COVID-19: Warum der Winter die Pandemie verschlimmert
Bei niedrigeren Temperaturen und längeren Aufenthalten in geschlossenen Räumen hilft nur noch Lüften – oder bessere Filter.

Das hilft sicher wenig.
(Bild: Photo by cottonbro from Pexels)
- David H. Freedman
Seit dem Herbstbeginn auf der nördlichen Halbkugel wütet das Coronavirus, Deutschland und viele andere Länder befinden sich erneut im (Teil-)Lockdown. Dabei geben zwei Fakten besonders Anlass zur Beunruhigung, wie Forscher warnen.
Zum einen ist die saisonale Grippe – eine Atemwegserkrankung, die COVID-19 durchaus ähnlich ist – weitaus aktiver im Winter. Beispiel USA: Im letzten Jahr gab es dort in Herbst und Winter vierzig Mal so viele Grippe-Fälle wie im vorangegangenen Frühling und Sommer.
Historisch gesehen kommt es in den kühleren Monaten zu zehn Mal so vielen Grippeinfektionen wie in temperaturgemäßigten Regionen. (In tropischen Gebieten kommt die Influenza-Welle meist in der Regenzeit, wenn auch oft weniger heftig.) Zum anderen gab es in den Vereinigten Staaten bei der Spanischen Grippe 1918 fünfmal mehr Tote im Herbst und Winter als im Sommer. Es war eine der tödlichsten Pandemien der Weltgeschichte – die einzige, bei der bislang mehr Amerikaner gestorben sind als bei der aktuellen.
Die Sorge vor dem Winter
Sollte die COVID-19-Pandemie diesem Muster folgen und in den Infektionszahlen Richtung Winter massiv hochgehen, könnte das im Ergebnis allein in den USA 300.000 weitere Todesfälle bedeuten, zusätzlich zu den schon über 200.000 Verstorbenen. Das würde der Spanischen Grippe von 1918 und der vierfachen Todesrate des Sommers sogar nur gemäßigt entsprechen. Wie wahrscheinlich ist das?
"Wir wissen noch nicht genug über das Virus", sagt Michael Osterholm, Direktor beim Center for Infectious Disease Research and Policy an der University of Minnesota. Osterholm merkt an, dass einige der Schlüsselvariablen sich bislang einer wissenschaftlichen Analyse und Prognose entziehen. Denn es ist schwierig zu kalkulieren, wie die von der Politik beschlossenen Maßnahmen sich verändern werden, ob die Öffentlichkeit sich an die Richtlinien halten wird, wann es einen Impfstoff gibt und wie effektiv und akzeptiert dieser wäre.
Trotzdem versuchen Forscher sich ein Bild davon zu machen, wie sich die Pandemie in diesem Winter wahrscheinlich verhalten wird. Dafür ziehen sie Laborstudien zu Rate und bedienen sich einer rasant wachsenden Menge an epidemiologischen Daten. Mittlerweile wird besser verstanden, wie niedrige Temperaturen und Luftfeuchtigkeit das Virus beeinflussen und wie sich unterschiedliche Bedingungen in geschlossenen Räumen auf die Ansteckung auswirken.
Kälte tut dem Virus gut
Die Ergebnisse machen wenig Mut. "All die Faktoren, die wir mit kaltem Wetter assoziieren, scheinen die Virusverbreitung möglicherweise zu beschleunigen", sagt Richard Neher, Bioinformatiker an der Universität Basel, der derzeit an Simulationen arbeitet, die zeigen, wie das Coronavirus sich in einem Raum verteilt. Die gute Nachricht ist, dass diese Forschung auch verdeutlicht, welche Schritte jeder Einzelne und jede Organisation einleiten könnte, um die Ansteckung unter diesen Witterungsbedingungen zu verlangsamen. Doch ob genug Menschen diesen Maßgaben folgen werden und ob das ausreicht, eine riesige zweite Welle zu verhindern, ist alles andere als sicher.
Eigentlich ist es untypisch fĂĽr eine neuartige, virale Atemwegserkrankung, dass sie in Form als zweite Welle im Winter weitergeht. Bei allen zehn respiratorischen Pandemien der letzten 250 Jahre lagen sechs Monate zwischen der ersten und zweiten Welle, aber nur drei davon erfolgten im Winter. Die Spanische Grippe im Jahr 1918 war eine dieser Ausnahmen. Wird COVID-19 nun eine weitere?
