Bloß nicht bewegen – die RZ-Branche vorm Karren der Energielobby

Seite 2: Viel zu wenige, die was ändern

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Dennoch ist es bisher nur eine kleine Minderheit, die mit Flüssigkeiten kühlt, entweder, weil es technisch alternativlos ist, wie beim HPC, oder weil bei den Verantwortlichen der Wille zur Veränderung, Engagement und die Fähigkeit zum kaufmännischen Rechnen zusammen kamen. Denn Hand aufs Herz: Geld in die Hand zu nehmen, um die Energie- und damit die Betriebskosten zu senken, erscheint in diesem Zusammenhang fast wie ein Konzept von einem anderen Stern, zumindest der Empörung nach zu urteilen, die solch verwegene Vorschläge auslösen.

Stattdessen finden veränderungs- und investitionsunwillige RZ-Betreiber großzügige und lautstarke Unterstützung durch die Energiedienstleister, die selbstredend weiter eigene Fernwärme, Gas, Öl, Strom für Wärmepumpen und andere hochrentable Dinge verkaufen möchten, statt dabei zuzusehen, wie Kunden selbstproduzierte Wärme nutzen oder gar verkaufen. Dass die Branche insgesamt wenig Interesse am Energiesparen zeigt, liegt vor allem an den Mietverhältnissen. Längst haben Colocation-RZ eine enorme Marktmacht entwickelt und verweisen gern darauf, dass sie schließlich nur die Wünsche der Kunden erfüllten. Die bezahlen dann auch die Energieverschwendung.

Beim Thema Rechnen und Sparen hat die Lobby auch kräftig am EnEfG nacharbeiten lassen. RefE1 verlangte von RZ, die ab 2025 den Betrieb aufnehmen, in den ersten zwei Jahren eine geplante PUE (Power Usage Effectiveness) von ≤ 1,3. Die PUE teilt die gesamte RZ-Leistungsaufnahme inklusive Kühlung und Stromversorgung durch die Leistungsaufnahme der IT-Systeme. Damit ist der IT-Anteil immer 1 und alles dadrüber fällt auf die RZ-Infrastruktur. Eine PUE von 1,3 heißt also, dass der Energiebedarf von Kühlung und Co. 30 Prozent dessen beträgt, was das IT-Equipment verlangt.

RefE2 des EnEfG bietet der Branche nun eine Softvariante an: Rechenzentren, die vor dem 1. Juli 2026 den Betrieb aufnehmen, sind so zu errichten und zu betreiben, dass sie erstens ab dem 1. Juli 2027 eine PUE von ≤ 1,5 und zweitens ab dem 1. Juli 2030 eine PUE von ≤ 1,3 erreichen. Rechenzentren, die ab dem 1. Juli 2026 den Betrieb aufnehmen, müssen sofort eine PUE von ≤ 1,3 aufweisen. Zwar wettert die Branche dagegen, verschweigt aber dabei, dass eine PUE von 1,3 weit über dem heutigen Stand der Technik ist und für die Jahre 2026 und 2030 anvisiert ein Witz.

Nun wenden Interessenvertreter ein, wer seine IT energieeffizienter gestalte, also dort spare, würde seine PUE wieder erhöhen, weshalb man eben die PUE nicht gesetzlich vorgeben dürfe. Sie verschweigen dabei, dass die Reduktion der Wärmeproduktion auch den Kühlaufwand senkt, insbesondere bei modularen und bei Flüssigkeitskühlungen. Überdimensionierte und nichtsegmentierbare, nichtskalierbare Anlagen gehören hingegen in die Altmetallverwertung – und ihre Kältemittel in die Sondermülleinlagerung.

Leider befinden sich die Effizienzbemühungen beim IT-Equipment im selben Dornröschenschlaf wie die bei der RZ-Infrastruktur. Noch immer beherbergen RZ überdimensionierte Server, Server mit ungenutzten Komponenten, mit überdimensionierten und falsch konfigurierten Netzteilen, Racks vollgepackt mit Pizzaschachteln und hunderten schnelldrehenden 4-cm-Lüftern – und vor allem: Zombies. Zombies in Rechenzentren heißen physische und virtuelle Server, die längere Zeit keinerlei Aktivität gezeigt haben, messbar auf dem Netz, auf den Platten oder der CPU.

Erschreckende Zahlen lieferte dazu die Studie „Zombie/Comatose Servers Redux“ von Jon Taylor und Jonathan Koomey. Je nach Rechenzentrum zeigten 23 bis 30 Prozent der Maschinen über sechs Monate keinerlei Aktivität, wobei sich die Zahlen bei den VMs nicht signifikant von denen physischer Maschinen unterschieden. Daraus folgt, dass der Beitrag der Virtualisierung zu einer besseren Hardwareauslastung nur eine Seite der Medaille ist. Die andere: Zu einfach lassen sich VMs auch von Anwendern starten. Wenn sie dann das Projekt verlassen oder das Interesse an der VM verloren haben – man denke an Praktikanten, Werkstudenten und Entwickler – ist niemand mehr zuständig. Noch höher war in den meisten Fällen die Zahl der Idle-Maschinen, die bei weniger als 5 Prozent der Messungen überhaupt Aktivität zeigten.

