Beton kann auch anders

Neue Varianten des Baustoffs machen Gebäude leicht und ästhetisch. Das Geheimnis: Sie sind mit Nanoteilchen, Hightech-Gewebe oder nachwachsenden Stoffen verstärkt.

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Von
  • Joseph Scheppach
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Das Hämmern der Kolbenpumpe lässt die ganze Maschinerie erzittern. Tonnenschwere Betonsäulen werden durch ein stählernes Steigrohr geschossen – 600 Meter hoch. Dort quillt der Brei in ein Bewehrungsgeflecht aus geriffelten Rundstählen, dicker als Besenstiele. Am Ende soll der saudi-arabische Jeddah Tower auf 1007 Meter Höhe wachsen und damit als erstes Gebäude der Welt die Kilometermarke knacken.

Das Werk ist ein gutes Beispiel dafür, wie Beton die Grenzen des statisch Möglichen immer weiter nach oben verschiebt. Noch immer haftet dem grauen Material das Image von Tristesse und Klobigkeit an und gilt als Zeichen einer Baukultur, die vor allem eines sein will – billig. Hinzu kommen die Umweltauswirkungen des jetzigen Materials. Zwischen sieben und zwölf Prozent der weltweiten jährlichen CO2-Emissionen gehen auf das Konto der Zement- und Betonherstellung. Doch dank neuer Technologien wandelt sich dieses Bild gerade. Das schwere graue Material wird zu einem leicht wirkenden, nahezu ästhetischen Werkstoff: extrem formbar, sehr stabil und vielfach einsetzbar. Ob kühne Wolkenkratzer oder filigrane Brücken: "Wie kein anderer Baustoff ermöglicht Beton jetzt anmutige Konstruktionen, von denen man vorher nur träumen durfte", sagt Michael Schmidt, Professor für Werkstoffe an der Uni Kassel. Die neuen Ansätze sparen zudem Material und damit Kohlendioxid-Emissionen. "Ressourcenschonend und trotzdem dauerhaft, schnell und leicht zu bauen wird in Zukunft immer wichtiger", prophezeit Ferenc Zámolyi von der österreichischen Versuchs- und Forschungsanstalt für Baustoffe und Baukonstruktionen (BTI) bei Linz. Im Bauwesen beginnt eine neue Ära.

Vorbei scheinen die Zeiten, da Beton einfach nur aus den drei Komponenten Zement, Kies und Wasser zusammengerührt wurde. Heute mixen Wissenschaftler dem Beton Nanopartikel, Hightech-Textilien oder sogar Bambus bei. Materialforscher, Nanotechnologen und Chemiker wollen jene Betonvariante ablösen, die sich der deutsche Ingenieur W. Doehring 1888 patentieren ließ: den Spannbeton. Damit glaubte man ein probates Mittel gegen die größte Schwäche des Betons gefunden zu haben. Beton hat nur eine geringe Zugfestigkeit, die ihn bei Biegung schnell brechen lässt.

Um dem vorzubeugen, hatte Doering die Idee, Stahlseile in den Beton einzubringen. Ist der Beton ausgehärtet, werden die Stahlseile gespannt und nehmen sämtliche Zugkräfte auf. So entstanden frei tragende Dächer und gewaltige Viadukte. Doch inzwischen stellt sich heraus: Die Stahlbeton-Konstruktionen sind äußerst anfällig. Über die Jahre erschlaffen die Spannkabel, und die gefürchteten Zugkräfte können ungehindert ihr zerstörerisches Werk tun.

Selbst feine Mikrorisse, durch die Tausalzlösung in den Beton eindringt, werden zu einem unüberschaubaren Risiko. Niemand kann kontrollieren, was mit der tief im Beton verborgenen Spannstahlbewehrung geschieht, wenn sie wegen der Feuchtigkeit zu rosten beginnt. "Der Schaden wird erst deutlich, wenn sich die Betonkonstruktion bereits zu senken beginnt – und das quasi in letzter Minute vor dem Zusammenbruch", erklärt Betonexperte Zámolyi. Trotz teurer Sanierung sind Spannbetonbrücken häufig nicht zu retten.