Blick unter die Hüllen der Venus

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UNTERSCHIEDE ZWISCHEN DEN NACHBARN

Dieses Modell einer Rückkopplung atmosphärischer Prozesse auf die Oberfläche erscheint grundsätzlich plausibel. Im Detail hängt es allerdings von Annahmen etwa über die Menge an freigesetzten Treibhausgasen ab. Dafür gibt es bisher nur ungenaue Messdaten. Ein Mangel, dem Venus Express abhelfen soll. Die Sonde wird die Zusammensetzung und Dynamik der Atmosphäre in verschiedenen Höhen global erfassen.

Hidenori Genda und Yutaka Abe von der University of Tokyo dürften sich besonders für die Daten von "ASPERA" interessieren. Das Messgerät soll die Wechselwirkungen zwischen den oberen Atmosphärenschichten und den Teilchen des Sonnenwinds beobachten und messen, welche Gase dadurch entweichen. Genda und Abe haben Anfang dieses Jahres ein Modell vorgestellt, um die unterschiedlichen Konzentrationen des Edelgases Argon-36 in den Atmosphären von Erde und Venus zu erklären. Auf der Venus findet sich die 50fache Menge dieses besonderen, aus der Zeit der Entstehung unseres Sonnensystems stammenden Gases. Der Grund dafür, so vermuten die Forscher, liegt in der Präsenz von Ozeanen auf den Protoplaneten, jenen Planetenvorläufern, aus denen sich vor etwa 4,6 Milliarden Jahren während der Phase der großen Kollisionen die Erde formte.

In ihrer Modellrechnung zeigen sie, dass das Aufwirbeln und Verdampfen des Wassers beim Zusammenstoß zweier Protoplaneten große Teile der Atmosphäre mit sich reißen kann. Da die dichter bei der Sonne kreisenden Bausteine der Venus nicht über flüssiges Wasser verfügten, sei dort mehr von der Uratmosphäre erhalten geblieben. Die Verteilung eines anderen Edelgases, Neon, lässt sich damit allerdings nicht gut erklären. Hier könnte Venus Express neue Erkenntnisse liefern. Ganz allgemein erhofft man sich von der Mission genauere Antworten auf die Frage, weshalb sich unser Nachbar so anders entwickelt hat als die Erde, obwohl sich beide Himmelskörper in Größe und Masse stark ähneln. Dass die Venus wie die Erde von Lebewesen bevölkert sein könnte, gilt als unwahrscheinlich.

Die beiden Standardantworten auf die Frage nach Leben auf unserem Schwesterplaneten lauten "Nein" und "NEIN!!", so der Venus-Experte David Grinspoon. Doch diese Einschätzung sei vielleicht zu stark durch unsere erdgebundene Sicht geprägt. "Eine der Lektionen, die wir aus den jüngsten Venus-Erkundungen gelernt haben, ist, dass die Natur bei der Evolution komplexer Planeten selten zweimal den gleichen Weg einschlägt. Dasselbe könnte für die Evolution komplexen Lebens gelten", sagt Grinspoon. Und der Plantenkundler steht mit dieser Haltung nicht allein. So vermuten die Astrobiologen Dirk Schulze-Makuch und Louis Irwin von der University of Texas in El Paso, dass in der Venus-Atmosphäre in einer Höhe von ungefähr 50 Kilometern Mikroben existieren könnten. Dort entspricht der atmosphärische Druck dem an der Erdoberfläche, und die Temperatur liegt bei 70 Grad Celsius. Mit mikroskopischen Lebensformen ließen sich verschiedene Merkwürdigkeiten in der chemischen Zusammensetzung der Venus-Atmosphäre erklären. Den beiden Forschern zufolge sorgen Mikroorganismen möglicherweise dafür, dass Kohlenmonoxid, Schwefeldioxid und Wasserstoff in Schwefelwasserstoff oder Carbonylsulfid umgewandelt werden, und nutzen dabei ultraviolette Strahlung von der Sonne als Energiequelle. Das würde die bislang rätselhaften dunklen Flecken auf Ultraviolettaufnahmen des Planeten erklären.

Und falls sich keine derartigen Lebensformen identifizieren lassen, wäre es dann möglich, dass sich irgendwann in der Zukunft Leben dort ansiedelt - in Gestalt menschlicher Astronauten? Völlig undenkbar ist das nicht. Zumindest in der Atmosphäre schwebende Raumstationen - dort, wo komfortablere klimatische Verhältnisse herrschen als direkt auf der Venus - wären vielleicht realisierbar. Über ein vergleichbares Konzept für unbemannte Missionen denken Wissenschaftler am Glenn Research Center der Nasa in Ohio bereits nach. Ein solargetriebenes Flugzeug könnte demnach nicht nur Messungen in der Atmosphäre vornehmen, sondern auch Roboterfahrzeuge auf der Oberfläche steuern. Denn Roboter mit ähnlichen Fähigkeiten wie denen von "Spirit" und "Opportunity", die gegenwärtig den Mars erkunden, lassen sich für den Einsatz auf der Venus bislang nicht konstruieren. "Die elektrischen Komponenten wie Motoren und Transistoren könnten wir bei den Temperaturen wohl zum Laufen kriegen", sagt Teamleiter Geoffrey Landis. "Aber nicht die Mikroelektronik für Computer."

Landis schlägt daher vor, Rover auf der Oberfläche abzusetzen, die gegen Hitze, Säure und Druck geschützt sind, aber keinen Rechner mitführen. Ihre Aktionen würden stattdessen vom 50 Kilometer darüber kreisenden Solarflugzeug gesteuert. Die Nasa-Zentrale lässt noch wenig Begeisterung für diese Idee erkennen. Doch das könnte sich ändern, sobald die ersten Messdaten von Venus Express aufbereitet sind. Vielleicht verdichten sich die Hinweise auf Theorien, die bisher noch als abenteuerlich gelten. Vielleicht gelingen Venus Express auch Entdeckungen, die niemand erwartet hat. Es wäre ja nicht das erste Mal in der Erforschungsgeschichte dieses Planeten.

Hans-Arthur Marsiske schreibt gern und oft über das Weltall. Eine Reise zur Venus reizt ihn allerdings wenig; die Dauerbewölkung dort würde ihn trübsinnig stimmen, fürchtet er.

(Text entnommen aus Technology Review Nr. 10/2005; das Heft können Sie hier bestellen.) (wst)