Arbeiten nicht nur in der Pandemie: Mit Mikrotasks besser in den Flow

Seite 2: Arbeits-Hürden werden gesenkt

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Ob die aktuelle Erschöpfung tatsächlich am Home Office liegt, ist noch nicht erforscht. US-Psychologen vermuten eher eine allgemeine Ermattung in der Pandemie angesichts dessen, dass Belohnung und Abwechslung fehlt. Es sei ein Zwischenzustand zwischen Depression und Wohlfühlen. Ebenso offen ist die Frage, ob Mikrotasks unseren Arbeitsalltag nicht noch kleinteiliger machen und den Flow in immer weitere Ferne rücken – oder ob Technologie nicht im Gegenteil helfen kann, beides zu verbinden. Shamsi Iqbal und ihre Kolleginnen hatten nämlich Mikrotasks unter anderem genau dafür vorgesehen: uns zu helfen, in den Flow zu kommen.

Gloria Mark hat über viele Jahre beobachtet, wie oft Menschen bei der Arbeit unterbrochen werden – und wie oft sie sich selbst unterbrechen.

(Bild: University of California)

Dafür ist es gut zu wissen, was Flow eigentlich genau bedeutet. "Ein Flow-Erlebnis findet dann statt, wenn man das Ausführen einer Aufgabe an sich als belohnend empfindet", sagt Daniel Schneider, Leiter der Nachwuchsgruppe "Arbeitsgedächtnis" am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund. Dafür müsse eine Aufgabe genau die richtige Herausforderung bieten – sie dürfe nicht zu einfach sein, auf keinen Fall monoton, sondern fordernd, ohne zu überfordern. Dann könne dieser Zustand eintreten, in dem man mehrere Stunden am Stück produktiv arbeitet und Zeit und Raum vergisst.

Wenn Menschen von Flow-Erlebnissen berichten, handelt es sich in der Regel um größere Aufgaben oder Einheiten, die ungestörte Zeit am Stück benötigen. Aber allein das Wissen darum, dass man nun in eine größere Aufgabe einsteigt und diese mühsam werden wird, kann die Hürde enorm anheben, überhaupt damit anzufangen. Autorinnen und Wissenschaftler kennen Schreibblockaden, ähnliches gibt es in nahezu allen Berufen der sogenannten Wissensarbeit. "Mikrotasks können uns helfen, uns für eine solche größere Aufgabe aufzuwärmen", sagt Iqbal.

In einer Studie gaben die Forscherinnen Teilnehmern zunächst kleine Aufgaben, die mit der größeren Aufgabe zu tun hatten, beispielsweise zunächst Rechtschreibfehler zu verbessern, bevor sie beginnen sollten, das nächste Kapitel zu schreiben. "Auf diese Weise begannen sie, mit dem Inhalt zu verschmelzen", sagt Iqbal. Ihre Studie zeigte, dass man idealerweise mit etwas sehr Einfachem beginnt und die Schwierigkeit langsam steigert. "Das hilft den Menschen, sich mit dem Inhalt zu beschäftigen" – und senkt die Hürde, die nächste große Aufgabe anzugehen, etwa dem nächsten Textblock oder Kapitel.

In einem anderen Experiment hatte Iqbal ihre Probandinnen und Probanden gebeten, während ihrer Arbeit an einem Dokument Notizen oder Kommentare mit kleinen Aufgaben zu hinterlassen, die noch zu erledigen waren. Beispielsweise "Hier muss ich noch die Quelle ergänzen" oder "Diese Info nochmal überprüfen". Ein selbstgeschriebenes Tool erlaubte den Versuchspersonen, diese Aufgaben genau dann anzugehen, wenn sie gerade kein längeres Zeitfenster zu Verfügung hatten, etwa beim Warten auf den Bus oder den Beginn eines Meetings – Zeiten, in denen wir üblicherweise nichts tun. Mit dem Tool konnten sie nun die fehlende Quelle recherchieren und direkt beim Dokument hinzufügen.

Wenn sie später an den Schreibtisch zurückkamen, waren signifikant mehr dieser kleinen Aufgaben bereits erledigt als bei einer Kontrollgruppe, die zwar auch mobilen Zugriff auf ihr Dokument hatten, denen aber keine Mikrotasks präsentiert worden waren. "Sie konnten dann konzentriert weiterarbeiten, ohne diese kleinen Dinge noch recherchieren zu müssen." Iqbal kennt aus Beobachtung, dass Programmierer solche Pausen ähnlich nutzen, nur ohne ein Mikrotask-Tool: "Sie recherchieren etwas und schicken es sich dann selbst als E-Mail oder machen einen Screenshot."

