Arbeiten nicht nur in der Pandemie: Mit Mikrotasks besser in den Flow

Seite 3: Gefahr, Pausen zu füllen, die das Gehirn braucht

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Ein anderes praktisches Beispiel ist in Word Online eingebaut – das sogenannte "Follow-up"-Feature, mittels dem man sich mit anderen austauschen kann, die gerade am gleichen Dokument arbeiten. Auf den ersten Blick wirkt es wie kollaboratives Arbeiten in Google Docs: Man kann andere Nutzer erwähnen und ihnen Aufgaben übergeben. Doch es sei mehr, sagt Iqbal: Wird jemand erwähnt, bekommt er eine E-Mail mit der entsprechenden Aufgabe und kann diese in der E-Mail bearbeiten. Schickt er sie zurück, wird sie automatisch in das Dokument integriert. "Das ist die Essenz von Microtasks – man muss nicht auf das ganze Dokument zugreifen, um seine Aufgabe zu finden oder zu erledigen", so Iqbal. Außerdem erlaube es Follow-up, im Schreibfluss zu bleiben und sich selbst oder anderen Mikrotasks mit wenig kognitivem Aufwand für später zuzuweisen. Die Tasks lassen sich entweder als Liste anzeigen oder am Rand des Dokuments. Viele nutzen laut Iqbal das @-Zeichen, um sich und anderen Aufgaben zuzuweisen.

Aber bei allem Optimieren unseres Arbeitstages dürfe eines nicht vergessen werden, sagt Gloria Mark: Unser Gehirn braucht zwingend Pausen. Wer mit Mikrotasks experimentiert, muss das sehr passgenau tun, denn er läuft Gefahr, Pausen zu füllen, die das Gehirn braucht. "Du kannst nicht einen Berg hinaufradeln ohne Pausen", sagt Mark.

Was das Gehirn tut, wenn wir "nichts" tun, erforschen Hirnforscher seit den 1990er Jahren, als dank der besser werdenden funktionellen Magnetresonanztomographie das sogenannte "Default Mode Network" entdeckt wurde: ein Netzwerk im Gehirn, das dann aktiv ist, wenn Probanden keine bestimmte Aufgabe erledigten. Das DMN ist aktiv, wenn wir uns nicht bewusst auf etwas konzentrieren – also wenn wir Pause machen. Im Laufe der Jahre wurden viele Korrelationen gefunden, beispielsweise zeigte sich, dass Menschen mit bestimmten Aktivitäten in diesem Netzwerk bessere kognitive Fähigkeiten haben und in Intelligenztests besser abschnitten, später wurden Zusammenhänge zu mehr Zufriedenheit, Konzentrationsfähigkeit und Empathie gefunden. Hirnforscherinnen führen auch sogenannte "Geistesblitze" oder gute Ideen, auf die Menschen lange gewartet hatten und die aus dem Nichts zu kommen scheinen, wenn man etwas ganz anderes tut, auf die Aktivitäten im DMN zurück. Doch das springt nur an, wenn wir uns Pausen gönnen.

Ein prägendes persönliches Erlebnis hat Mark zu ihrem Thema gebracht. Früher habe sie weniger Probleme gehabt, in den Flow zu kommen, berichtet sie. Erst als mit ihrem Wechsel in die Lehre viele weitere Verpflichtungen auf sie zukamen – verschiedene Projekte gleichzeitig bearbeiten, Studierende betreuen, Förderungen beantragen – hatte sie auf einmal Probleme, längere Zeit konzentriert am Stück zu arbeiten.

Inzwischen hat sich die Informatikerin viel mit Psychologie und Hirnforschung beschäftigt und weiß: "Zwischen verschiedenen Projekten hin und her zu wechseln, also das ständige Verschieben der Aufmerksamkeit, ist mit Stress assoziiert" – es kostet Ressourcen. Unser Gehirn arbeitet sehr viel effektiver, wenn wir länger an einem Thema arbeiten. Das funktioniert aber nur, wenn andere Themen guten Gewissens länger ignoriert werden können – was bei den wenigsten Menschen der Fall ist. "Die meisten Menschen bevorzugen monochrome Arbeit, aber wir leben in einer polychromen Welt", sagt Mark. "Im Durchschnitt arbeiten Menschen an 12 verschiedenen Projekten."

Shamshi Iqbal untersucht, wie sich Arbeit in kleine Happen aufteilen lässt, die sich zwischen Unterbrechungen und in ungewollten Pausen erledigen lassen.

(Bild: Microsoft Research Media Photography)

Arbeiten wir also ohnehin bereits in Form von Mikrotasks, ist das die natürliche Funktionsweise des Gehirns? Nein, sagt Mark: "Tasks zu wechseln, passt nicht in die Definition von Mikrotasks." Schließlich sollen Mikrotasks helfen, die Konzentration zurückzuholen, während die Unterbrechungen häufig genau zum Gegenteil führen. Und sie können helfen, das Gefühl der Überforderung durch zu viele verschiedene parallele Projekte zu reduzieren. Mark nutzt dafür beispielsweise eine altmodische, aber doch sehr wirksame Methode: Sie überlegt sich morgens alle Dinge, die sie an einem Tag erledigen muss, und notiert sie in Form von Mikrotasks auf Post-its, die sie an den Bildschirm klebt.

Psychologe Daniel Schneider findet das Konzept von Mikrotasks durchaus einleuchtend: "Das Gehirn arbeitet auf der Basis von Belohnungen und jede erledigte Aufgabe ist eine Belohnung, auch wenn sie klein ist." Beim Flow stellt der Vorgang an sich die Belohnung dar, weil die Arbeit intrinsisch motiviere und man "sich damit ständig selbst belohnt". Bleibt der Flow allerdings aus, können Mikrotasks durchaus helfen, kleine Etappenziele zu schaffen, die dann wiederum die Motivation erhöhen, weiterzuarbeiten. "Wirklich konzentriert an einer Aufgabe zu arbeiten, ist sehr Ressourcen fordernd", sagt er, "das ändert sich aber, wenn man etwas tut, was einen wirklich motiviert."

Allerdings sei es nicht einfach, Aufgaben in Form von Mikrotasks vorzustrukturieren, weil das Bedürfnis nach Unterbrechungen und Pausen je nach Aufgabe und Persönlichkeit variiert. Und sie sollten nicht den Flow unterbrechen, wenn man ihn einmal gefunden hat.

Hier kann Technologie ins Spiel kommen, um den Zustand eines Nutzers zu erkennen und nur passende Vorschläge für Unterbrechungen oder Mikrotasks zu machen. "Technologie könnte Muster analysieren, die darauf hinweisen, dass eine Aufgabe gerade nicht besonders effizient bearbeitet wird", so Schneider. Im Labor lassen sich beispielsweise schon recht gut Korrelate finden, die mit gedanklichem Abschweifen oder kognitiver Ermüdung assoziiert sind – zum Beispiel die Stärke der Schwankungen von Gehirnwellen im sogenannten Alpha-Bereich zwischen 8 und 14 Hertz.

Wenn künstliche Intelligenz aber unsere Arbeitsweise so gut erkennt, dass sie immer mehr Leistung aus uns herauskitzelt, kann es aber auch gefährlich werden, gibt Iqbal zu: "Wenn wir unsere Arbeit überall erledigen können, ist das gleichzeitig vielversprechend, aber du hast die Verantwortung, dich nicht zu überarbeiten." Deshalb hat sie für sich selbst Mikrotasks kreiert mit Inhalten wie "Atmen" oder "Yoga" oder einfach "Pause".

(lca)