Autonomes Fahren auf Level 4: Schlafen am Steuer erlaubt

Die BASt nennt Level 4 nicht mehr voll automatisiert, und das hat gute GrĂĽnde: Der Mensch ĂĽbergibt die Steuerung und muss nicht bereit sein fĂĽr die Ăśbernahme.

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autonomes Fahren

Keine Fantasie, sondern Realität: Auch bei Level 3 darf sich der Fahrer bereits abwenden, solange er prinzipiell zur Rückübernahme bereit ist. Trotzdem ist Level 4 der eigentliche qualitative Sprung zur Autonomie.

(Bild: BMW)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis

Wenn Elon Musk eine Ankündigung macht, ist das kein Versprechen: "Definitiv vor 2027" werde das autonome Robotaxi namens Tesla Cybercab produziert werden. Das zweisitzige Elektroauto hat keine Pedale, kein Lenkrad und soll "unter 30.000 US-Dollar" kosten. Es bringt zwei Menschen und Gepäck, wohin sie wollen. Im markenüblichen Tam-Tam und dem dazugehörigen Hohngelächter ("Elon-Time") könnte leicht untergehen, dass "vorher Model Y und Model 3 Unsupervised FSD" beherrschen sollen. Das erwähnte Musk ebenfalls. Es würde damit also die breite Masse betreffen. Neu an der Debatte in der Branche – auch bei Mercedes oder Volkswagen – ist, dass viele Passagiere bereits das Fahren nach Level 4 und nicht erst mit Level 5 als autonom wahrnehmen könnten. Reicht das, und was bedeutet das?

Tesla will das Cybercab "vor 2027" und "für 30.000 US-Dollar" produzieren. Der Hersteller setzt beim "Unsupervised Full Self-Driving" (FSD) auf Vision Only, also allein auf Kameras als Sensorik. Das Tesla Cybercab hat weder Lenkrad noch Pedale, aber Platz für zwei Menschen plus Gepäck. So ein Fahrzeug muss nicht autonom nach der SAE-Definition Level 5 sein, es genügt die Autonomie nach Level 4.

(Bild: Tesla)

Es gibt keine internationale und einheitliche Definition der Stufen des automatisierten Fahrens, aber Konventionen, die in Europa und den USA, dort nach der SAE J3016, geteilt werden. Viele Neuwagen sind zumindest mit Assistenzsystemen nach Level 1 ausgestattet. Dazu gehört unter anderem ein adaptiver Tempomat, der den Abstand zum Vordermann reguliert. Die Längsführung – Verzögern und Beschleunigen – ist in diesem Fall assistiert. Wird diese Längsführung mit der Querführung – dem Lenken – kombiniert und kann das Auto Fahraufgaben ohne Eingriff des Menschen bewältigen, spricht man von Level 2.

In beiden Fällen muss der Fahrer grundsätzlich und durchgehend die Assistenzsysteme überwachen. Fehler müssen vom Fahrer korrigiert werden, er bleibt stets in der alleinigen Verantwortung. Die Aufmerksamkeit wird unter anderem durch berührungsempfindliche Lenkräder eingefordert, die erkennen, wenn keine Hand am Steuer ist. Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) hat 2021 zur Vereinfachung und für mehr Klarheit Level 1 und Level 2 unter dem Begriff "assistiertes Fahren" zusammengefasst.

Level 4 bedeutet, dass der Mensch sich komplett von den Fahraufgaben abwenden darf - zum Beispiel, um einen Film zu sehen - und er muss anders als bei Level 3 nicht in der Lage zur Rückübernahme sein. Zu Beginn werden Level 4-Fahrzeuge noch vielen Beschränkungen, etwa beim Wetter, unterliegen; das dürfte sich aber zügig auflösen. Tesla verspricht, dass Model 3 und Model Y vor dem (!) Cybercab das sogenannten Unsupervided FSD beherrschen.