Wenn sie dann später allerdings wieder am Schreibtisch sitzen und ihre eigenen Mails und Screenshots herunterladen, öffnet das auch das Tor für weitere Ablenkungen – etwa "nur mal kurz" nachschauen, was sich hinter dieser Benachrichtigung von Facebook verbirgt oder was die Familiengruppe auf Signal wieder schreibt. Doch dieser "Pfad der Ablenkung" ist gefährlich für unser Flow-Erlebnis, warnt Iqbal: "Es dauert durchschnittlich 23 Minuten, bis Menschen wieder zu ihrer Arbeit zurückkehren, wenn sie einer solchen Benachrichtigung mal kurz folgen."

Wenn ein Tool also automatisch all das in unser Projekt einfügt, was wir unterwegs recherchieren oder was uns in diesen kurzen, ungenutzten Zwischenzeiten einfällt, bewahrt es uns zumindest vor einigen späteren Unterbrechungen, die sich bei vielen allein dadurch ergeben, dass wir unser Smartphone zur Hand nehmen und auf allerlei Benachrichtigungen stoßen.

Doch auch gegen diesen "Pfad der Ablenkung" helfen Mikrotasks, hat Iqbal herausgefunden: Zusammen mit Kolleginnen hat sie ein Tool entwickelt, das jene kleinen Tasks in den Facebook-Feed von Nutzern integriert. Nach ein paar Posts bekommen sie nun eine ihrer Aufgabe, präsentiert, beispielsweise eine Quelle zu recherchieren. Sie mussten dafür Facebook nicht verlassen – auch dieses Tool pflegte die erledigten Aufgaben automatisch in das entsprechende Projekt ein.

Während etwa ein Drittel der Probanden die Tasks schlicht ignorierte, erledigte sie ein zweites Drittel direkt in Facebook und der Rest kehrte direkt zum Dokument zurück. Man könnte vermuten, dass die Unterschiede auf verschiedene Persönlichkeitstypen zurückzuführen sind. Einen Hinweis darauf liefert die Forschung von Gloria Mark: "Für manche ist Facebook eine echte Pause", sagt die Informatikerin. Doch nur die Disziplinierten kehren nach einer überschaubaren Zeit in den sozialen Medien zurück an ihre Arbeit. In einem Experiment blockierte Mark kurzerhand den Zugang zu Facebook für Probanden. Doch nur die Hälfte wurde dadurch produktiver, die andere Hälfte war weniger produktiv und zudem gestresst. "Weil wir ihnen die Pause genommen hatten", so Mark.

Daraus entstand unter anderem ihre Studie "Neurotics Can’t Focus: An in situ Study of Online Multitasking in the Workplace". Das mache es besonders kompliziert: Verschiedene Persönlichkeiten brauchen unterschiedliche Interventionen und es stellt sich die Frage, ob wir diese je passgenau anpassen können und inwiefern Technologie dabei helfen kann.

Gleichzeitig scheinen wir darauf konditioniert zu sein, unterbrochen zu werden: Wenn Mark und Kolleginnen in Studien externe Unterbrechungen reduzierten, indem sie beispielsweise Benachrichtigungen und soziale Medien blockierten, stiegen die Selbst-Unterbrechungen. Probanden wechselten dann aktiv von sich aus den Task oder schauten noch mal schnell in die E-Mails. Mikrotasks können dabei helfen, dies bewusster zu tun, sagt Mark: Statt Aufgaben könnten diese auch Beschäftigungen für Pausen enthalten.

Wie schwierig es ist, für die Allgemeinheit passende Tools zu entwickeln, kann man auch daran sehen, wie sich die Forschung von Iqbal und ihren Kolleginnen und Kollegen in der Praxis niederschlägt. Ein Forschungsprototyp namens Play Write habe gezeigt, dass Nutzer ihre Mikrotasks selbst erstellen wollten, anstatt sie vom System vorgegeben zu bekommen, erklärt Iqbal. "Die Mikrotask-Engine, die Play Write antrieb, identifizierte automatisch Mikrotasks – wie Rechtschreibkorrektur, Grammatikkorrektur oder das Beantworten von Kommentaren." Doch die Bedürfnisse der Nutzer seien vielfältig gewesen. "Anstatt die KI entscheiden zu lassen, welche Korrekturen für das Dokument erforderlich sind, war es wichtig, den Benutzern die Möglichkeit zu geben, selbst zu bestimmen, was sie für wichtig halten." Play Write habe noch eine Zeit lang intern zur Verfügung gestanden, sei nun aber eingestellt worden.