Bis zum letzten Tropfen

Die gesamte Weltwirtschaft hängt am Tropf der Versorgung mit Erdöl. Schwindende Reserven nähren die Befürchtung, dass sie bald in ernsthafte Probleme geraten könnte. Doch noch scheint alles eher eine Frage des Preises – und letztlich der Technologie

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Rolf Wiborg sieht ganz harmlos aus. Wie man sich einen norwegischen Ingenieur eben so vorstellt: Jeans, gepflegter, kurzer Vollbart, Brille, Flanellhemd – an der Wand seines Büros hängen Bilder von Kindern und Enkeln. Aber verhandeln möchte man nicht mit dem Mann. Schon gar nicht über eine Lizenz, auf dem norwegischen Kontinentalsockel nach Öl bohren zu dürfen. „Die Leute erzählen eine schreckliche Menge Mist“, sagt Wiborg und lächelt, „und manchmal machen sie das, weil sie stinkreich werden, wenn sie überzogene Erwartungen wecken.“

Wiborg ist „Senior Advisor“ des „Norwegian Petroleum Directorate“ (NPD), das ans norwegische Erdöl- und Energieministerium berichtet – ein Ingenieur, der über 20 Jahre im Ölgeschäft gearbeitet hat und jetzt „potenziellen Reichtum in echten Wohlstand“ transformiert, indem er den Energiemarkt beobachtet und Lizenznehmer bewertet, die in norwegischen Gewässern Öl fördern wollen. „Jeder ist beschäftigt. Jeder versucht Verträge zu machen, die er vor vier oder fünf Jahren nicht angefasst hätte“, sagt Wiborg.

Denn in der Branche ist die Hölle los. In einem Umfeld steigender Preise und sinkender Reserven haben Förderländer, Ölkonzerne und ihre Dienstleister alle Hände voll damit zu tun, neue Vorkommen zu entdecken und alte effizienter auszubeuten. Sogar in Deutschland, in Niedersachsen, will die RWE Dea noch in diesem Jahr wieder nach Öl suchen. Und bei all dem geht es um weit mehr als nur um das Wohlergehen einer – wenn auch riesigen – Industrie: Von der Verfügbarkeit von Öl hängt die gesamte Weltwirtschaft ab.

So mancher sieht im aktuellen Boom den finalen Endspurt des Öl-Zeitalters. Der Geologe Marion King Hubbert hatte in den fünfziger Jahren eine Formel gefunden, die den Verlauf der Ölförderung in den USA richtig vorhergesagt hat. Seine Schüler rechnen nun detailliert vor, dass dieses Modell auch im globalen Maßstab funktioniert. „Peak Oil“, die maximal mögliche Produktion an Erdöl, stehe unmittelbar bevor, glauben sie; von diesem Punkt an könne es mit den Fördermengen nur noch abwärts gehen – und mit den Preisen in schwindelerregende Höhen aufwärts, wenn die Nachfrage dauerhaft das Angebot übersteigt. Endzeitstimmung: Das weltweite Transportsystem bricht zusammen, Wirtschaftskrise, Hungersnöte, Kriege um die letzten Ölreserven sind die Folge.

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Der Blick in die Zeitungen scheint diese Szenarien zu bestätigen: Die USA leisten sich eine ebenso teure wie gefährliche Besatzung des Irak, der Ölpreis erreichte in diesem Sommer historische Höchstmarken, und der Energiehunger von aufstrebenden Staaten wie China und Indien scheint kaum zu stillen. Doch die Experten sind sich längst nicht einig. Ökonomen wenden ein, dass ein dauerhaft hoher Preis über Einsparungen und Ersatz-Energieträger die Nachfrage dämpfen wird. Dazu rechnen manche Geologen mit riesigen, noch nicht entdeckten Vorräten, die jeden Peak beruhigend weit in der Zukunft liegend erscheinen lassen. Sicher allerdings ist: Es muss immer mehr Aufwand getrieben werden, um Ölquellen zu entdecken, zu erschließen und auszubeuten.