Ableton Live 10: Musik-DAW angetestet

Seite 3: Bedienung, Mankos, Ausbaustufen

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Wer schon mal am Keyboard gejammt hat, und sich dann geärgert hatte, weil er eine coole Phrase gefunden aber nicht rechtzeitig den Aufnahmeknopf gedrückt hat, kann in Live 10 aufatmen. Die DAW zeichnet permanent alle MIDI-Noten auf, selbst ohne aktivierte Aufnahme. Möchte man eine Phrase oder Melodie verwenden, drückt man einfach auf die Capture-Taste, und schon öffnet sich ein Clip mit den zuletzt gespielten Noten – sehr praktisch.

Im Arranger kann man nun mehrere Clips markieren und anschließend die MIDI-Noten in einem Fenster editieren. Um die Noten zu unterscheiden, werden sie jeweils in der Farbe des Clips eingeblendet. Das ist durchaus hilfreich, um rhythmische Passagen besser abzustimmen.

Zur besseren Übersicht werden die Noten eines MIDI-Clips nun auch auf dem Push-2-Controller angezeigt. Das hilft vor allem mit dem neuen Tasten-Layout, das unten die Noten zum Spielen und oben eine 32er-Step-Matrix einblendet. Dadurch behält man einen besseren Überblick über die gespielten Noten und kann sie über die Step-Matrix ergänzen. Zum Editieren der MIDI-Clips greift man aber nach wie vor besser zur Maus am Bildschirm.

Bei Audio-Clips hat sich indes weniger getan. Am wichtigsten ist noch der Punkt, dass man Fades nun direkt im Arranger am Clip einstellen kann. Dazu zieht man einfach an den Haltepunkten und schon wird der Clip in einer schönen S-Kurve ausgeblendet.

Da es einige Nutzer womöglich leicht übersehen, sei hier nochmal auf die Freeze-Funktion hingewiesen, die von Live 9 unverändert übernommen wurde. Wenn der Rechner aufgrund zu großer Rechenlast die Musik nur noch stotternd wiedergibt, kann man einzelne Spuren einfrieren (rechte Maustaste "Spur einfrieren"). Dabei wird die Spur mit sämtlichen Plug-in-Effekten in 32 Bit gerendert und anschließend die Plug-ins vorübergehend ausgeschaltet. Man kann sie später zur weiteren Bearbeitung wieder auftauen. Will man die gerenderte Spur als Audio-File einfügen, drückt man auf der eingefroren Spur wieder die rechte Maustaste und wählt "als Audio fixieren". Dabei verschwinden jedoch sämtliche Plugins und MIDI-Noten der Spur. Wer diese behalten will, muss die Spur vorher Duplizieren.

Der größte Vorteil, den die teure Suite-Version gegenüber der günstigeren Standard-Version bietet, ist die Entwicklungsumgebung Max for Live (M4L). In Live 10 ist sie nun komplett in der Suite integriert, sodass sie nicht separat installiert werden muss und beim ersten Aufruf eines Effekts oder Instruments schneller lädt. Außerdem hat Ableton angefangen, die Darstellungen einiger Effekte sowie deren Klangcharakteristik zu überarbeiten. Den Anfang machen die Drum-Synths, die nun unter der Bezeichnung DW10 zu finden sind und acht Drum-Synthesizer umfassen. Mit ihnen baut man im Handumdrehen ein elektronisches Schlagzeug, dass man ohne Samples nach seinen eigenen Vorlieben einstellen kann. Ihr Sound weiß durchaus zu gefallen.

Um beliebige Plug-in-Parameter zu automatisieren, kann man sie mit den M4L-Effekten "LFO" und "Envelope" verknüpfen. Das ist zwar nicht ganz so elegant gelöst wie in Bitwig Studio, dafür aber sehr flexibel und mit jedweden internen wie externen Plug-in einzusetzen. Neu hinzugekommen ist der sogenannte "Shaper", dessen Form man auf einem dem Takt angepassten Gitternetz frei verändern kann – etwa für rhythmische Filter-Modulationen. Hier darf man künftig wohl noch mehr Anpassungen und Überarbeitungen erwarten.

