Börse auf Speed

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Selbst einige Flash-Trader sind besorgt über das, was Donefer "Algorithmen außer Rand und Band" nennt. John Jacobs, Geschäftsführer der New Yorker Maklerfirma Lime Brokerage, äußerte 2009 gegenüber der US-Börsenaufsicht seine Bedenken über die zunehmende Praxis bei Börsenhändlern, für ihre Großkunden High-Frequency-Handel auszuführen, ohne deren Gewinnmargen zu validieren – sprich, ohne sich zu vergewissern, dass diese auch ausreichend Geld hätten, um das Geschäft zu decken.

Lime Brokerage bietet Hochgeschwindigkeits-Marktzugang und -Auftragsvergabe für Hedgefonds und andere Händler, die keine eigenen Server auf dem Börsenparkett platzieren wollen oder dürfen. Von seinem Arbeitsplatz aus sieht Jacobs regelmäßig, wie Algorithmen mehr als 1000 Order pro Sekunde abwickeln. Bei einem solchen Durchsatz würde ein Algorithmus, der in die falsche Richtung handelt, in zwei Minuten 120.000 Aufträge ausführen. Bei 1000 Aktien pro Order und einem durchschnittlichen Preis von 20 Dollar pro Aktie würde sich der unbeabsichtigte Handel in diesem Zeitraum bereits auf 2,4 Milliarden Dollar belaufen. In seinem Brief an die Securities and Exchange Commission benannte Jacobs ausdrücklich die "Möglichkeit handelsinduzierter, multipler Domino-Konkurse" und warnte, dass "ungehemmter computergenerierter Wertpapierhandel" das Potenzial habe, katastrophale wirtschaftliche Schäden im US-Markt anzurichten.

Trotz solcher Warnungen sind viele Praktiken, die mit automatisiertem Handel verbunden werden, schon längst Routine. Aufträge, die über Kundenkonten des US-Finanzmaklers Charles Schwab abgewickelt werden, bearbeitet mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Hochgeschwindigkeits-Algorithmus. Händler wie Fidelity, die große Aktienpakete für ihre Investmentfonds kaufen, nutzen Algorithmen, um ihre riesigen Bestellungen in Blocks von 100 bis 300 Aktien aufzuspalten, damit nicht andere Händler den gesamten Bedarf erkennen und dieses Wissen zu ihrem Vorteil ausnutzen können. High-Frequency-Hedgefonds wie Tradeworx arbeiten zwischen und um die institutionellen Anleger und Marktmacher herum – und in ihren Bemühungen, vom Vorhersagen der Manöver anderer zu profitieren, auch gegeneinander.

Manoj Narang von Tradeworx ist überzeugt, dass sein Geschäft zu Unrecht in einen so schlechten Ruf geraten ist. "Auf jeden Fall gibt es ein Risiko", räumt er ein. "Aber Fonds wie wir nehmen das alles auf uns. Kommt es zur Kernschmelze, wird das den Privatanleger nicht beeinträchtigen." Er wendet sich seinem Computer zu, ruft zwei Grafiken auf und legt beide übereinander. Die erste zeigt das launische Auf und Ab des S&P 500, des Kursindex der 500 größten US-Unternehmen, in den vergangenen sechs Jahren. Der zweite zeigt die Gewinne und Verluste von Tradeworx im selben Zeitraum – ein stetiger Marsch nach oben. Im schlechtesten Geschäftsjahr von Tradeworx gab es ein Plus von 15 Prozent. "So eine Profitkurve haben alle Hochgeschwindigkeitsfonds", sagt Narang. Dann vergrößert er den Ausschnitt, um einige Wochen im August 2007 darzustellen, als sich viele Quant-Fonds selbst zerstört und ganze Portfolios abgestoßen haben, um finanziellen Forderungen gerecht zu werden. In dieser Zeit sackte seine Gewinn-und-Verlust-Rechnung um sieben Prozent ab, und viele andere Fonds sahen sich ähnlichen Verlusten gegenüber. Der S&P 500 hingegen war, insgesamt betrachtet, davon kaum berührt.

"Und hier die zweite Quant-Schmelze, im Januar 2008", sagt Narang und zoomt auf einen weiteren Ausreißer in der Kurve. Die Wertveränderungen im S&P 500 seien dagegen "winzig gewesen, kaum zu erkennen". Das läge daran, dass Fonds mit quantitativen Strategien meist marktneutral seien. "Wir nehmen dem Privatanleger nichts weg", sagt Narang. "Wir machen den Markt effizienter. High Frequency Trading macht die Sache für den kleinen Investor sogar besser."

Narang, aber auch Forscher wie Donefer sagen, dass der automatisierte Handel sein Geld durch das Bereitstellen einer Dienstleistung verdient: Liquidität. Im heutigen stark dezentralisierten Markt sei ihr System schlicht der beste Weg, Käufer und Verkäufer aufeinander abzustimmen, sagen die Befürworter. Weil sie aus den kleinen Differenzen zwischen den Preisen, zu denen ein Verkäufer bereit ist zu verkaufen und ein Käufer bereit zu kaufen, Kapital schlagen, bleiben die Unterschiede auch klein. Das bedeutet, dass die kleinen Käufer etwas weniger für Anteilskäufe zahlen und sie für etwas mehr verkaufen können.