Das bleibt schwer zu sagen. Forscher hatten gehofft, dass sich im Laufe der Monate wetterbedingte Ausbreitungsmuster zeigen würden. Es war ja früher Winter, als die Krankheit Ende 2019 zum ersten Mal in China ausbrach. Daher gibt es mittlerweile detaillierte Daten dazu, wie sich das Virus in drei Jahreszeiten sowohl in gemäßigten als auch in tropischen Klimazonen verhält. Man weiß, wie der Corona-Sommer auf der Nordhalbkugel ablief und der Winter in der südlichen Hemisphäre.
Hat das Virus eine Hauptsaison?
Doch ein Muster ließ sich bislang nicht erkennen. Im Gegenteil: Im März haben die Infektionen sich im nördlichen Italien weit verbreitet, als die Temperaturen bereits über 20 Grad hatten. In einigen US-Städten, wie zum Beispiel Boston, kam es zu Höchstwerten, als die Temperaturen unter 10 Grad fielen und in wiederum anderen, etwa Houston, passierte das gleiche bei über 32 Grad. Südafrika und Australien gehören zu Nationen der südlichen Hemisphäre, wo es zu hohen Zahlen während des Winters kam, während die USA zu den nördlichen Ländern zählt mit Sommerwellen. Und auch wenn die Wissenschaft darin übereinstimmt, dass ein tropisches Klima die Virusausbreitung tendenziell ausbremst, gibt es einige Länder in tropischen Regionen, darunter Indien und Brasilien, die schwere Verläufe feststellen mussten.
Es würde helfen, wenn es in der Wissenschaft ein fundiertes, nachgewiesenes Verständnis davon gäbe, warum die sogenannte saisonale Grippe tatsächlich saisonal ist. Aber dieses Wissen gibt es nicht. Linsey Marr ist Umweltwissenschaftlerin an der Virginia Tech und untersucht Virentransmission. Sie merkt an, dass das Grippevirus immer erst dann am härtesten im Winter zuzuschlagen scheint, wenn es endemisch geworden ist – das bedeutet, dass es Jahr für Jahr weiterhin zirkuliert. Das legt nahe, dass die Saisonalität etwas damit zu tun haben könnte, dass eine temporäre Immunität gegenüber bestimmten Virusstämmen innerhalb der Bevölkerung aufgebaut wird. "Diese Saisonalität erkennt man dann unter neuen Viren einfach nicht", sagt sie.
Selbst wenn COVID-19 im ersten Jahr eine gewisse Saisonalität zeigen sollte, werden andere Faktoren in der Ausbreitung eine viel größere Rolle spielen – es wird viel mehr darum gehen, ob Menschen sich an Kontaktbeschränkungen halten, Masken tragen, und Versammlungen in geschlossenen Räumen meiden. Dass diese Dinge versäumt werden, könnte erklären, weshalb die Infektionsraten in weiten Teilen der USA auch bei warmem Sommerwetter so in die Höhe geschossen sind, obwohl eigentlich erwartet wurde, dass sie heruntergehen. "Das bedeutet nicht, dass das Virus nicht wetterempfindlich ist", erklärt Benjamin Zaitchik, Klimaforscher an der Johns Hopkins University, der die Muster der Corona-Übertragungen studiert. "Es könnte sein, dass dieser Effekt aufgrund der Richtlinien und je nach Verhalten nur nicht erkannt wird."
Die kalte Jahreszeit ist ein Problem
Relative Luftfeuchtigkeit in Innenräumen
Jegliche Saisonalität des Virus würde aber zu einem winterlichen Anstieg beitragen. Und das könnte zu chaotischen Zuständen führen, da dieser ziemlich sicher mit der Grippewelle zusammenfallen würde. Eine Studie der Amerikanischen Medical Association fand heraus, dass ein Fünftel der COVID-19-Patienten eine zweite Atemwegserkrankung hatten. Wenig überraschend verliefen diese Krankheitsfälle in der Regel schwerer. Eine noch größere Gefahr stellt laut Zaitchik die kombinierte Anzahl von COVID-19- und Grippefällen dar. "Es ist ein Problem der Kapazitäten in der Gesundheitsversorgung und des Einzelfall-Managements", sagt er. "Nicht nur wird die schiere Anzahl der Fälle ein Problem für Krankenhäuser darstellen, aber Ärzten wird es schwerer fallen, zu wissen, um welche Infektion es jetzt geht, wenn sie einem Patienten das erste Mal begegnen."
