Carbon Farming: Wie viel es bringt, CO₂ im Boden zu speichern

Die EU-Kommission will den Aufbau von Humus auf landwirtschaftlichen Flächen finanziell fördern, um langfristig CO₂ im Boden zu binden. Forscher sind skeptisch.

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(Bild: Scharfsinn/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
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Mit mehr Humus auf dem Acker auch mehr Kohlenstoffdioxid (CO2) aus der Luft abscheiden und gleichzeitig den Bauern ein Zusatzeinkommen verschaffen: Das ist die Idee der EU-Kommission, um Klimaschutz und Landwirtschaft miteinander zu versöhnen. "Carbon Farming" nennt sich dieses Prinzip, für das die EU-Kommission bis Ende 2022 eine Regelung auf den Weg bringen will.

So falsch ist die Idee eigentlich nicht. Aber es liegt in der Natur biologischer und ökologischer Systeme, dass sie sich nicht so einfach in die administrativen und juristischen Gedankengebäude von EU-Beamten einsperren lassen.

Böden sind neben den Ozeanen die wichtigsten Kohlenstoffspeicher der Erde. Die nur wenige Zentimeter bis Dezimeter dicke Humusschicht besteht zu 60 Prozent aus Kohlenstoff. Den nehmen Pflanzen als CO2 aus der Luft auf und speichern ihn auch in ihren Wurzeln. Sterben die Pflanzen ab, zersetzen Bodenlebewesen die Reste und lagern sie als Humus ab. Neue Pflanzen ziehen aus diesem Naturdünger dann wieder ihre Nährstoffe. Der Kreislauf ist geschlossen. Bei richtiger Bewirtschaftung kann sich so über die Zeit durchaus eine dicke Humusschicht aufbauen, die Kohlenstoff speichert.

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Doch das ist nicht für die Ewigkeit. Sollte es möglich sein, über mehrere Jahre hinweg den Aufbau von Humus und damit die Speicherung von CO2 politisch und finanziell zu fördern, so reichen wenige Anbaufehler in einem einzelnen Jahr aus, damit der Humus auch wieder abgebaut wird und der so gespeicherte Kohlenstoff wieder ausgast.

In Deutschland speichern die landwirtschaftlich genutzten Flächen mit 2,4 Milliarden Tonnen mehr als doppelt so viel Kohlenstoff, wie der gesamte Baumbestand und dreimal so viel, wie die CO2-Menge enthält, die Deutschland in einem Jahr freisetzt, heißt es bei der Bundesinformationszentrale Landwirtschaft der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE).

Die Kommission erhofft sich durch den Zuwachs der Humusdecken gleichzeitig auch Verbesserungen bei Luft- und Wasserqualität, Bodenfruchtbarkeit und Klimaresilienz, wie es in einer ihrer Mitteilungen heißt. So könnte Carbon Farming zugleich ein Werkzeug im Rahmen der EU-Bodenstrategie sein, um Europas Böden bis 2050 zu regenerieren.

Doch Wissenschaftler sind nicht überzeugt. Sebastian Lakner, Professor für Agrarökonomie an der Universität Rostock äußerte sich sehr klar in einem Statement gegenüber dem Science Media Center (SMC): "Carbon Farming verspricht als Begriff mehr als es hält. Es gibt sehr viele politische Möglichkeiten, die Klimabilanz der Landwirtschaft und des Sektors Landnutzung zu verbessern. Mir leuchtet nicht ein, warum man jetzt ausgerechnet auf diese Lösung zurückgreift, die besonders unsicher, kompliziert und förderpolitisch fragwürdig ist."

Zwar sei die Verringerung der Emissionen aus der Landwirtschaft nötig. Allerdings sei die Frage, ob die Kohlenstoff-Speicherung im Boden hierzu überhaupt einen messbaren und signifikanten Beitrag leisten kann. "Angesichts der sehr unterschiedlichen Bodentypen in Deutschland müsste dies individuell ermittelt werden, was recht aufwendig ist. Variierende Kohlenstoff-Einsparungen je Hektar und komplexe Messmethoden könnten die Glaubwürdigkeit von freiwilligen CO2-Zertifikaten untergraben."

"Die Frage nach dem Kohlenstoffgehalt eines 'gesunden' oder 'intakten' Bodens lässt sich nicht einfach mit einer konkreten Zahl oder einem Grenzwert beantworten, denn dieser ist standortspezifisch", pflichtete ihm Sandra Spielvogel bei, Direktorin des Instituts für Pflanzenernährung und Bodenkunde der Kieler Universität. So sei der Kohlenstoffumsatz beispielsweise in sandigeren Böden an wärmeren Standorten höher als in sehr tonigen, nassen Böden an kälteren Standorten, die mehr Kohlenstoff speichern könnten.

In einer Online-Podiumsdiskussion waren Experten der Meinung, dass sich eher die Wirtschaftsmethoden als solche honorieren ließen, als die Kohlenstoffwerte im Humus. Die Veranstaltung hatte am vergangenen Mittwoch Martin Häusling organisiert, Mitglied des Agrar- und Umweltausschusses im Europäischen Parlament und agrarpolitischer Sprecher der Fraktion Die Grünen/EFA.

So machte Anita Edel, eine der Hauptautorinnen des Weltagrarberichts in ihrem Beitrag deutlich, dass Grasland-Ökosysteme bedeutend mehr Kohlenstoff speichern, als beispielsweise Waldböden, und dass Kühe durchaus keine Klimakiller seien: "Weideland kompensiert die Treibhausgasemissionen von Kühen, weil durch das Abweiden mehr der feinen Wurzeln entstehen, die CO2 speichern."

Hans Joosten, emeritierter Professor für Moorkunde und Paläoökologie an der Universität Greifswald, hob die Bedeutung der Moore als Kohlenstoffspeicher hervor: "Bei den Mooren geht es nicht so sehr darum, Kohlenstoff zu versenken, sondern in erster Linie darum, Kohlenstoff im Boden zu lassen. In Deutschland sind fast alle Moore entwässert. Die sind verantwortlich für 6,7 Prozent aller Treibhausgasemissionen in Deutschland, oder 37 Prozent aller landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen." Um diese CO2-Emissionen zu stoppen, sei die Wiedervernässung von Mooren unabdingbar. Das bedeute entweder, sie aus der Landwirtschaftsproduktion herauszunehmen oder aber Methoden zu entwickeln, sie nass zu nutzen. "Damit könnte man die Emissionen in Deutschland um 20 bis 30 Tonnen pro Hektar reduzieren, viel mehr als man in Deutschland in Böden oder Wäldern speichern könnte", so Joosten.

Zu den landwirtschaftlichen Praktiken, die am ehesten Kohlenstoff im Boden binden, gehören laut Sandra Spielvogel vor allem verbesserte Fruchtfolgen und Dauerkulturen, bei denen der Boden möglichst ganzjährig bedeckt sei. Tiefgreifende Wurzelsysteme, die den Kohlenstoff länger tief im Boden halten, seien ebenfalls sinnvoll. Außerdem würden Ernterückstände, egal ob direkt, als Mist, Kompost oder Gülle, ebenfalls die Speicherfähigkeit des Bodens verbessern. Die vorgesehene EU-Regelung zur Förderung des Carbon Farming steht damit aus wissenschaftlicher Sicht unter einem schlechten Vorzeichen. (jle)