Zweck: Licht. Praktischerweise erwärmen sich bei richtiger Materialwahl LEDs kaum und sind um ein Vielfaches effizienter als Glühlampen, bei denen die Helligkeit nur ein Nebeneffekt der Wärme ist, die der Leuchtfaden produziert. In Zahlen: Eine Glühlampe setzt nur zwei bis sechs Prozent der zugeführten Energie in Licht um, eine LED 50 bis 70.
(Bild:Â Philips)
Die Stunde von Shuji Nakamura
Soweit die Theorie. Die besagt aber auch: Je kürzer die Wellenlänge des zu erzeugenden Lichts sein soll, desto mehr Energie muss in den Dioden an der Bandlücke entstehen. Quantentheoretisch meint 'Bandlücke' die Energiedifferenz zwischen Bereichen mit unterschiedlich vielen freien Elektronen, im Falle der LED entspricht sie in der Praxis dem Bereich zwischen n- und p-Schicht, an dem die Photonen entstehen. An dieser Lücke hatten sich die Branchenriesen der 1970er die Zähne ausgebissen und Millionen versenkt.
Nun schlug die Stunde Shuji Nakamuras. Er machte an der Universität des japanischen Tokushima (rund 560 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Tokio gelegen) 1977 den Bachelor und 1979 den Master als Elektroingenieur. Anschließend heuerte er beim örtlichen Chemikalienproduzenten Nichia an. Dessen Hauptgeschäft war zu jener Zeit Phosphor, der unter anderem in Bildröhren Verwendung fand. Zwar produzierte Nichia auch Halbleiter für rote und grüne LEDs – aber hier konkurrierte man mit Großkonzernen. 1988 liefen Nichias Geschäfte eher schleppend, die Firma verlor in der Halbleitersparte Geld. Nakamura konnte den Nichia-Inhaber überzeugen, rund 500 Millionen Yen (damals drei Millionen US-Dollar) in die Entwicklung blauer LEDs zu investieren. Im Vergleich zu den Beträgen, die die Branchenriesen zuvor vergeblich mit dem erhofften blauen Wunder versenkt hatten, waren die drei Millionen nicht viel – für Nichia hätte ein Fehlschlag dieser Investition aber den Ruin bedeutet.
Chef Nobuo Ogawa riskierte das Geld – woraufhin Nakamura Richtung USA entschwand, an die Universität von Florida in Gainesville. Denn zu diesem Zeitpunkt war schon bekannt, dass eine Voraussetzung für eine effiziente blaue LED eine möglichst perfekte, hochreine Kristallstruktur der verwendeten Halbleiter ist. An Brüchen im Muster bilden sich keine Photonen, sondern Wärme. Und in Gainesville stand ein MOCVD-Reaktor, ein Gerät zur metallorganischen chemischen Gasphasenabscheidung (metal-organic chemical vapour deposition), quasi ein Hi-Tech-Bedampfer. Der schien ihm geeignet, um ebendiese Kristalle zu produzieren.
Ohne Doktorgrad kein Zugang
Nur: Nakamura hatte zu jener Zeit keinen Doktorgrad, weshalb ihm der Zugang zum Reaktor verwehrt wurde – und dem Vernehmen nach waren die Mit-Forscher auch sonst alles andere als kollegial. Entmutigen ließ sich Nakamura von derlei Widrigkeiten aber nicht: Er baute einen eigenen Reaktor. Nach einem Jahr in Florida kehrte er 1989 nach Japan mit dem Ziel zurück, für Nichia einen MOCVD-Reaktor anzuschaffen und mit diesem weiter zu experimentieren – sowie seinen Doktor zu machen. Zu jener Zeit war das in Japan möglich, wenn man unter eigenem Namen fünf wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht hatte.
Der Wunsch nach dem Doktorgrad sollte sich als Wink des Schicksals erweisen, denn zwischenzeitlich war bekannt, dass zwei Stoffe aussichtsreiche Kandidaten für blaue LEDs sind: Zinkselenid (ZnSe) und – einmal mehr – Galliumnitrid (GaN), mit dem 1972 Maruska und Rhines in Stanford erfolgreich waren. Die Mehrzahl der Forscher fokussierte sich auf Zinkselenid, denn damit ließen sich die geforderten hochreinen Kristalle einfacher produzieren – allerdings nur als n-Halbleiter. Nicht nur deswegen hielt Nakamura GaN für aussichtsreicher: Da bereits zahlreiche Wissenschaftler und Ingenieure an LEDs auf ZnSe-Basis forschten, sah Nakamura wenig Chancen, auf diesem Gebiet fünf Papiere für seinen Doktor zu veröffentlichen.
Aber Nakamura hatte außer Optimismus wenig. So war es anfangs nicht möglich, aus GaN p-Halbleiter herzustellen. Immerhin: Nakamura war nicht allein. Schon 1986 war es Isamu Akasaki und Hiroshi Amano an der Universität Nagoya gelungen, hochreine n-GaN-Kristalle auf einer auf Saphirsubstrat aufgetragenen Aluminiumnitridschicht zu züchten. 1989 hatten sie auch p-Typen geschafft – weil sie zufällig entdeckt hatten, dass ihre p-Schichten sich wie Halbleiter verhielten, wenn sie zuvor vom Strahl eines Raster-Elektronenmikroskops abgetastet worden waren. Die Summe ihrer Versuche mündete 1992 in der Vorstellung einer strahlend hellen blauen LED. Einmal mehr: ein Meilenstein, aber in Großserie ließen sich blaue LEDs auf dieser Basis nicht produzieren.