Affenpocken-Impfung könnte weniger effektiv sein als gedacht​

Zwei Dosen erzeugen nur niedrige neutralisierende Antiköper-Konzentrationen. Die Vorabdaten wecken auch Bedenken über die Wirksamkeit geringerer Dosierungen.​

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Covid-19, Covid-19-Impfung, Coronavirus

(Bild: Studio Romantic)

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Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
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Der Pockenimpfstoff MVA-BN (Imvanex) vom dänischen Hersteller Bavarian Nordic galt als Hoffnungsträger, um vor den sich weltweit ausbreitenden Affenpocken zu schützen. Eine neue Studie könnte diese Hoffnung nun dämpfen. Denn eine Probandengruppe, die zuvor weder an Affenpocken erkrankt war noch die in den Niederlanden bis 1974 übliche Pockenimpfung erhalten hatte, wies auch vier Wochen nach der zweiten MVA-BN-Impfdosis nur relativ geringe Mengen von neutralisierenden Antikörpern auf. Diese hatten zudem keine sehr gute Neutralisierungsfähigkeit.

Das berichten Forscher um Luca Zaeck und Rory de Vries von der Erasmus University Medical Center in Rotterdam in einer Vorabveröffentlichung. Die auf dem Preprint-Server "medrxiv" publizierte Fachartikel hat den Peer-Review-Prozess noch nicht durchlaufen. Noch sei nicht genau klar, was die niedrigen Werte bedeuten, ob und wie gut also die Impfung vor einer Übertragung und vor der Erkrankung schützt, schreiben die Wissenschaftler.

Aber "die Erwartung ist nicht, dass er eine sterilisierende Immunität bietet", sagte Seniorautorin Marion Koopmans der Gesundheitsnachrichten-Webseite "StatNews". Das würde bedeuten, dass der MVA-BN-Impfstoff eine Erkrankung nicht von vornherein verhindert. Bei Primaten war das aus vorangegangenen Studien bereits bekannt. Da der Pockenimpfstoff die Tiere allerdings vor schweren und tödlichen Affenpockenverläufen schützte, bewilligten ihn die kanadische, amerikanische und auch die europäische Zulassungsbehörde "unter besonderen Umständen" auch für den Einsatz bei Menschen. MVA-BN enthält eine abgeschwächte, nicht vermehrungsfähige Form des Pocken-Virus (Orthopox variolae), der eng mit dem Affenpocken-Virus (Orthopoxvirus simiae) verwandt ist.

Die niederländischen Forscher plädieren für weitere Untersuchungen, um herauszufinden, welchen Schutz MVA-BN konkret bietet und wie gut die induzierten Antikörper wirken. Diese müssten auch größere Probandenzahlen enthalten, da die vorliegende Studie mit insgesamt 108 Teilnehmern relativ klein war.

Geimpfte sollten aber vorerst nicht davon ausgehen, dass die Immunisierung sie vor einer Erkrankung bewahren würde, und weitere Schutzmaßnahmen anwenden. Die sind laut Koopmans wichtig, um den Affenpocken-Ausbruch unter Kontrolle zu bringen. Zu diesen Maßnahmen gehöre etwa, dass sich Erkrankte isolieren sowie Kontaktpersonen ermittelt werden und in Quarantäne kommen. Parallel dazu sollten sich trotzdem alle impfen lassen, die dem Erreger ausgesetzt waren oder ein hohes Infektionsrisiko haben.

Was widersprüchlich klingt, ist es nicht unbedingt. Zum einen deuten die Primatenstudien darauf hin, dass eine Impfung immerhin besonders schwere Verläufe wohl zuverlässig verhindern könnte. Zum anderen beleuchtet die Studie eine grundlegende Frage der Immunologie: Was ist ein guter Messwert für das sogenannte "Korrelat der Immunität"? Welche Zellen oder Moleküle sorgen also dafür, dass man sich beim Kontakt mit einem Erreger gar nicht erst ansteckt?

Es ist möglich, dass eine niedrige Menge an neutralisierenden Antikörpern nicht automatisch einen schlechten Schutz bedeutet, aber die Forscher wissen es schlicht noch nicht genau. Der Affenpocken-Impfstoff MVA-BN erzeugt wie auch andere Impfstoffe nicht nur neutralisierende Antikörper. Er bewirkt auch die Bildung weiterer wichtiger Abwehrmoleküle wie bindende Antikörper und verschiedene T-Zellen.

Neutralisierende Antikörper binden an die Oberfläche von Erregern und verhindern auf verschiedene Art und Weise relativ direkt, dass die Keime an die Wirtszellen andocken und eindringen können. Andere Antikörper markieren Erreger für die Fresszellen des Immunsystems, damit diese die Eindringlinge unschädlich machen. Wieder andere Antikörper markieren infizierte Zellen für die Vernichtung durch spezielle T-Zellen. Derzeit richtet sich viel Aufmerksamkeit auf die diversen T-Zellen und die Frage, ob sie für eine anhaltende Immunität nicht ebenso wichtig oder gar wichtiger sind, als Antikörper.

Bis das für Affenpocken geklärt ist, wirft die niederländische Studie auch noch eine zweite Frage auf. Nämlich jene, ob die derzeit vielerorts praktizierte Dosisverringerung nicht ebenfalls problematisch sein könnte. Dabei werden angesichts des Impfstoffmangels einzelne Impfdosen in bis zu fünf Dosen geteilt. Darüber hinaus werden die Impfungen in die Haut (intradermal) und nicht unter sie (subkutan) verabreicht.

Der Vorteil der ersten Verabreichungsart ist, dass oft bereits kleinere Dosen wirksam sind. Die Dosisteilung basiert laut StatNews offenbar auf einer kleinen Vergleichsstudie, die den Effekt zweier intradermal verabreichten Teildosen mit dem zweier subkutan injizierten Volldosen untersucht und eine ähnliche Wirkung beobachtet hat.

Allerdings mahnen die niederländischen Forscher, dass in einer anderen Studie mit einem experimentellen Vogelgrippe-Impfstoff, der dasselbe MVA-Grundgerüst wie der Affenpockenimpfstoff besitzt, Teildosen weniger Antikörper induzierten als volle Impfdosen. Als Einschränkung zu beachten ist, dass der Vogelgrippe-Impfstoff in den Muskel und nicht unter die Haut injiziert wurde, die Wirkung also möglicherweise nicht gut vergleichbar ist. Trotzdem sollte es vielleicht – bei allem Verständnis für die Entscheidung, mit den vorhandenen Beständen möglichst viele Menschen gegen Affenpocken zu immunisieren – ein Anreiz dafür sein, dass die Wirksamkeit geringerer Impfdosen gründlich abgesichert wird.

(vsz)