(Bild: BASt)

Level 3 ist in der Nomenklatur der BASt das automatisierte Fahren. Gebräuchlich sind auch die Begriffe "teilautomatisiertes" und "hochautomatisiertes Fahren" für Level 2 und Level 3; aus Sicht der BASt verdeutlichen die geringen sprachlichen Unterschiede aber nicht den qualitativen Fortschritt. Ab Level 3 dürfen Fahrer von Pkw oder Lkw unter bestimmten und definierten Bedingungen (abgekürzt ODD für "Operational Design Domain") die Aufmerksamkeit komplett abgeben. Diese Bedingungen kann ein Hersteller eng auslegen. Er kann beispielsweise definieren, dass für Level-3-Fahren die Temperatur bei mehr als 5 Grad liegt, die Straße mindestens zwei Fahrspuren in jede Richtung hat, klare Sichtverhältnisse herrschen und die Geschwindigkeit unter einer bestimmten Marke liegen muss.

Der Mensch kann sich in diesem vorgegebenen Rahmen abwenden, ist aber verpflichtet, in einer Übergangsfrist von zum Beispiel zehn Sekunden in der Lage zu sein, die Fahraufgabe wieder zu übernehmen. Wichtig: Anders als bei Level 2 ist der Fahrer im Level-3-Szenario bis zu dem Moment, wo das System ihn zur Übernahme auffordert, aus der juristischen Verantwortung. In dem vorgegebenen Rahmen haftet der Hersteller, was unter anderem erklärt, warum diese sich so vorsichtig dem Thema nähern. Andererseits definiert die Klassifizierung nur die untere Grenze. Es ist also nicht verboten, unter den beispielhaft genannten Bedingungen Level 3 auch abseits der Autobahn zu ermöglichen.

Das ist die Übersicht der Level 0-5 nach der verbreiteten Definition der SAE sowie des VDA und anderen. Die Abgrenzungen sind unscharf und die Übergänge manchmal fließend. Die meisten Serienfahrzeuge sind heute teilautomatisiert nach Level 2: Wenn die Sensorik fährt, muss der Mensch das permanent überwachen und jederzeit sofort zur Rückübernahme bereit sein.

(Bild: VDA)

Einige Pkw wie der Mercedes EQS sind in der Europäischen Union für Level 3 zugelassen. Sowohl die Geschwindigkeit (beim EQS inzwischen bis 95 statt bis 60 km/h) als auch das Wetter (nicht nachts oder bei Regen) sind noch erheblich begrenzt. Trotzdem gibt es eine sukzessive Ausweitung. Tesla hat unter dem Druck US-amerikanischer Behörden dem sogenannten Full Self-Driving (FSD) den Zusatz Supervised (überwacht) hinzugefügt. Es handelt sich also um ein assistiertes System nach Level 2. Auch die beeindruckenden Mitschnitte aus den USA von langen Strecken, auf denen der Mensch nicht eingreifen muss, ändern daran nichts.

Der wahre Vorsprung ergibt sich weltweit erst, wenn auf Level 3 das Level 4 folgt. Die BASt spricht nicht mehr vom hochautomatisierten Fahren wie bei Level 3, sondern vom autonomen Fahren: Der Mensch kann sich unter den zuvor definierten Bedingungen (ODD) vollständig zurückziehen und muss nicht in der Lage zur Rückübernahme sein. Er darf Filme schauen oder schlafen, sobald das System aktiv ist. Der Assistent kann – mindestens – ein exakt definiertes Szenario komplett allein bewältigen.

Im Tesla-Sprech ist das Unsupervised FSD. Sollte es wie von Elon Musk angesagt gelingen, diese Definition noch vor dem Cybercab bei Model Y und Model 3 für die Jahre 2025 oder 2026 zu realisieren, wäre das nicht weniger als der Beginn einer Kulturrevolution. Ob das gelingt, ist unter Experten umstritten. Denn es gibt bei der Zulassung nicht nur zwischen Europa und den USA, sondern auch innerhalb der USA Unterschiede. Mercedes erklärt auf Anfrage von heise/Autos, dass die Vorschriften international ab Level 3 "sehr heterogen" wären und man eine weltweite "Harmonisierung begrüßen" würde. Manche US-Bundesstaaten, so heißt es weiter von Mercedes, erlauben eine Selbstzertifizierung(!) des Herstellers ohne Prüfung durch zusätzliche Institutionen, andere verbieten das.