Die gute Nachricht ist, dass die Grippesaison in der südlichen Halbkugel von Mai bis September erstaunlich mild verlief, in vielen Ländern war sie nahezu nicht existent. Vermutlich kann das damit erklärt werden, dass Masken und soziale Abstandnahme nicht nur COVID-19-Ansteckungen verhindert haben, sondern auch die Influenza. Wenn Menschen diese Maßnahmen also weiter einhalten, sieht es besser aus für die nördliche Hemisphäre. Doch auch in einem Jahr mit einer milden Grippeausbreitung würde nur ein kleiner Corona-Winterschub eine große Wirkung haben, warnt Jose-Luis Jimenez, Umweltchemiker an der University of Colorado. Die einzige wichtigste Maßnahme mit der eine Infektionswelle unter Kontrolle gebracht werden kann, ist der Blick auf die sogenannte Reproduktionszahl R, die besagt, wie viele Menschen durchschnittlich von einer infizierten Person angesteckt werden.
Liegt die Zahl R unter 1, verlangsamt die Krankheit sich. Liegt sie darüber, beschleunigt sie sich noch immer. Wenn also die Corona-Reproduktionszahl mit Winterbeginn ungefähr bei 1 liegt oder knapp darunter, dann reicht nur ein kleiner saisonaler Anstieg, um sie über 1 steigen zu lassen. "Nur ein zehnprozentiger Anstieg der Übertragungsrate kann eine eigentlich kontrollierbare Situation eskalieren lassen", sagt Jimenez. Er erklärt weiter, dass der Winter die Übertragungsrate sehr wahrscheinlich um weit mehr als 10 Prozent ankurbeln wird – aufgrund des einen Faktors, bei dem praktisch alle Experten übereinstimmen: Menschen werden mehr Zeit in Innenräumen verbringen, wo das Coronavirus sich sehr viel effektiver übertragen kann. (Nur in wärmeren Gegenden, wie etwa in Florida und Texas, kann damit gerechnet werden, dass viele sich auch bei kühlerem Wetter dafür entscheiden werden, weniger Zeit drinnen zu verbringen).
DrauĂźen weniger Ansteckung
Eine Studie japanischer Forscher fand nach Auswertung von Kontaktverfolgungen heraus, dass für Menschen die Wahrscheinlichkeit, sich in Innenräumen anzustecken, 19 Mal höher ist als an der frischen Luft. Eine Datenbank, die von der London School of Hygiene and Tropical Medicine stammt, enthält etwa 1500 sogenannte Superspreader-Events – also Ereignisse, bei denen eine einzelne infizierte Person mehrere Menschen zur gleichen Zeit und am gleichen Ort ansteckt. Nur drei davon sollen im Freien stattgefunden haben.
Tatsächlich verbreiten die meisten Viren sich vor allem in Innenräumen. Schuld daran ist wahrscheinlich ein starker Rückgang der relativen Luftfeuchtigkeit, wenn bereits trockene kalte Außenluft in ein Haus eindringt und dort erwärmt wird. Die höheren Innentemperaturen erhöhen die potentielle Wassermenge, die die Luft enthalten könnte. Doch das Feuchtigkeitslevel bleibt konstant, sodass die relative Luftfeuchtigkeit sich verringert. Eine epidemiologische Meta-Studie von Forschern an der Yale University und aus der Schweiz lässt zusammen mit Laborversuchen an Mäusen vermuten, dass trockene Innenluft dabei hilft, das Grippevirus zu erhalten.
Gleichzeitig wird die Fähigkeit des Immunsystems, sich gegen das Virus zu wehren, wenn es zum ersten Mal in die Nase oder andere Atemwege gelangt, beeinträchtigt. Epidemiologische Forschung von der MIT, Harvard, Virginia Tech und University of Connecticut legen nahe, dass das Coronavirus ebenso infektiös ist bei geringerer relativer Luftfeuchtigkeit – alles unter 40 Prozent wird dem Virus dabei helfen, sich zu verbreiten. Für Länder wie die USA sind das schlechte Nachrichten, da eine relative Luftfeuchtigkeit von nur 15 Prozent an sehr kalten Tagen dort relativ normal ist – verglichen mit einer typischen Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent bis 70 Prozent, wie sie sonst in Innenräumen vorkommt.
