CO₂-Fußabdruck von Kunststoffen ist etwa doppelt so hoch wie bisher angenommen

Ein Forscherteam hat in einer umfassenden Studie die Treibhausgas-Emissionen bei der Produktion und der Verbrennung von Kunststoffen berechnet.

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Plastik ist nicht nur nach der Verwendung ein Problem für die Umwelt.

(Bild: Shutterstock)

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Von
  • Hanns-J. Neubert
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Es ist eine Krux mit dem Plastik: Nicht nur, dass wir von dem Problemstoff nicht mehr loszukommen scheinen, auch die Klimafolgen und die sozioökonomischen Schäden der Herstellung und Verbrennung sind eine Umweltgefahr. Wie genau sich diese Folgen konkret beziffern lassen, das hat eine Schweizer Arbeitsgruppe aus Umwelt- und sozialwissenschaftlichen Forscherinnen und Forschern der Eidgenössischen Hochschule ETH in Zürich berechnet.

"Im Jahr 2015 verursachten Kunststoffe 4,5 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen", schreiben die Autorinnen und Autoren um Livia Cabernard von der ETH Zürich. Das sind ein gutes Prozent mehr als der gesamte globale Flugverkehr zur Emissionsbilanz beiträgt. "Außerdem werden sechs Prozent des weltweiten Kohlestroms für die Kunststoffproduktion verwendet."

Dieser fossile Stromanteil hat sich im Untersuchungszeitraum von 1995 bis 2015 verdoppelt – vor allem in den Hauptherstellungsländern von Kunststoffgrundprodukten, wie China, Indonesien, Indien oder Südafrika.

"Neu an der Studie ist, dass der CO₂-Fußabdruck von Kunststoffen auf Basis einer makro-ökonomischen Analyse berechnet wurde", lobt Andreas Köhler die Untersuchung. Er ist Leiter der Gruppe für Nachhaltige Chemie, Werkstoffe und Technologie am Öko-Institut in Freiburg und hat sich die Arbeit angesehen. Denn dadurch konnten die Studienautorinnen und -autoren auch auf andere Schäden durch die Kunststoffproduktion eingehen, wie Gesundheitsprobleme durch Feinstaub in den Fabriken und durch Kohlekraftwerke.

Auch die Unausgewogenheit zwischen Arbeitskräfteverteilung und Wertschöpfung analysierten sie und kamen zu dem Ergebnis, dass zwar 85 Prozent aller Beschäftigten der Plastikindustrie in ärmeren Ländern leben, aber Europa und Nordamerika 80 Prozent der Wertschöpfung einheimsen.

Die Studie mache aber vor allem klar, "dass der CO₂-Fußabdruck von Kunststoffen etwa doppelt so hoch ist, wie in Ökobilanzen bisher angenommen", erläutert Köhler. "Der CO₂-Fußabdruck gängiger Kunststoffe wie Polyethylen, Polypropylen oder PET liegt nach bisherigem Kenntnisstand bei etwa zwei Kilogramm CO₂-Äquivalenten pro Kilogramm Polymer. Diese Studie zeigt jedoch, dass importierte Kunststoffe […] im globalen Durchschnitt einen CO₂-Fußabdruck von etwa vier bis fünf Kilogramm CO₂-Äquivalenten pro Kilogramm [haben]".

Allein China emittiert 41 Prozent aller Treibhausgase aus der Plastikproduktion – will aber trotzdem bis 2060 klimaneutral werden. Indonesien und das übrige Asien tragen zusammen 20 Prozent der Emissionen bei, die Länder des Mittleren Ostens 11 Prozent.

Gewiss, China ist mit 20 Prozent auch der größte Nutzer und Verbraucher des weltweit erzeugten Plastiks. Aber hier leben immerhin auch rund 19 Prozent der Weltbevölkerung und der Bedarf an Kunststoffen, beispielsweise für den Ausbau von Infrastrukturen, ist riesig. Die Bewohner der Europäischen Union dagegen kommen gerade einmal auf einen Weltbevölkerungsanteil von sechs Prozent, verbrauchen aber 15 Prozent aller produzierten Kunststoffe. Die knapp 330 Millionen US-Amerikaner, gut vier Prozent der Weltbevölkerung, konsumieren 13 Prozent der Weltplastikproduktion.

Auf den Klimaaspekt bei der Plastikherstellung wies auch die Europäische Umweltagentur EUA in ihrem Bericht "Kunststoffe, die Kreislaufwirtschaft und die Umwelt in Europa" von Anfang 2021 hin. "Plastik muss viel sinnvoller genutzt, besser wiederverwendet und wirksamer recycelt werden", sagte Hans Bruyninckx, Exekutivdirektor der EUA, bei der Vorstellung des Berichts. "Ausgangspunkt sollte die Herstellung von Kunststoffen aus nachwachsenden Rohstoffen sein."

Die Schweizer Forschenden lieferten jetzt mit ihrer Untersuchung die harten Zahlen und Argumente dafür, dass dringend umgesteuert werden muss.

Vor allem räumten sie mit dem Irrglauben auf, dass bei der Plastikverbrennung nur so viel CO₂ entstehen würde, wie in dem Material gebunden ist. Ihre Berechnungen ergaben nämlich, dass Plastik als Ersatzbrennstoff also doppelt ungünstig ist, weil nicht nur das CO₂ aus der Verbrennung einberechnet werden muss, sondern dazu auch die Emissionen aus der Herstellung.

Um die Klimabilanz der Kunststoffe gerade zu rücken, empfehlen sie, in den Exportländern vor allem die erneuerbaren Energien stark auszubauen. Vor allem aber könne eine konsequente CO₂-Bepreisung helfen, wenn sie sowohl Produzenten als auch Konsumenten einbeziehe. Dadurch würden CO₂-intensive Plastikimporte teurer. Ein solcher Schritt erscheint den Forschern umso dringlicher, als die globale Plastikproduktion bis 2030 gegenüber 2015 wohl um 40 Prozent ansteigt. Deshalb sei es wichtig, schreiben die Forscher, "dass Regionen mit hohem Einkommen über die ganze Lieferkette hinweg in saubere Energieproduktion investieren".

Das hält auch Sangwon Suh für folgerichtig. Er ist Professor für Industrielle Ökologie, Klimaschutz und Ökobilanzierung an der University of California und hat die Studie der Schweizer ebenfalls gelesen. Seiner Meinung nach verwendet die Studie "den neuesten Stand unseres methodischen Verständnisses".

Er selbst hatte zusammen mit anderen Autoren in einer kürzlich in "Science" veröffentlichten Arbeit die Wirkungen von Lösungen untersucht, die dem stetigen Anstieg von Klimagasen aus der Kunststoffproduktion gegensteuern könnten. Dazu gehörten Recycling, die Verwendung von Rohstoffen aus Biomasse, die Nutzung erneuerbarer Energien, die Verringerung der Wachstumsrate der Kunststoffnachfrage und auch die Verwendung von Kohlenstoff-Abscheidung und -nutzung.

Seiner Meinung nach hat eine Kombination dieser Strategien durchaus das Potenzial, die Treibhausgas-Emissionen von Kunststoffen auf nahezu Null zu reduzieren. "Die Frage ist, wie die Rahmenbedingungen für einen solchen Wandel geschaffen werden können", schrieb Suh in einer Stellungnahme für das Science Media Center Germany. "Hier stimme ich zu, dass die CO₂-Bepreisung eine mögliche Strategie sein kann."

(jle)