Studie mit absichtlich Infizierten zeigt: COVID-19 frĂĽher ansteckend als gedacht
Die erste "Human-Challenge"-Studie hat neue Erkenntnisse darüber geliefert, wie schnell man infektiös wird und wie lange man es bleibt.​
- Charlotte Jee
Menschen, die sich mit COVID-19 angesteckt haben, werden viel schneller infektiös als bisher angenommen. Das geht aus der weltweit ersten "Human-Challenge"-Studie hervor, bei der gesunde junge Freiwillige absichtlich mit dem Virus infiziert wurden. Es ist die erste Untersuchung, bei der beobachtet wurde, was von dem Moment an passiert, in dem sich jemand mit SARS-CoV-2 infiziert hat.
Bei der Studie unter der Leitung des Imperial College London bekamen 36 Freiwillige (ungeimpft und ohne Anzeichen einer vorherigen Infektion) im Alter von 18 bis 30 Jahren eine geringe Dosis des ursprünglichen SARS-CoV-2-Virus in die Nase verabreicht. Das entspricht der Menge, die in einem einzigen Tropfen Nasenflüssigkeit enthalten ist. Die Hälfte der Teilnehmer entwickelte COVID-Symptome und wurde innerhalb von nur zwei Tagen infektiös, wobei die infektiöse Virusmenge nach fünf Tagen ihren Höhepunkt erreichte. Zuvor wurde geschätzt, dass es von der Exposition bis zum Auftreten der ersten Symptome etwa fünf Tage dauerte. Die Studienteilnehmer blieben im Durchschnitt neun Tage lang infektiös und hatten 12 Tage nach der ersten Exposition noch nachweisbare Virusmengen in der Nase.
Erkenntnisse der COVID-Freiwilligen-Studie
Fast alle Freiwilligen verloren ihren Geruchssinn und litten unter erkältungsähnlichen Symptomen wie einer laufenden Nase und Halsschmerzen. Keiner berichtete über ernsthafte Symptome. Einige der Patienten erhielten auch das antivirale Medikament Remdesivir, bevor sie infiziert wurden. Allerdings konnte die Studie keinen merklichen Unterschied in der Schwere der Symptome zwischen ihnen und Probanden feststellen, die das Mittel nicht erhalten hatten.
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Die Ergebnisse stammen aus einer kleinen Gruppe von Freiwilligen und wurden in einer Vorabveröffentlichung publiziert, die noch nicht von anderen Experten geprüft wurde. Dennoch bieten sie nützliche Einblicke. Die Tatsache, dass Menschen so schnell infektiös werden und so lange infektiös bleiben, deutet darauf hin, dass die empfohlenen Isolationszeiten bei etwa zehn Tagen liegen sollten. Obwohl das Virus zunächst im Rachen nachgewiesen wurde, war es schließlich in viel größerer Menge in der Nase vorhanden, was die Notwendigkeit unterstreicht, Gesichtsmasken so zu tragen, dass sie die Nase abdecken.
Die Forschungsergebnisse sprechen auch für den regelmäßigen und umfassenden Einsatz von Antigen-Schnelltests (Lateral-Flow-Tests). Modellrechnungen auf der Grundlage der Studiendaten ergaben, dass mit regelmäßigen Schnelltests eine Infektion diagnostiziert werden kann, bevor 70 bis 80 Prozent der infektiösen Viren entstanden sind. Das bedeutet, dass die Übertragung in der Gemeinschaft erheblich reduziert werden könnte, wenn die Menschen sich regelmäßig testen ließen und sich bei einem positiven Ergebnis in Quarantäne begeben.
Freiwilligen-Studie nicht unumstritten
Solche Human-Challenge-Studien, auch Provokationsstudien genannt, sind allerdings nicht unumstritten. Die Freiwilligen erhalten in der Regel Geld für ihre Teilnahme, im Fall der COVID-19-Studie waren es 4.565 Britische Pfund (rund 5.300 Euro). Es kann somit auch vorkommen, dass sich Teilnehmer für mehrere Studien gleichzeitig melden und dies bei den Forschenden verschweigen, um die Geldbeträge zu erhalten. Für die Studienergebnisse ist dieser Umstand sicher nicht förderlich. Bei der COVID-19-Studie erkrankte glücklicherweise kein Teilnehmer schwer. Doch gerade dies könnte ein Anzeichen dafür sein, dass solche Studien zum Testen künftiger Varianten oder Medikamente verwendet werden könnten.
Sir Michael Jacobs, Facharzt für Infektionskrankheiten am Royal Free London Hospital, wo die Studie durchgeführt wurde, sagte in einer Erklärung: "Die Studie hat bereits einige faszinierende neue Erkenntnisse über die SARS-CoV2-Infektion geliefert. Aber ihr vielleicht größter Beitrag besteht darin, dass sie einen neuen Weg eröffnet, die Infektion und die Immunreaktionen darauf sehr detailliert zu untersuchen und dabei zu helfen, neue Impfstoffe und Behandlungen zu testen."
(vsz)