Batterie auf vier Räder: E-Autos als privater Energiepuffer

Wenn Elektroautos stehen, können Modelle mit bidirektionaler Ladetechnik überschüssige Energie abgeben. Die Technik funktioniert, doch es gibt ein paar Hürden.

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, Thorsten Hübner

(Bild: Thorsten Hübner)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Dirk Kunde
Inhaltsverzeichnis
c't kompakt
  • Neuere E-Autos mit CSS-Anschluss können Energie ins Netz speisen.
  • In Kombination mit einer PV-Anlage hilft die Batterie, den Anteil des Eigenstroms am Verbrauch zu erhöhen.
  • Die Technik ermöglicht Geschäftsmodelle, bei denen der Besitzer mit dem Auto während dessen Standzeiten Geld für systemdienliche Leistungen verdienen kann.

Aus dem Ofen in der Küche strömt noch heiße Luft. Bis eben stand ein Nudelauflauf im Backofen, der nun auf dem Esstisch steht. Die vierköpfige Familie Genster hat zum Abendessen im hell erleuchteten Raum Platz genommen, aus der Stereoanlage ertönt Musik. Die Energie für das alles kommt aus dem Auto in der Garage.

"Sobald die Sonne untergegangen ist, versorgt uns das Elektroauto beziehungsweise der Heimspeicher", sagt Familienvater Torsten Genster. Er lebt mit Frau und zwei Kindern in Windeck im nordrhein-westfälischen Rhein-Sieg-Kreis. Wenn der 51-Jährige nach Hause kommt, schließt er seinen Nissan Leaf über einen Chademo-Stecker an die Wallbox. Dann fließt Energie aus den zwei PV-Anlagen in die 63-kWh-Batterie im Fahrzeugboden.

Eine PV-Anlage mit sechs Kilowatt Peak liegt auf dem Flachdach des Anbaus, im Garten hat die Familie noch mal 30 Quadratmeter Solarmodule auf einem Ständer installiert. Diese Anlage schafft in der Spitze sieben Kilowatt. Insgesamt erzeugen beide PV-Anlagen rund 10.000 kWh pro Jahr. Das ist in Summe mehr als genug für den Haushalt (etwa 4000 kWh) und den Bedarf des E-Autos. Für die rund 15.000 Kilometer braucht es jährlich etwa 3000 kWh. Warmwasser erzeugt die Familie per Solarthermie auf dem für PV ungeeigneten Dach des Wohnhauses.

Familie Genster hat genügend Solarpanels auf dem Grundstück und dem Anbau platziert, um den Jahresbedarf zu decken, auch fürs E-Auto.

Leider verteilt sich die Energieausbeute nicht gleichmäßig über das Jahr. In den dunklen Monaten muss Genster Energie hinzukaufen. Das summiert sich im Jahr auf 1000 bis 1200 kWh. Doch ab März reicht das Sonnenlicht aus, um das Haus komplett mit Sonnenenergie zu versorgen. Im Keller steht dazu ein stationäres Batteriesystem, ein Heimspeicher mit 10 kWh Kapazität. Die Größe ist so gewählt, dass Familie Genster den Bedarf eines Tages abdecken kann – so weit PV-Standard.

Im Auto steckt allerdings eine sechsmal so große Batterie. Sie verspricht also noch viel mehr Autarkie für sonnenarme Phasen. Um sie zu nutzen, ist eine bidirektionale Wallbox erforderlich – alles andere als PV-Standard. Tatsächlich gehört der Finanzbeamte mit seiner Installation zu den technischen Vorreitern. Gewerbliche Projekte, die das Potenzial bidirektionalen Ladens ausloten, gibt es einige. Im Privatbereich existieren erst wenige, vorsichtige Tests.

