60 Jahre Kompaktkassette: Musik am laufenden Band

Seite 2: Zoff unter Partnern

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Dem "Partner" Grundig teilte man dies erst kurz vor dem Marktstart 1963 mit – was den Firmenpatriarch Max Grundig derart wurmte, dass er 1965 ein eigenes, DC International genanntes Format auf den Markt brachte. Das setzte sich aber nicht durch und wurde bereits zwei Jahre später eingestampft.

Technisch war die Einloch-Kassette wohl wirklich der schlechtere Plan. Philips’ Verhalten war dennoch schofel – und dank DC International konnte es Max Grundig seinem treulosen Kompagnon heimzahlen. Denn Philips war klar, dass sich sein Format nur durchsetzen würde, wenn man Partner fände, die die Kompaktkassette in den USA und Japan erfolgreich vermarkten. Idealerweise zahlten der oder die Partner Lizenzen.

Die Niederländer wandten sich an Sony. Chef Norio Ohga war interessiert – zahlen wollte er aber an Philips nichts. Seine Verhandlungsmasse: Grundig habe ihm DC International für lau angeboten. Ob’s ein entsprechendes Angebot gab, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Sony behauptet, Grundig habe sich schon 1963, nach Philips’ Kompaktkassetten-Coup, an Sony gewandt. Lou Ottens vermutete im Nachhinein einen Bluff. Fakt ist: Philips ließ sich auf Sonys Bedingungen ein, Sony wurde aber kein Exklusivpartner – und die Kompaktkassette ein Welterfolg. Nachdem die Lizenzbedingungen geklärt waren, baute ab 1969 auch RFT aus Staßfurt, das Elektronikkombinat der ehemaligen DDR, Kassettenrekorder – und Orwo in Bitterfeld-Wolfen fertigte Kassetten. Erstes Modell war der KT-100 für 635 Mark der DDR, eine 90-Minuten-Orwo-Kassette kostete 30 Mark (Ost). In der damaligen BRD lagen Kassetten von Agfa oder BASF bei etwa 12 DM.

Das Tonband einer Kompaktkassette ist schmaler als das von Bandmaschinen – statt 6,35 sind es nur 3,81 Millimeter. Bandmaschinen ziehen das Band mit mindestens 9,5 Zentimetern pro Sekunde (cm/s) an den Tonköpfen vorbei, oft auch mit 19 cm/s. In Tonstudios waren 38 cm/s Standard. Je höher die Geschwindigkeit, desto besser der Frequenzgang der Geräte, also ihre Fähigkeit alle Töne, die ein gesunder Mensch hört, auch zu speichern. Breiteres Band und höhere Geschwindigkeit bedeuten zudem weniger Rauschen. Mit 4,75 cm/s war klar, dass die Kassette keine Chance gegen ein gutes Tonbandgerät hatte – zunächst.

Denn das Bandmaterial wurde besser – statt Eisenoxid (FE₂₀₃/Typ I) beschichtete man die Trägerfolien mit Chromdioxid (CR₀₂/Typ II), was die Hochtonwiedergabe verbesserte. Für einige Jahre gab es auch Doppelschichtbänder ("Ferrochrom"; FeCR/Typ III) mit einer Eisen- und einer Chromdioxidschicht. Die sollten nochmals etwas besser klingen, setzten sich aber nicht durch. Um 1980 kam dann Reineisen- oder Metallpartikelband ("Metal", Typ IV) auf: Hierfür wurde reines Eisen in Kunststoff gekapselt und dann auf die Trägerfolie gegossen, was die elektromagnetischen Eigenschaften der Bänder nochmals steigerte.

Philips Kassettenrecorder von 1963

(Bild: Philips)

Das Problem am Fortschritt: Für jeden Bandtyp mussten geeignete Tonköpfe her, die Rekorder an die Talente der Kassetten angepasst werden. Und: Selbst innerhalb der verschiedenen Typen machten die Hersteller im Laufe der Jahre Fortschritte – die Bänder wurden besser, verließen damit aber die für die Rekorder definierten Spezifikationen. Das DIN sortierte 1971 das Wirrwarr für Chromkassetten, 1978 ging die IEC das Thema für alle Bandsorten an – seitdem heißen sie offiziell IEC I/II/III und IV. Außerdem verpflichtete sie die Hersteller, die verschiedenen Bandtypen durch Kerben im Kassettengehäuse kenntlich zu machen. Entsprechend ausgerüstete Rekorder schalteten dann automatisch auf die korrekte Bandsorte, was einen häufigen Nutzerfehler eliminierte.

Auch die Mechanik in den Kassetten wurde immer besser. Denn ironischerweise war das einzige Detail, was sich das Team um Lou Ottens von der Kompaktkassette patentieren lassen konnte, ihr größter Schwachpunkt. Tonköpfe und Andruckrollen sitzen auf einem verschiebbaren Schlitten und werden für Aufnahme und Wiedergabe ins Kassettengehäuse gedrückt. Dessen mechanische Qualitäten entscheiden also mit darüber, wie präzise und mit welchem Druck das Band über die Köpfe geführt wird – billige Cassettenmechanik bedeutet flatternde Höhen und Aussetzer. Andere Kassettenformate überließen den Rekordern die Bandführung, was wesentlich zuverlässiger funktioniert.