Chatbots: Stets zu Diensten?

Wie fühlt es sich an, den ganzen Tag von intelligenten Assistenten bemuttert zu werden? Unser Autor hat nachgeforscht, was mit der neuen Generation von Chatbots und digitalen Butlern auf uns zukommt.

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Inhaltsverzeichnis

Es ist sechs Uhr früh. Mein Smartphone auf dem Nachttisch weckt mich mit Musik, die von Sekunde zu Sekunde lauter wird. Heute ist ein besonderer Tag: Ich will mich von digitalen Assistenten durch den Alltag leiten lassen. Sie sollen mir Stress ersparen und Zeit schenken, versprechen die Digitalkonzerne, um ihre neuesten Helfer unters Volk zu bringen. Facebook ist ebenso dabei wie Apple und Google. Apps wie Moovit zur Orientierung oder Poncho fürs Wetter drängen auf den Markt. Hinzu kommen Hausgeräte- und Konsumgüterhersteller, die mich an die Hand nehmen wollen, sei es beim Zähneputzen oder beim Filmeschauen.

Mit den Fortschritten bei künstlicher Intelligenz werden die Angebote stetig aufgerüstet. Das Internet, so die Botschaft, werde zum unsichtbaren Geist, der einen durch den Tag leitet. Menschen sollen finden, ohne zu suchen. Wie aber sieht derzeit die Wirklichkeit aus? Das wollte ich ausprobieren.

Google Now etwa bekam Zugriff auf alle meine Smartphone-Daten – E-Mails, Kalender, Internetsuche, Ortungsdienste. Es merkt sich, nach welchen Restaurants ich google und von wem ich Mails erhalte. Eine kluge Zahnbürste überwacht mein Putzverhalten, meine Einkaufs-App soll mich durch den Super-markt lotsen und Apple TV vorausahnen, wann ich welche Filme anschauen möchte. Ganz wohl ist mir allerdings nicht dabei.

Wenn mich die Polizei eines Tages eines Verbrechens bezichtigt, rede ich mir die Situation schön, könnten meine neuen Butler wenigstens ein Alibi liefern. Ob die Selbstentblößung darüber hinaus auch ihren eigentlichen Zweck erfüllt, werde ich am Ende meines Tages wissen. Werde ich tatsächlich entspannt im Bett liegen – oder das Smartphone in die Ecke schmeißen?

Ich stehe auf und nehme Google Now mit in die Küche. Als ich Butter, Käse und Milch aus dem Kühlschrank hole, stelle ich fest, dass die Vorräte zur Neige gehen. Ich rufe "Okay Google" in mein Android-Gerät (was ich nur außer Hörweite anderer Menschen tue) und sage: "Erinnere mich im Supermarkt daran, Butter zu kaufen!" Nach dem Frühstück putze ich mir die Zähne mit einer futuristischen elektrischen Bürste von Oral B.

Sie zeigt mir mithilfe eines Timers und einer Gebissgrafik sogar an, wie lange ich wie die Zähne putzen soll – letzteres allerdings nur in der zugehörigen App. Außerdem soll sie erkennen, ob ich zu fest drücke und mein Zahnfleisch schädige. Damit sie Alarm schlägt, muss ich meine Zähne allerdings schon mit grober Gewalt traktieren. Ansonsten überprüft die Zahnbürste nicht, ob ich mich an die Vorgaben halte. Ich kann sie zwei bis drei Minuten in der Luft vibrieren lassen und bekomme trotzdem noch ein Lob für ausgiebige Zahnpflege.

So einfach lässt sich ein Badezimmerspiegel, den das DAI-Labor der TU Berlin entwickelt, nicht beschummeln. Ein durchschimmernder Bildschirm zeigt Kindern einen Punktestand für das Zähneputzen an. Wer regelmäßig bürstet, gewinnt gegen putzfaule Geschwister.

Solche spielerischen Elemente bieten inzwischen viele digitale Assistenten an, um die Menschheit zu einem gesünderen Leben zu motivieren: mehr Sport, vitaminreichere Ernährung, bessere Körperpflege. Entwickler nennen das Prinzip "Gamification". Studien legen nahe, dass Erfolgserlebnisse das Belohnungssystem im Gehirn anregen. Was die Studien verschweigen: Gamification funktioniert in der Praxis ungefähr zwei- bis dreimal, danach geht sie den Kindern erfahrungsgemäß auf den Keks. Sie spielen lieber "Minecraft" oder "Clash of Clans" und putzen immer noch ungern die Zähne. Mir geht es nicht anders. Wer will sich schon ständig mit anderen messen? Wenigstens beim Zähneputzen – und bei der Morgentoilette überhaupt – sollte man auch mal Letzter sein dürfen, finde ich.

Das Leben ist auch so schon anstrengend genug. Ich schaue bei Google Now, wie sich mein Tag weiterhin gestalten wird. Zu meiner Überraschung stelle ich fest, dass der digitale Butler anhand meiner Aufenthaltsstatistik ungefragt mein Zuhause und meinen Arbeitsort festgelegt hat. Ein Abgleich von GPS und Uhrzeit haben ihm dafür ausgereicht. Nun meldet er mir, wie lange ich ins Büro brauche, unter Berücksichtigung von Wetter und der Verkehrslage. Fahre ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln, nennt er Haltestellen und Abfahrtszeiten. Auf Wunsch weckt er mich sogar vor der Zielhaltestelle. Heute werde ich allerdings das Auto nehmen und laut Google Now zwölf Minuten für die Strecke brauchen. So sollte ich pünktlich zu meinem ersten Meeting im Büro sein.

Schön wär's. Da Google Now die Parkplatzsuche nicht berücksichtigt hat, komme ich fünfzehn Minuten zu spät. Immerhin merkt sich Google Now, wo ich das Auto abgestellt habe. Dafür muss ich nichts tun, denn der Assistent stellt anhand meiner Bewegungen fest, wo ich das Auto verlassen habe. Bei so viel vorauseilender Intelligenz ist es seltsam, dass er beim Befehl "Zeige mir meine Termine nächste Woche" komplett versagt und lediglich eine Websuche anstößt – die universale Übersprungshandlung aller digitalen Assistenten. Als erstes Suchergebnis erhalte ich: Tipps zur Sprachsteuerung unter Android. Sehr witzig! Google Now kann zwar neue Termine fast fehlerfrei erfassen und mich daran erinnern. Aber sie per Sprachsteuerung anzuzeigen klappt nicht.

"Du bist ein Idiot", sage ich. Google Now lässt sich auf keine Diskussion ein und googelt lieber. Ich bin weit davon entfernt, die Maschine irgendwie menschlich wahrzunehmen. Trotzdem drängt sich ein seltsamer Gedanke auf: Darf ich sie beschimpfen? Je mehr wir künftig mit Assistenten kommunizieren, desto mehr werden uns auch Fragen der Etikette beschäftigen: Müssen Bots beispielsweise immer alles schlucken, oder dürfen sie auch zurückkeilen, wenn es gar zu wüst wird? Sollten sich Nutzer für eine erfolgreich erledigte Aufgabe bei einem Assistenten bedanken? Und sollte der das dann mit einem "keine Ursache" oder "gern geschehen" quittieren?