Einer davon ist das Projekt "I-Rezept". Das Akronym steht für den etwas sperrigen Titel, der den Untersuchungsgegenstand mehr schlecht als recht beschreibt: "Intelligente rückspeisefähige Elektrofahrzeuge zur Eigenstrommaximierung und Primärregelleistungsmarkt-Teilnahme". I-Rezept soll untersuchen, welches Potenzial bidirektionales Laden für die Energiewende bietet. Genster war einer von 13 Haushalten bundesweit, die die bidirektionale Technik testen durften. Das Projekt ist bereits abgeschlossen. Die Auswertung der Ergebnisse steht noch aus.

Zu den Projektpartnern zählten Bosch Software Innovations und die Fraunhofer-Institute IAO und IFAM. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur unterstützte das Projekt finanziell, der japanische Automobilhersteller Nissan stellte den Leaf sowie die DC-Wallboxen mit Chademo-Anschluss. Für diesen japanischen Ladestandard ist bidirektionales Laden schon länger implementiert. Die Reaktorkatastrophe von Fukushima war Anlass, die Entwicklung der bidirektionalen Ladetechnik zu forcieren, um E-Autos als Notstromversorgung einzusetzen.

Chademo ist in Europa Geschichte, hierzulande wird nach CSS-Standard geladen. Dessen Norm für bidirektionales Laden (ISO 11518-20) haben die Gremien erst kürzlich verabschiedet. ID-Modelle von Volkswagen mit der 77-kWh-Batterie und Software ab Version 3.1 sind "BiDi ready". Auch der Renault Megane E-Tech wird den bidirektionalen Standard unterstützen.

Die bidirektionale Chademo-Wallbox, die Gensters im Rahmen des i-Rezept-Projektes erhielten, unterscheidet sich kaum von herkömmlichen Wallboxen.

Stand heute gilt es vor allem, regulatorische Hürden im deutschen Strommarkt auszuräumen, damit Privatleute Energie aus ihrem Fahrzeug über den Hausanschluss ins Stromnetz speisen dürfen (V2G, Vehicle to Grid). "Die gesetzlichen Vorgaben kennen nur Erzeuger, Transporteure und Verbraucher im Energiemarkt. Das Konzept eines Speichers hat sich noch nicht etabliert", sagt Marcus Fendt, Geschäftsführer von The Mobility House aus München im Gespräch mit c’t. Zusammen mit 16 weiteren Unternehmen aus der Automobil-, Energie- und Ladeinfrastrukturbranche gehört The Mobility House zur "Initiative Bidirektionales Laden".

Stationäre Energiespeicher sind bereits von Abgaben und Umlagen befreit. Für mobile Speicher, also Elektroautos, gelten diese Befreiungen nicht. "Wären mobile und stationäre Speicher gleichgestellt, wäre die Frage der Abgaben- und Umlagenbefreiung zu 90 Prozent geklärt. Zum anderen würden sich Geschäftsmodelle rechnen, die mobile Speicher systemdienlich einsetzen", sagt Fendt.

Mit Vehicle to Load (V2L) ausgestattete Fahrzeuge können Haushaltsgeräte direkt betreiben. Man schließt sie an einer Schuko-Dose im Fahrzeuginnenraum oder wie im Foto über einen externen Adapter an.

In Fendts Augen sollte der Gesetzgeber keine Unterscheidung bei Speichern vornehmen. Als weitere Hürde benennt die Initiative die Pflicht zum Einbau eines teilweise eichrechtskonformen Smart Meter inklusive Gateway: Die Geräte seien nicht in ausreichender Zahl verfügbar, ihr Einbau sei problematisch und mit hohen Kosten verbunden. Gemäß den aktuellen Vorschriften müssten Kunden bis zu drei separate Zähler für PV-Anlage, Heimspeicher und Auto installieren.

Wären diese Hürden genommen, ließen sich innovative Geschäftsmodell umsetzen. Private Fahrzeuge stehen einen Großteil des Tages ungenutzt herum. Wenn sie daheim oder auf der Arbeit mit einem bidirektionalen Ladepunkt verbunden sind, können sie als Pufferspeicher dienen oder die Netzfrequenz stabilisieren. Diese systemdienlichen Leistungen kann der Anbieter gegen Geld zur Verfügung stellen, und den E-Autobesitzer beteiligen.