In Deutschland ist seit Juni 2022 ein Gesetz in Kraft, das den Verkauf und Betrieb von Level-4-Systemen grundsätzlich gestattet. So hat das Kraftfahrtbundesamt (KBA) ein fahrerloses Parksystem von Mercedes freigegeben, das vorerst noch äußerst engen Beschränkungen unterliegt; es geht mehr ums Prinzip. Level 4, nach der bisherigen Sprachregelung "hochautomatisiert" und nach der BASt "autonom", wird bei den meisten Menschen wahrscheinlich als autonomes Fahren wahrgenommen werden. Wie erwähnt: Schlafen am Steuer ist unter Umständen erlaubt.

Mercedes bietet mit dem EQS einen der wenigen Level 3-zugelassenen Pkw an: Der Fahrer darf dem Elektroauto innerhalb enger Grenzen (bis 95 km/h, nur bei guter Sicht) die Fahraufgabe ĂĽberlassen und muss das nicht ĂĽberwachen. Er muss aber zur RĂĽckĂĽbernahme innerhalb einer bestimmten Frist - zum Beispiel zehn Sekunden - in der Lage sein.

(Bild: Mercedes)

Das Spektrum von Level 4 wird trotzdem sehr breit werden und vielleicht anfangs enttäuschend sein: Weil es auf der Autobahn keine Ampeln, keinen Gegenverkehr und keine Fußgänger gibt, wird das autonome Fahren mutmaßlich hier starten. Aber ähnlich wie bei Level 3 könnten die Rahmenbedingungen für die Aktivierung zum Start arg begrenzt sein. Bei einsetzendem Regen oder in der Dämmerung etwa könnte das Auto entscheiden, den nächsten Rastplatz anzusteuern.

Gleichzeitig zeigt die Erfahrung mit den aktuellen Level-2-Systemen, wie weit der von-bis-Bereich sein kann: Ein Level-4-System gilt auch dann als solches, wenn es im Sommer und im Winter, auf allen Straßen und bei jedem Wetter das Fahrzeug perfekt bewegt, und der Mensch kann sich zurücklehnen. Die Abgrenzung zu Level 5 bedeutet, dass dann sämtliche vorstellbaren Fahraufgaben, etwa das Rangieren auf einem Campingplatz, auch ohne Menschen in wirklich allen Situationen beherrscht werden. Der eigentliche Sprung ist der von Level 3 auf 4, oder in der Nomenklatur der BASt der Übergang vom automatisierten zum autonomen Fahren.

Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang die beiden unterschiedlichen technischen Ansätze zur Problemlösung: Tesla baut ausschließlich auf Kameras und nennt das "Vision Only". Das Argument von Tesla ist, dass auch der Mensch sich rein optisch orientiert. Gute Scheinwerfer, mehrere Kameras und leistungsstarke Rechner im Fahrzeug und im Backend sollen zum Ziel führen. Tesla argumentiert, dass auf diese Weise auch digitales und zentimetergenaues Kartenmaterial keinen Sinn mehr ergibt: Das Auto orientiert sich wie ein Mensch.

Auch BMW bietet Level-3-fähige Fahrzeuge an. Alle Hersteller außer Tesla setzen auf eine Kombination aus Kameras, Radar und Ultraschallsensoren. Außerdem sind die Systeme redundant ausgelegt.

(Bild: BMW)

Der Rest der Industrie geht davon aus, dass Radar und Ultraschallsensoren bei schlechter Sicht einen klaren Zusatznutzen gegenüber Kameras bieten, unverzichtbar sind und die Sicherheit erhöhen. Bei Mercedes sind außerdem vier Kernbereiche redundant ausgelegt, nämlich Bremse, Lenkung, Stromversorgung und Teile der Sensorik. Diese doppelte Auslegung in diesen Bereichen ist nicht ausdrücklich für die Zulassung vorgeschrieben. Erforderlich ist aber die Fähigkeit, unter allen Umständen einen Nothalt zu schaffen, woraus die meisten Hersteller eben doch eine implizite Redundanzpflicht interpretieren.

In Europa gilt bis auf Weiteres, dass die Level-3-Systeme von BMW und Mercedes derzeit an der Spitze liegen. Es ist aber davon auszugehen, dass Tesla längst mit Versuchsfahrzeugen Millionen Kilometer mit FSD sammelt. Nicht nur in Texas oder Kalifornien, sondern auch in Norwegen, Deutschland und Spanien.

(mfz)