Keine inhaltlichen Änderungen am EnEfG konnten die Lobbyisten bei den Mindesttemperaturen erreichen. In Rechenzentren, die vor dem 1. Januar 2024 in Betrieb gehen, muss die Luftkühlung des IT-Equipments die minimale Eintrittstemperatur von 24 °C und ab dem 1. Januar 2028 von 27 °C einhalten, es sei denn, niedrigere Temperaturen sind ohne den Einsatz einer Kälteanlage zu erreichen. Der Grenzwert von 27 °C gilt auch für RZ, die ab 2024 in Betrieb gehen.

Entgegengehalten werden dem vermeintlich technische und vertragliche Einwände. Das Argument, das Gesetz verstoße gegen Verträge mit Bestandskunden, wie es der Bitkom vorbringt, stellt die Rechtsfolge komplett auf den Kopf, denn die stellt ein Gesetz über eine vertragliche Vereinbarung. Immerhin ist nach § 134 BGB ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig. Tatsächlich bestimmt in Colocations der Kunde mit der strengsten Temperaturvorgabe das Geschehen, da RZ in der Regel raumweise gekühlt werden – einer der Nachteile einer nichtmodularen Bauweise.

Dass die Temperaturvorgaben „technisch nicht umsetzbar“ seien, gilt höchstens für Museums-Hardware. Laut Bitkom gäbe es aber noch „Geräte am Markt, deren technische Spezifikationen eine Zulufttemperatur von über 24 °C ausschließen bzw. zu einem Wegfall von Gewährleistungsansprüchen führen“. Interessant ist die Argumentation insofern, als die Gesetzgebung Rücksicht darauf nehmen soll, dass Hersteller schließlich noch ihren alten Schrott verkaufen wollen. Und dass sich der Gesetzgeber vor deren Gewährleistungsbedingungen zu beugen habe: na ja, kein Kommentar.

Auch der Einwand, es gäbe Systeme, die bei über 24 °C deutlich weniger effizient arbeiten, kann nicht wirklich ernst gemeint sein: Da soll doch bitte ein riesiger Raum weiter auf Kühlschranktemperatur gehalten werden, damit – vielleicht, wenn vorhanden – einige Lüfter etwas weniger arbeiten müssen. Ein Anpassen der BIOS-Einstellungen wäre da vielleicht angebrachter. Sollte die Hardware das nicht hergeben, ist sie wohl doch besser im Museum oder im Altmetall aufgehoben.

Ins Visier genommen hat die Bundesregierung auch die Stromquelle: Ursprünglich sollten Betreiber den Strombedarf des Rechenzentrums bilanziell ab 2024 zu 50 Prozent und ab 2025 zu 100 Prozent durch ungeförderten Strom aus erneuerbaren Energien decken. Dass die Lobby die 100 Prozent ins Jahr 2027 vertagen konnte, ist anscheinend kein Grund für sie, nicht dagegen anzuwettern – schließlich ist das Ergebnis weit weg vom ersatzlosen Streichen des Paragraphen. Wer wie Staffan Reveman behauptet, RZ könnten ja wohl schlecht den Ökostrom aus dem öffentlichen Stromnetz herausfiltern, sie bekämen halt den deutschen Strommix, überliest vermutlich absichtlich das Wort „bilanziell“.

Völlig überzogen hält der Bitkom auch die Berichtsanforderungen. Denn RZ-Betreiber haben laut RefE2 bis zum 1. Juli 2025 ein Energie- oder Umweltmanagementsystem einzurichten. Für alle 1-MW-RZ und für 200-kW-RZ in öffentlicher Hand besteht ab dem 1. Januar 2025 die Pflicht zur Validierung oder Zertifizierung des Energie- oder Umweltmanagementsystems. Im Vergleich zum RefE1 haben die Interessenvertreter hier nur ein halbes Jahr bis Juli 2025 herausschinden können. An 100-bis-200-kW-RZ in öffentlicher Hand geht der Krug der Validierung oder Zertifizierung vorbei. Damit erreiche die Auflage „gerade 5 Prozent der Zentren aufgrund ihrer Größe“, die aber rund 50 Prozent zum Stromverbrauch der Branche beitrügen, so Marina Köhn vom Umweltbundesamt.

Argumente, dass die Abgeordneten das Gesetz nicht nach dem Motto „Augen zu und durch“ in zwei Wochen vor der Sommerpause durchwinken dürften, versucht auch der BDI (Bundesverband der deutschen Industrie) zu finden. Ihn stören vor allem die im Raum stehenden detaillierten Vorschriften für Messungen, Berichte und Bußgeldandrohungen. Sein Vorschlag zur Güte: Selbstverpflichtungen, damit auch ja alles beim Alten bleibt.

(sun)