60 Jahre Kompaktkassette: Musik am laufenden Band

Seite 3: Glücklich ohne Rausch

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Trotz der Fortschritte in Rekordertechnik und Bandmaterial: Kassetten rauschten hörbar. Der US-amerikanische Erfinder Ray Dolby leitete aus seinem professionellen Rauschunterdrückungssystem Dolby A das einfachere Dolby B (anfangs meist nur Dolby NR – Noise Reduction oder System genannt) ab, was das Bandrauschen um deutlich hörbare zehn Dezibel minderte. Derart gewappnet konnte man die schmale Tonspur für Stereoton nochmals halbieren. Die ersten Kassettendecks mit Dolby B erschienen im Sommer 1970 von Advent, Fisher und harman/kardon.

Von der zweiten Hälfte der 1970er bis in die frühen 1980er Jahre wollten verschiedene Firmen Dolby das Revier streitig machen: Telefunken entwickelte eine Rauschunterdrückung namens High Com (und zusammen mit dem japanischen Rekorderspezialisten Nakamichi noch eine Variante namens High Com II), dbx nannte sein System nach der Firma (also dbx), Toshiba seines A.D.R.E.S und Sanyo war mit einem System namens SuperD am Start. Alle versprachen um 20 bis über 30 dB geringeres Rauschen – und natürlich war keines der Systeme mit einem anderen kompatibel. Vor allem: Bei allen neueren Verfahren handelte es sich um Breitbandkompander – damit gefertigte Aufnahmen klingen fürchterlich, wenn man sie ohne die entsprechenden Schaltungen abspielt. Werden hingegen Dolby-B-Aufzeichnungen ohne wiedergegeben, tönen sie nur einen Ticken zu hell.

Der TPS-L2 Walkman von Sony aus dem Jahr 1979.

(Bild: Sony)

Diese Situation bewog Ray Dolby, Dolby C zu entwickeln. Im Prinzip kombinierte er je zwei der Dolby-B-Schaltungen, ließ sie aber in unterschiedlichen Frequenzbereichen arbeiten. Das wirkte ähnlich gut wie die Breitbandkompander, vermied aber viele derer Schwächen. Bei abrupten Dymanikwechseln oder schrillen Soloinstrumenten fingen diese nämlich an zu pumpen und konnten Bandrauschen nicht mehr maskieren. Dolby C war in der Hinsicht gutmütiger, wirklich schön klangen aber auch Dolby-C-Aufnahmen nicht, wenn man sie ohne dieses System wiedergab. 1989 erschien deshalb das aus dem professionellen Dolby SR abgeleitete Dolby S. Es senkte das Rauschen gegenüber Dolby C nochmal um einige dB und brachte das Kunststück fertig, dass damit gefertigte Aufnahmen auf Geräten ohne diese Schaltung nur leicht komprimiert, also etwas weniger dynamisch, klangen. Allerdings war auch der Schaltungsaufwand für Dolby S enorm. Bis es in den ersten Kassettendecks erschien, waren digitale Medien in allen Varianten verfügbar – für den großen Erfolg erschien Dolby S einige Jahre zu spät.

Bessere Tonköpfe, Antriebs- und Motorenkonzepte taten ein übriges: Die Kompaktkassette wurde high-fidel. Viele Konzepte übernahm man von Tonbandgeräten, etwa getrennte Tonköpfe für Aufnahme und Wiedergabe, eigene Motoren für den Bandtransport und die Tonwelle ("Capstan") – den eigentlichen Vortrieb bei Aufnahme und Wiedergabe. Eine Zeit lang tat sich der norwegische Hersteller Tandberg hier mit aufwendigen Geräten hervor, Ende der 1970er betrat dann mit Nakamichi ein japanischer Hersteller die Szene, dessen Rekorder für Jahrzehnte zum Inbegriff hochwertiger Kassettendecks wurden.

Das setzte natürlich auch die Konkurrenz unter Druck: Elektronische Laufwerkssteuerungen lösten die mechanischen Klaviertasten der frühen Geräte ab. Obwohl die Compact Disc damals bereits rund zehn Jahre auf dem Markt war, legten Firmen wie Pioneer und Sony Anfang der 1990er nochmal eine Schippe drauf und machten die Kassettentechnik gleichzeitig besser und günstiger. Das war gerechtfertigt: In vielen Autoradios kam zu jener Zeit das individuelle Musikprogramm von Kassetten, tragbare Kassettenspieler waren nicht nur unter Jugendlichen verbreitet und beliebt.

Wer nicht auf industriell bespielte Kassetten zurückgreifen wollte, die genauso viel kosteten wie ein Album auf Schallplatte, brauchte ein Gerät, um die eigene Musik aufs Band zu transferieren. Das änderte sich erst zum Jahrtausendwechsel, als CD-Rekorder und -Brenner erschwinglich wurden – ebenso wie tragbare CD-Spieler und CD-Autoradios.

Die Rekorder-Spitzenmodelle aus jener Zeit hätten – mit Reineisenband und Dolby S – die von Vielen vergötterte Vinylschallplatte locker an die Wand gespielt. Von einem Störabstand von rund 80 dB und einem auch bei hohem Pegel annähernd linearen Frequenzgang träumen die schwarzen Scheiben nur. Mit Band bleibt die Qualität zudem über die gesamte Spielzeit konstant, während die der Schallplatte zur Mitte hin deutlich in den Keller geht.