Abstandnahme reicht im Inneren nicht
Eine der größten Veränderungen im Verständnis des Coronavirus betrifft die Übertragungsweise. Anfangs wurde gedacht, dass die Verbreitung über Tröpfchen erfolgt, die von Nase oder Mund aus kommend schnell auf den Boden fallen würden. Es wird nun immer klarer, dass kleine virusbelastete Partikel in der Luft bleiben können, möglicherweise stundenlang. Was bedeutet, dass sie sich so lange in einem Raum ansammeln können, bis jemand sie einatmet. Es reicht demnach nicht, in Räumen einfach nur die Nähe zu einer infizierten Person ohne Maske zu meiden. Menschen können sich bei jemanden anstecken, der 20 Meter und noch weiter entfernt steht — selbst dann, wenn sie eine Maske tragen und sogar, wenn die infizierte Person den Raum bereits verlassen hat.
Das liegt daran, dass sich das Virus ausbreiten und verweilen kann, sich potentiell im gesamten Innenbereich sammelt. Beim Coronavirus ist diese Eigenschaft offenbar stärker ausgeprägt als bei den meisten anderen Atemwegsviren. Nur langsam haben Vertreter des öffentlichen Gesundheitswesens die Übertragung in der Luft als den Hauptinfektionsweg von Corona hervorgehoben. Selbst die WHO spielte dieses Risiko noch im Juli herunter und die US-Seuchenschutzbehörde CDC hat erst im Oktober ihr Statement zur Übertragung mittels Aerosolen veröffentlicht, nachdem eine andere Version im September erst veröffentlicht und dann schnell wieder aus dem Netz genommen wurde.
Eine geringe Luftfeuchtigkeit verschlimmert das Risiko, sagt Neher: "Einer der Hauptgründe, warum ich glaube, dass wir einen saisonalen Anstieg dieses Virus haben werden, ist, dass das Wasser in den Tröpfchen in Innenräumen schnell verdampfen wird, sodass das Virus in einem winzigen Nukleus enthalten bleibt, in dem es länger schweben kann." Trotzdem zweifeln viele Forscher daran, dass simple Luftbefeuchter helfen. "Für einen signifikanten Unterschied müsste man bis zu fünf Kilogramm Wasser pro Stunde einem Raum hinzufügen", sagt Jimenez. "Man bräuchte mehrere Luftbefeuchter und man müsste sie oft nachfüllen."
LĂĽften, Filtern, Ăśberwachen
Experten halten eine erhöhte Luftzirkulation für einen besseren Weg, um das Risiko einer Ansteckung in Innenräumen zu verringern. Dies kann die mit Viren kontaminierten Luftfahnen einer infizierten Person zerstreuen und den Virenverbleib in einem Raum verringern. Aber Luftzirkulation ist nicht gleich Luftzirkulation, warnt Robert Bean, Ingenieur für Heizungs-, Ventilations- und Klimaanlagen. Es gibt einige nachgewiesene Fälle, in denen Ventilatoren oder Klimaanlagen infizierte Luft in Richtung der Menschen bewegt haben, die sich dann infizierten. Darüber hinaus kann das Coronavirus die Reise durch die meisten haushaltsüblichen Lufterwärmungs- und Klimaanlagen leicht überstehen.
Mehr Luftzufuhr von außen kann helfen. Wohnhäuser unterscheiden sich sehr stark in der Menge von Luft, die eindringt, erklärt Bean – ob durch undichte Stellen oder Leitungen, die dazu dienen, Frischluft in ein Klimasystem zu mischen. Obwohl einige moderne Gebäude es ermöglichen, den Außenluftmix auf bis zu 100 Prozent einzustellen, liegt ein gewöhnlicher Maximalwert bei 20 Prozent oder weniger. Der Rest zirkuliert. Osterholm von der University of Minnesota betont, dass dies nicht viel hilft, wenn sich eine infizierte Person in Innenräumen befindet. "Ohne größeren Luftaustausch kann man sehen, wie sich das Level der Viruskonzentration Minute um Minute erhöht", sagt er.
