COVID-19: Was bedeutet ein milder Verlauf mit einer Omikron-Infektion?

Schon jetzt ist klar, dass sich keine Corona-Variante schneller verbreitet als Omikron. Was das für das Krankheitsbild bedeutet, erläutern Experten.

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(Bild: Insung Yoon / Unsplash)

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Von
  • Rainer Kurlemann

Die Prognosen der Experten zur Corona-Mutation Omikron sind voller Sorge: "Die Omikron-Welle türmt sich weiter auf und das mit einer Dynamik, wie wir sie in der Pandemie noch nicht gesehen haben", sagte Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts am Freitag in einer Pressekonferenz. Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben berechnet, dass sich in zwei Monaten schon über die Hälfte der Menschen in Europa mit Omikron infiziert haben könnten.

Zwar stimmt es, dass Omikron zu milderen Krankheitsverläufen führt als eine Infektion mit der Delta-Variante. Doch trotzdem kann die Zahl der Betroffenen das Gesundheitssystem arg strapazieren. Durch die Masse an Infektionen müsse man sich darauf einstellen, dass die Zahlen der Krankenhauseinweisungen und der Todesfälle wieder stiegen, erläuterte Wieler. Aber die Welle wird diesmal wohl nicht die Intensivstationen blockieren. Stattdessen könnten die Betten auf den normalen Stationen knapp werden.

Dass eine Omikron-Infektion nur milde Symptome auslöst, mag für viele Menschen stimmen. Das Risiko für die Hospitalisierung ist mindestens ein Drittel und höchstens zwei Drittel so groß wie bei Delta – also auf jeden Fall kleiner. Doch ein genauer Blick zeigt: Das Virus bleibt eine ernste Bedrohung, vor allem für den älteren Teil der Bevölkerung, der noch keinen ausreichenden Impfschutz besitzt. Von den 80 Menschen, die in den ersten Januarwochen in Deutschland an der neuen Variante gestorben sind, waren zwei Drittel älter als 80 Jahre.

Hierzulande sind drei Millionen Menschen über 60 Jahren noch nicht geimpft, fast neun Millionen nicht geboostert. Sie alle sind nur unzureichend gegen die sich schnell verbreitende Variante geschützt. Daten aus Dänemark zeigten, dass die Schutzwirkung vor einer Omikron-Infektion nach zwei Impfungen nur zwischen 25 bis 30 Prozent liege, während sie bei geboosterten Menschen auf etwa 80 Prozent steigt, erläutert Andreas Schuppert, Leiter des Instituts für Computational Biomedizin der RWTH Aachen. Die Meldezahlen des Robert-Koch-Instituts weisen noch eine weitere Auffälligkeit auf. In den Krankenhäusern finden sich viele jüngere Menschen mit einer Omikron-Infektion. Die absolute Zahl der Patienten zwischen 15 und 34 Jahren ist größer als die zwischen 60 und 80 Jahren.

Corona-Pandemie: Neue Varianten - Erkrankung - Impfung

Deshalb warnt Clemens Wendtner vor falsch verstandener Sicherheit. "Mild heißt nicht harmlos", erklärt der Leiter der Spezialeinheit für hochansteckende Infektionen der München Klinik Schwabing. Der Arzt berichtet aus seinem Alltag von einem Problem, das vor allem Risikopatienten betrifft. Das bisher erfolgreich eingesetzte Medikament Ronapreve bleibt gegen Omikron wirkungslos, weil die darin enthaltenden Antikörper Casirivimab und Imdevimab die neue Virus-Mutation nicht erkennen. "Hier haben wir keine Chance mehr, bei Patienten mit mildem Verlauf in der Frühphase therapeutisch zu intervenieren", sagt Wendtner.

Eine Infektion mit der Omikron-Variante löst etwas andere Beschwerden aus, als sie bisher von Corona bekannt sind. Besonders häufig treten laut der britischen ZOE-COVID-Statistik eine laufende Nase, Kopf- und Halsschmerzen, Niesen und erhöhte Müdigkeit auf. Bei dieser Studie melden Omikron-Infizierte freiwillig ihre Symptome über eine Handy-App. Demnach scheinen Fieber und der sonst bei Corona-Infektionen häufige Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns seltener aufzutreten als bei den bisherigen Varianten.

Der mildere Verlauf lässt sich am einfachsten mit der Beobachtung erklären, dass die Erkrankung nicht mehr ganz so häufig die tieferen Lungenabschnitte erreicht und dadurch seltener schwere Verläufe auslöst. Denn wenn die Lunge vom Virus befallen ist, sterben durch eine dadurch ausgelöste entzündliche Immunreaktion, viele weitere Zellen ab. Die schlechte Sauerstoffversorgung schwächt den ganzen Körper. Tierversuche mit Hamstern und Mäusen und Experimente an Lungenorganoiden bestätigen, dass die Virenkonzentration in den Lungen der infizierten Tiere bei Omikron mindestens um den Faktor zehn niedriger ausfällt als bei einer Infektion mit den anderen Varianten. Die Wissenschaftler haben bereits eine Theorie, warum sich die Mutationen so unterschiedlich verhalten. Omikron bindet nämlich nicht an ein als TMPRSS2 bezeichnetes Protein und kann damit einen Mechanismus zum Eindringen in die Zellen der Lunge nicht nutzen, der Delta so gefährlich gemacht hat. Bei der Verbreitung im Nasen-Rachenraum spielt dieser Mechanismus eine geringere Rolle, hier hat Omikron in vielen Fällen Vorteile für uns.

Allerdings liefern die Wissenschaftler auch Hinweise, dass auch ein milder Verlauf der Erkrankung zu länger anhaltenden Schäden an mehreren Organen führen kann. Forschende am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf haben im Rahmen der regelmäßig stattfindenden Hamburg City Health Study (HCHS) 443 Personen nach einer SARS-CoV-2 Infektion mit nur leichteren Symptomen umfassend untersucht und die Daten mit nicht an COVID-19 erkrankten Teilnehmenden verglichen. Dabei fanden sie eine durchschnittliche Abnahme der Herzleistung um ein bis zwei Prozent und bei der Blutanalyse deutliche Hinweise auf eine höhere Belastung des Herzens. Auch die Lungen- und Nierenfunktion der Erkrankten lag um zwei bis drei Prozent unter den Werten der Vergleichsgruppe, Thrombosen in den Beinvenen traten häufiger auf. "Die Erkenntnis, dass selbst ein milder Krankheitsverlauf mittelfristig zur Schädigung diverser Organe führen kann, hat höchste Bedeutsamkeit gerade auch im Hinblick auf die Omikron-Variante, die mehrheitlich mit milderen Symptomen einherzugehen scheint", sagt Raphael Twerenbold, Kardiologe und Wissenschaftlicher Studienzentrumsleiter.

Die Hamburger Daten stützen die Erkenntnis, dass eine SARS-Cov-2-Infektion auch chronische Folgen haben kann, die auch drei Monate nach Ansteckung noch fortbestehen und die Lebensqualität der Betroffenen einschränken. Diese Long-Covid-Effekte bleiben die große Ungewissheit der Corona-Pandemie. Wie groß die Long-Covid-Gefahr für Omikron-Infizierte ist, wird sich erst im Frühjahr beantworten lassen, wenn das Virus für einige Monate unterwegs war. Namhafte europäische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben deshalb in einem offenen Brief an die politisch Verantwortlichen appelliert, alle möglichen Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie fortzuführen und nicht auf einen milden Verlauf zu spekulieren.

(jle)