Atomstrom für die Dritte Welt

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Dieses grundlegende Design findet sich auch in anderen Reaktoren der dritten Generation – beispielsweise im Westinghouse AP1000, der laut Hersteller dadurch 60 Prozent weniger Ventile, 75 Prozent weniger Rohrleitungen, 80 Prozent weniger Steuerleitungen, 35 Prozent weniger Pumpen und insgesamt 50 Prozent weniger erdbebensicheres Gebäudevolumen benötigt als aktuell im Einsatz befindliche Atomtechnik. Der Trend setzt sich mit den Reaktoren der vierten Generation, die derzeit entwickelt werden, fort – beispielsweise beim so genannten Kugelhaufenreaktor. ESBWR-Mitentwickler Peterson sieht weitere Vorteile in computergestützten Herstellungstechnologien, die bislang nur im Schiffsbau verwendet wurden. Dies ermögliche einen modularen Ansatz, bei dem große Segmente des Kraftwerks in Fabriken vorproduziert werden könnten.

Die alte Annahme, Atomstrom könne sich nur mit staatlichen Subventionen tragen, soll dank kostengünstigerer Produktion bald nicht mehr gelten. Auch ärmere Länder interessieren sich daher für die neuen Reaktorvarianten – Marokko, Algerien und Tunesien haben sich laut Tomihiro Taniguchi, einem der stellvertretenden Direktoren der internationalen Atomenergiebehörde, bereits als potenzielle Käufer gemeldet. Auch Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate gelten als interessiert. In Ägypten befinden sich unterdessen vier neue Meiler im Planungsstadium.

Doch zwei alte Probleme bleiben trotz vereinfachter Reaktortechnik. Problem Nummer eins ist der Umweltaspekt: Wohin mit dem Atommüll? Problem Nummer zwei: Materialien und Wissen, die zum Bau ziviler Nuklearanlagen verwendet werden können, eignen sich auch zur Entwicklung von Nuklearwaffen. Hier eine internationale politische Linie zu finden, ist bekanntlich schwer.

Die internationale Atomenergiebehörde hat deshalb eine so genannte "Fuel Bank" vorgeschlagen, die atomare Brennstoffe für von Ländern der Dritten Welt betriebene Reaktoren vorhält – inklusive Zusicherung politischer Neutralität. Der Zweck: Die Notwendigkeit für diese Länder, eigene Uran-Quellen bereitzuhalten, würde wegfallen oder zumindest reduziert werden. Die US-Regierung unter Präsident Bush plant unterdessen den Start der so genannten "Globalen Partnerschaft für Atomenergie" (Abkürzung: GNEP), die als internationale Agentur zur Wiederaufbereitung von Nuklearmaterial dienen soll. Das dabei entstehende Plutonium würde dann für die Waffennutzung unschädlich gemacht. Jeffrey Lewis vom Belfer Center for Science and International Affairs an der Harvard University, hält den Ansatz für grundsätzlich richtig: "Ideen wie das GNEP-Projekt müssen eine neuerliche Komponente der Nichtproliferation enthalten. Nur Staaten, die keine Nuklearwaffen entwickeln, können von der Atomtechnik profitieren." Optimistisch, dass der Bush-Plan aufgeht, ist Lewis allerdings nicht: Die Begeisterung der internationalen Gemeinschaft gegenüber solchen Vorschlägen halte sich in Grenzen. Der Grund: Die Bush-Regierung sei bislang in Sachen Nichtproliferation wenig glaubwürdig. "Es wirkt für viele so, als ob die Regeln nicht für alle gelten sollten. Im Zusammenhang mit Indien zeigte sich beispielsweise, dass offenbar die aktuelle Beziehung eines Landes zu den USA wichtiger ist – und seine jeweilige geopolitische Macht."

Grundsätzlich steht Lewis dem "Fuel Bank"-Ansatz und anderen Übereinkünften zur Nichtproliferation aber positiv gegenüber. Selbst die aktuelle Lage im Verhältnis zum Iran sieht er als positives Signal: "Dort sind sofort die roten Lampen angegangen, als es Zeichen gab, dass man sich dort nicht mehr an die Nichtproliferation halten könnte." Er glaube nicht, dass die Maßnahmen des Atomsperrvertrages schuld daran seien, sollte es auch nach Jahren zu keiner Lösung kommen. "Nicht unsere Regelungen zur Nichtproliferation funktionieren nicht, sondern die Ansätze der Bush-Regierung, um aus dieser Sache herauszukommen." Er selbst fürchte sich weniger vor der Verbreitung von Reaktortechnologie, denn vor anderen Nuklearanlagen: "Viel schlimmer ist doch, wie schnell Anreicherungs- und Wiederaufarbeitungskapazitäten aufgebaut werden können. Die Anreicherung mit Hilfe von Zentrifugen stellt eine große Gefahr dar."