Chefregulierer zu Glasfaser-Überbau: "Da ist viel Geräuschkulisse im Markt"

Klaus Müller spricht im Interview mit heise online über Lücken im Mobilfunknetz, Glasfaser-Überbau und plädiert für eine "faktenorientierte" Debatte.

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Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur.

(Bild: Bundesnetzagentur)

Lesezeit: 9 Min.

Klaus Müller ist seit März 2022 Vorstand der Bundesnetzagentur. Im exklusiven Interview mit heise online erklärt der frühere Chef-Verbraucherschützer und Grünenpolitiker, wie die Bundesnetzagentur bei der nächsten Mobilfunk-Frequenzvergabe alte Probleme beheben will, warum sie beim Glasfaser-Überbau derzeit machtlos dasteht und warum die Ausbaupläne für Glasfaser-, Strom-, Wärme- und Wasserstoffnetze so schwer zu koordinieren sind.

Herr Müller, die Bundesnetzagentur ist von einer nur Fachleuten bekannten Regulierungsbehörde in den vergangenen zwei Jahren ja zu einer allseits bekannten Institution geworden. Stromnetze, Gasversorgung, aber auch Breitband und Mobilfunknetze sind Teil ihrer Aufgaben. Wie unabhängig kann und wie unabhängig muss die Bundesnetzagentur diese Aufgaben wahrnehmen?

Unabhängigkeit bedeutet ja, dass wir die Interessen derjenigen vertreten, die Infrastruktur bezahlen sollen. Das ist in Zeiten hoher Inflation eine ganz wichtige Aufgabe. Unsere Unabhängigkeit wird jetzt in bestimmten Bereichen noch einmal gestärkt durch ein neues Gesetzgebungsverfahren. In Umsetzung eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs über Netzentgelte werden wir für eine hohe qualitative Versorgungssicherheit, und technische, digitale Innovationen und immer auch als Verbraucherschutzbehörde unabhängige Wächterin sein.

Schon länger ist die Bundesnetzagentur für den Mobilfunk zuständig. Die Netzbetreiber sagen, sie würden viel ausbauen. Viele Kunden erleben aber nach wie vor schlechte Verbindungen oder gar überhaupt keine Netzverfügbarkeit. Halten sich die Anbieter denn aus Ihrer Sicht momentan an die Versorgungsauflagen, die mit den letzten Frequenzversteigerungen einhergingen?

Die Versorgungsauflagen waren Teil der öffentlich nachlesbaren Versteigerungsbedingungen beim letzten Mal. Ende letzten Jahres haben die drei bestehenden Mobilfunkanbieter noch mal einen Endspurt zur Verbesserung der Versorgung hingelegt, aber es gibt eine Reihe von Defiziten. Bahntunnel, teilweise die weißen Flecken, also Gegenden, die Ende letzten Jahres noch nicht so versorgt waren, wie das festgelegt war. Und dann gibt es eine Besonderheit: Es gibt einen vierten Aspiranten, der ein neues Netz aufbauen muss …

Das ist der Anbieter 1&1 …

Dass die 1&1 ihre Versorgungsauflagen deutlich verfehlt haben, ist bekannt. Das wird auch von dem Unternehmen nicht bestritten. Die Bundesnetzagentur ist jetzt gerade im Verfahren, welche Konsequenzen das haben wird.

Es geht aber nicht nur darum, Strafzahlungen zu verhängen, sondern, dass die Netzbetreiber die Auflagen nacherfüllen. Hier sehen wir das Engagement der Telekommunikationsunternehmen. Sie wollen die Versorgungsauflagen erfüllen, und wir sind heute, Mitte 2023, schon weiter als Ende 2022.

Warum beschweren sich dann so viele Nutzer?

Das ist die buchstabengetreue Erfüllung der letzten Versorgungsauflagen. Das Problem ist: Sie, ich und wahrscheinlich alle machen in der Realität eine andere Erfahrung. Weil es einen Unterschied gibt zwischen dem, was buchstäblich zu erfüllen war und in entsprechende juristische Auflagen übersetzt wurde, und dem was das Nutzererlebnis ist. Eine der großen Herausforderungen der nächsten Frequenzvergabe wird sein, sich stärker am Nutzererlebnis zu orientieren. Es nützt Ihnen nichts, wenn ich Ihnen sage, dass Sie auf dem freien Feld in drei Metern Höhe eine bestimmte Empfangsqualität haben, wenn Sie gerade im Zug sitzen und an einer Videokonferenz teilnehmen wollen.