Die einfachste Lösung besteht darin, Fenster zu öffnen, doch bei kaltem Wetter scheint das nicht praktikabel zu sein und in vielen Büros und Schulgebäuden ist es einfach nicht machbar. Darüber hinaus muss die Luft nicht nur zirkuliert, sondern auch angemessen gefiltert werden. Die meisten Klima- und Heizanlagenfilter blockieren Viren in der Luft nicht wirksam: Es braucht Filter mit einer HEPA- oder MERV-Bewertung von mindestens 11 oder bestenfalls 13 oder höher, sagt Marr, der Virginia-Tech-Forscher.
Tröpfchenproblem bleibt
Für Gebäude ohne ein zentrales Klima- Wärmesystem mit guten Filtern – und einem starken Luftstrom für den gesamten Raum – kann ein mobiler HEPA-Luftreiniger verwendet werden, der die gesamte Luft in einem durchschnittlich großen Raum mindestens zweimal die Stunde umwälzen kann und nur einige hundert Dollar kostet, so Jimenez. Das Gerät könne sehr viel gegen die Viruskonzentration in der Luft ausrichten.
Doch Filter jeglicher Sorte werden nur sehr unwahrscheinlich viel gegen die Winterwelle tun können, sagt Neher. "Es wird logistisch herausfordernd, jeden Ort, an dem wir uns aufhalten, in diesem Zeitrahmen nachzurüsten", sagt er.
Außerdem bieten Luftzirkulation und Filterung nicht viel Schutz vor "ballistischer" Ansteckung – das ist der Ausstoß von Tröpfchen von jemandem, der hustet, niest oder laut spricht. Diese Tröpfchen können jemanden, der nur wenige Meter entfernt steht, direkt treffen. Deshalb bleiben Masken und Abstandnahme wichtig.
Was zu erwarten ist
Wie schlimm wird es also werden? Wissenschaftlern fehlt ein wesentliches Puzzleteil, um vorherzusagen, wie leicht COVID-19 sich verbreiten wird, wenn der Winter immer mehr Menschen in Innenräume treibt: die Virusmenge, die es braucht, um krank zu werden. Virologen definieren die "infektiöse Dosis" als die Anzahl an Viruspartikeln, die jemand inhalieren muss, um mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent infiziert zu werden. Erkenntnisse über Grippeviren, zusammen mit einer Coronavirus-Studie von japanischen Forschern, die auf Tierversuchen und einer Analyse des Infektionsgeschehen innerhalb eines Gebäudes in China beruht, legen nahe, dass die infektiöse Dosis für den Coronavirus bei etwa 300 inhalierten Partikeln liegen könnte (die Studie bestimmte keinen genauen Zeitrahmen). Dieser Wert ist noch nicht validiert und selbst dann muss man davon ausgehen, dass die Dosis sich je nach Person unterscheidet.
Bis diese Zahlen besser verstanden werden, wird es extrem schwierig, vorherzusagen, wie wahrscheinlich eine Übertragung in verschiedenen Innenraumsituationen ist. Viel wird davon abhängig sein, wo Menschen sich im Verhältnis zum Luftstrom aufhalten. "Der Luftstrom eines Raums ist ein Zauberwürfel", sagt Bean. Er fügt hinzu, dass die einzige Möglichkeit, sich der Luftwege sicher zu sein, darin besteht, einen "Rauchstift" hochzuhalten und die Spur zu beobachten.
Er empfiehlt stark, dies in Klassenzimmern zu tun, aber auch in Büros, Restaurants und anderen Orten, an denen viele Menschen zusammenkommen. Letztlich, meint Bean, wird ein besseres Verständnis des Virus und der infektiösen Dosis dazu führen, dass Klima- und Heizungsexperten und Umweltingenieure Räume umbauen werden. Doch bis dahin sei vieles Rätselraten und das verheiße nichts Gutes für den Winter. "Niemand kann all diese Formeln bislang zusammenbringen", sagt er. Man könne das Risiko reduzieren, indem man Luftfilter nach Verfügbarkeit einbaut und Wege findet, mehr Außenluft nach Drinnen zu bringen – und indem man einfach nicht viel Zeit in geschlossenen Räumen verbringt, in denen Menschen sind, die infiziert sein könnten. Angesichts der Bereitschaft vieler Menschen, gegen die Gesundheitsrichtlinien zu verstoßen, wird eine große Winterwelle vielleicht nicht vermeidbar sein.
(bsc)