Automobile Fernbeziehung

Seite 2: Fernlenkung über 900 Kilometer

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Lange Zeit waren die Münchener daher relativ allein mit ihrem Ansatz. Doch das ändert sich gerade. Nissan arbeitet beispielsweise gemeinsam mit der Nasa an einem Fernsteuerungskonzept. Und Anfang Januar demonstrierte das US-Start-up Phantom Auto, dass sich Fahrzeuge über fast 900 Kilometer Entfernung fernlenken lassen. Der Fahrer befand sich im kalifornischen Mountain View, der Wagen in Las Vegas.

Mit an Bord war meine Kollegin Rachel Metz. Im Vergleich zu klassischen Auto-Autos verursachte die Phantom-Fahrt bei ihr am meisten Nägelkauen. Der Operator steuerte das Auto mit maximal 40 Sachen durch nächtlichen Regen, überfüllte Straßen, eine Tankstelle und andere Hindernisse, die für selbstfahrende Autos schwierig sind. "Auch wenn wir alles unbeschadet überstanden haben: Die Unschlüssigkeit des Fahrers war oft spürbar, etwa beim Überqueren von Fahrspuren oder beim Abbiegen", lautet ihr Fazit.

Zurück nach München. Dort laborieren die Forscher an einer entscheidenden Voraussetzung für ferngesteuertes Fahren: einer schnellen und verlässlichen Funkanbindung. Als sie 2010 mit ihren Versuchen begannen, nutzten sie noch das 3G-Mobilfunknetz. An eine Steuerung in Echtzeit war damit nicht zu denken. Stattdessen gab der Operator nur grob die Richtung vor und hoffte darauf, dass der Wagen dank eigener Intelligenz selbst den Weg findet.

Anschließend arbeiteten sie mit WLAN. Dazu musste der Operator in einem Transporter hinter dem zu steuernden Auto hergefahren werden – auch keine Lösung. Die aktuellen Versuche in Garching laufen nun über das normale LTE-Netz der Telekom. Dort haben die Forscher im Schnitt eine Latenzzeit von 80 Millisekunden gemessen. Das klingt nach wenig, aber es kommt immer wieder zu Aussetzern von bis zu 500 Millisekunden. In dieser Zeit fährt ein Wagen mit Tempo 50 immerhin knapp sieben Meter weit. Sensoren und Rechnerintelligenz könnten den Wagen in dieser kurzen Zeit zwar selbstständig steuern. "Aber gerade bei Notfällen wollen wir uns nicht auf Sensoren verlassen", sagt Georg. "Deshalb ist unser Ziel, die nötige Sensorik möglichst zu minimieren."

Als Kompromiss haben die Forscher einen Puffer von 200 Millisekunden eingebaut. Das bedeutet: Der Fern-Fahrer bekommt die Kamerabilder aus dem Auto mit einer Verzögerung von einer Fünftelsekunde zu sehen, dafür aber möglichst flüssig. Doch so ganz reicht der Buffer nicht, wie ich an den ruckeligen Videos sehe. Und an Echtzeit-3D-Bilder aus Stereokameras, welche die räumliche Orientierung deutlich erleichtern würden, ist schon gleich gar nicht zu denken. Deshalb hoffen die TU-Forscher nun auf den neuen Mobilfunkstandard 5G.

Gerade waren sie in London, wo sie ihn gemeinsam mit Huawei ausprobiert haben. Sie kamen auf eine Latenz von relativ konstanten sechs Millisekunden, und das bei einer Auflösung von knapp 4K und einer Entfernung von über 60 Kilometern.

Zusätzlich soll eine VR-Brille dem Teleoperator ein besseres Gefühl für das Fahrzeug geben. Einen Prototyp mit einer Oculus Rift der ersten Generation gibt es schon. Ich setze ihn auf und sehe die Bilder der Frontkamera, überlagert mit den Daten des vorderen Lidarsensors sowie der Projektion des Fahrwegs. Besonders angenehm: Das Fahrzeug selbst ist nur als transparenter Rahmen eingeblendet, der den Blick auf die Vorderräder frei lässt. So lässt sich besser erkennen, wie viel Platz noch bis zum Fahrbahnrand ist.

Teilnehmer einer ersten Studie bemängelten allerdings das recht enge Blickfeld von 110 Grad. Mittlerweile sind Brillen mit über 200 Grad erhältlich. Ob sie auf Dauer besser sind als herkömmliche Bildschirme, ist noch offen. In Kürze starten die Münchener ein Forschungsprojekt, das die Ergonomie solcher Kontrollstände untersuchen soll. Schließlich darf einem künftigen Operator, der einen ganzen Tag lang von Auto zu Auto springt, nicht nach wenigen Kilometern der Kopf schwirren. Um die andere Seite der Fernsteuerung kennenzulernen, steige ich zu Feiler ins Auto.

An den Stoßstangen sitzt je ein Laserscanner, dazu kommen Kameras an Windschutzscheibe, Außenspiegeln, Heckklappe sowie einem langem Ausleger auf dem Dach, wo sich zudem zwei GPS-Empfänger befinden. Der Wagen ist von 2008, und vieles lässt sich noch nicht direkt über die Bordelektronik ansprechen. Also betätigt ein Hydraulikzylinder im Fußraum die Bremse. In neueren Wagen sind die meisten der nötigen Sensoren und Aktoren schon serienmäßig an Bord.

Auch ein Sensor für die Lenkung fehlt dem Q7, deshalb bekommt der Operator auch kein Feedback, was bei mir zu einer etwas eierigen Fahrweise geführt hat. Jean-Michael Georg zeigt, wie es besser geht. Sein Kollege muss nur beim Rückwärtsparken eingreifen, ansonsten verläuft unsere ferngesteuerte Fahrt angenehm und unspektakulär. Nur an einer scharfen Linkskurve meine ich einen Unterschied zu spüren: Das wie von Geisterhand bewegte Lenkrad steuert mehrmals leicht nach, während ein physisch präsenter Fahrer die Kurve wohl gleichmäßiger genommen hätte.

(grh)