Die vielen kleinen Verbesserungen erleichtern die tägliche Arbeit enorm, sodass man sie bald nicht mehr missen möchte – allein die "Gruppen in Gruppen" und der Stereo-Panner waren lange überfällig. Doch einige Funktionen hätte man durchaus für das neue Update erwartet, die man bei anderen DAWs lange kennt. An erster Stelle ist hier die Unterstützung von VST 3 zu nennen. Zwar bekommt man alle Plug-ins am Markt auch in VST 2, doch manche Exemplare bocken zuweilen etwas herum. Mac-User können zwar auf die AU-Version wechseln, Windows-Nutzer sind jedoch gekniffen. Hier sollte Ableton bald nachlegen.

Von Bitwig Studio hätte man nur allzu gerne die Sandbox-Abkapselung von Plug-ins sowie die modularen Effekte, mit denen man sich beispielsweise frequenzabhängige Kompressoren selbst zusammenstecken kann. Mit Max for Live ist das in der Ableton Suite mehr Gefummel – wenn es überhaupt geht.

Beim Routing im Mixing kann zudem schon mal die Anzahl der 12 Send-Return-Spuren knapp werden, vor allem, wenn man dort für jede Gruppe eigene Reverbs und Kompressoren einsetzen möchte. Standardmäßig werden diese in die Master-Spur geroutet. Will man sie stattdessen auf eine normale Spur oder Gruppe zurück routen, verschluckt sich Live bei großen Projekten schon mal und gerät bei der automatischen Delay-Kompensation aus dem Takt.

Gänzlich unbeleckt ist Live bei Arrangier- und Kompositionshilfen, wie sie beispielsweise Cubase auf Lager hat. Akkordfolgen lassen sich dort wesentlich einfacher austesten. Auch eine integrierte Pitch-Korrektur, wie sie bereits in vielen DAWs zu finden ist, würde Live gut zu Gesicht stehen. Natürlich lässt sie sich per Melodyne ergänzen, besonders gut integriert ist sie aber nicht.

Ableton bietet Live 10 in drei Ausbaustufen an. Als Online Download kostet die abgespeckte Intro Version 79 Euro. Sie ist auf 16 Audio- und MIDI-Spuren beschränkt. Außerdem muss man bei ihr auf den mächtigen "Complex"-Algorithmus der Warp-Funktion verzichten und hat nur Zugriff auf einfachere Methoden. Ebenso ist das Instrumenten- und Effekt-Arsenal stark abgespeckt, lässt sich aber mit externen Plug-ins (AU, VST) ergänzen. Als günstiger Einstieg in die Loop-basierte Musikproduktion ist sie jedoch sehr zu empfehlen, da man bereits hier von dem ausgefeilten Workflow von Live profitiert. Zudem lässt sich die Intro-Version später aufrüsten.

Unbegrenzte Spuranzahl, die Complex-Warp-Modi und die meisten wichtigen internen Effekte findet man in der Standard-Version für 350 Euro, mit der man uneingeschränkt Musikprojekte bearbeiten kann. Allerdings muss man hier auf die Entwicklungsumgebung Max for Live sowie die meisten internen Synthesizer verzichten.

Letztere sind erst bei der Suite für 600 Euro mit dabei. Sie lohnt sich vor allem für Nutzer von Push 2, da sich die internen Instrumente dort wesentlich einfacher bedienen lassen als externe Plug-ins. Max For Live ist für Klangbastler essentiell, da sie hierfür unzählige Erweiterungen finden; sowohl kostenlose als auch kommerzielle, die von renommierten Entwicklern wie dem IRCAM-Institut verkauft werden. Gerade wenn es um die Ansteuerung externe Synthesizer geht, findet man hier unzählige MIDI-Tools, die die Live Suite zur derzeit komplexesten und umfangreichsten DAW für elektronische Musik machen. (hag)