Der Car-Sharing-Anbieter We Drive Solar nutzt die bidirektionale CSS-Erweiterung im niederländischen Utrecht für einen groß angelegten V2G-Test. Seit Ende April sind 25 Hyundai Ioniq 5 in der Stadt unterwegs, die Energie in beide Richtungen leiten. "Im Laufe des Jahres werden wir die Zahl der Ioniq 5 auf 150 erhöhen", sagt Robin Berg, Geschäftsführer von We Drive Solar. Das E-Auto des koreanischen Herstellers verwendet das leicht angepasste bidirektionale Protokoll der ISO-Norm für seine V2L-Funktion. Das L steht für "Load", eine elektrische Last, die wie im Haushalt mit Wechselstrom betrieben wird. Über eine Steckdose unter der Rückbank und einen Adapter im Ladeanschluss können Nutzer elektrische Geräte mit einem Schukostecker betreiben (3,6 kW Leistung).

In Utrecht geben die E-Autos während der Standzeit auf einer Phase bis zu 5 Kilowatt über das Typ-2-Kabel an das öffentliche Stromnetz ab. Die Nutzung der E-Autos als Energiespeicher soll den notwendigen Netzausbau in Grenzen halten. Wie der Name des Anbieters andeutet, erzeugt We Drive Solar auf insgesamt 25 Dächern öffentlicher Gebäude mit PV-Anlagen die Energie, die die derzeit 200 E-Autos in der Flotte antreibt.

Rechnerisch bräuchte man 8000 E-Autos, um den grünen Strom zu speichern, der im gesamten Stadtgebiet produziert wird. Von den heute 140.000 Pkw in Utrecht sollen in drei Jahren 25.000 rein elektrisch fahren. Ob die dann bidirektional laden können, ist fraglich. Hyundai sieht die Wechselstrom-Technik nicht als endgültige Entscheidung für V2G.

Volkswagen beispielsweise setzt auf Gleichstrom. Im Laufe des Jahres sollen ID-Modelle mit mindestens 77 kWh Batteriekapazität ein Update für bidirektionales Laden erhalten. Will man die Fahrzeuge als Batterie fürs Haus einsetzen, benötigt man eine bidirektionale DC-Wallbox.

Während die Hardware im E-Auto Gleichstrom bereits in beide Richtungen fließen lässt, wäre für die Nutzung von Wechselstrom eine Nachrüstung notwendig. "In etlichen Ländern Europas bestehen zudem unterschiedliche Netzanschlussrichtlinien bei Wechselstrom", sagt Martin Roemheld, Vice President der Volkswagen Group Charging. Somit wäre der Energiefluss mit Wechselstrom im ausländischen Ferienhaus mitunter unmöglich. Gleichstrom-Wallboxen kosten rund 5000 Euro. Volkswagens Energietochter Elli nennt noch keinen Preis, doch das hauseigene Angebot soll deutlich darunter liegen.

Noch ist bidirektionales Laden eine Spielwiese für Versuche, aber V2G und V2H (Vehicle to Home) sind wichtige Bausteine der Energiewende. Weil die Menschen immer mehr Geräte im Haushalt mit Strom versorgen – E-Autos gegen den Ölpreis-Schock und E-Heizungen gegen den russischen Winter –, warnen Kritiker vor künftigen Netzausfällen. Doch gerade das E-Auto könnte als Energiespeicher der Puffer sein, den die Stromnetze zur Stabilisierung brauchen. Ist überschüssige Energie im Netz, nimmt der Akku Energie aus erneuerbaren Quellen auf. Wird sie gebraucht, gibt er einen Teil wieder ab.

Torsten Genster hat seine DC-Wallbox nach dem 15-monatigen Test wieder gegen eine klassische AC-Wallbox getauscht. In der Garage im Untergeschoss steht jetzt ein Tesla Model 3. Bidirektionales Laden ist damit nicht möglich. Dennoch ist Genster nach seiner Testerfahrung überzeugt: "Dem bidirektionalen Laden gehört die Zukunft."

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