Wie könnte das aussehen?

Das ist die Herausforderung. Oft hängt es nicht nur davon ab, was der Netzbetreiber zur Verfügung stellt. Sondern etwa davon, ob in einem ICE zwischen Hamburg und Berlin gerade eine Person, zehn Personen, 100 Personen oder 500 Personen auf das Netz zugreifen. Das ist die Hürde, wenn wir sowas nutzerorientiert beschreiben wollen. Der Netzbetreiber sieht nicht nur Sie, sondern alle, die gleichzeitig auf die gleiche Funkzelle zugreifen. Das müssen wir so definieren, dass es verhältnismäßig und nachher auch rechtssicher ist. Die Mobilfunknetzbetreiber spielen dabei natürlich die wichtigste Rolle. Aber auch die Bahn hat eine wichtige Verantwortung, wenn es etwa darum geht, Tunnel mit den entsprechenden Geräten auszustatten. Auch das sollte geregelt werden.

Muss das nicht der Markt regeln? Wann werden Verbraucher ähnlich wie beim Breitbandinternet bei Minderleistung entsprechend handeln können?

Um schneller wechseln zu können, hat die Bundesregierung schon in der letzten Legislaturperiode Änderungen auf den Weg gebracht. Die Bundesnetzagentur bietet Hilfsmittel an, um festzustellen: Wie gut ist meine Qualität, meine Versorgung? Menschen empfinden das aber als kompliziert – weil wir ihnen natürlich etwas zur Verfügung stellen, was auch rechtssicher ist. Hier gibt es immer einen Widerspruch zwischen dem, was einer Nachweispflicht genügt und dem, was ich als schnell, bequem und intuitiv empfinde. Aus diesem Spagat kommen wir erstmal nicht raus. Und der Markt wird es alleine nicht richten.

Die nächsten Frequenzvergaben stehen unter ganz besonderen Rahmenbedingungen. In Zeiten knapper Kassen könnte der Staat Einnahmen wie einst aus den UMTS-Auktionen ja dringend gebrauchen. Was bedeutet für die nächste Runde Frequenzvergaben?

Die Bundesnetzagentur wird ihre Entscheidung unabhängig, diskriminierungsfrei, fair, wettbewerbs- und verbraucherfreundlich treffen und wird nicht Wert darauf legen, möglichst hohe Einnahmen für die Staatskasse zu erzielen.

Auch für schnellen Mobilfunk ist Glasfaser eine Voraussetzung. Während die Vermarktung von Anschlüssen voranschreitet, zeigen sich erste Ärgernisse. Wenn etwa ein zweiter Anbieter im gleichen Gebiet ausbaut, in dem bereits ein anderer tätig ist. Was kann die Bundesnetzagentur gegen Fehlentwicklungen wie Überbau tun?

Die politischen Rahmenbedingungen sind auf europäischer und deutscher Ebene so entschieden worden. Der Gesetzgeber hat gesagt, er möchte nicht nur einen Wettbewerb auf den Netzen, sondern er möchte einen Infrastrukturwettbewerb. Hier wurde ein Rahmen geschaffen, als wir vielleicht noch mehr aus der Kupfer- und Vectoringwelt gekommen sind. Daher waren diese Entwicklungen vorhersehbar. Ich kann nur daran erinnern, dass jeder Akteur wusste, was Infrastrukturwettbewerb ist – und jetzt machen das Unternehmen.

Was wir noch nicht richtig feststellen können: Wie stark ist das ein reales Problem, ein gefühltes Problem, oder eines, was taktisch eingesetzt wird? Uns sind Fälle zugerufen worden, wo ein Unternehmen das nur ankündigt, um vielleicht ein anderes Unternehmen, seine potenziellen Kunden oder Investoren womöglich zu verunsichern. Da ist zurzeit viel Geräuschkulisse im Markt.

Da wollen wir in Absprache mit dem Digitalministerium jetzt Licht ins Dunkel bringen. Wir haben einen Prozess organisiert, wo uns Kommunen, Unternehmen und andere Stakeholder konkrete Fälle schildern können. Wir wollen dem nachgehen, um dann der Politik, dem Markt, der Öffentlichkeit zu signalisieren, wie viel davon real stattfindet. Und dann muss letztendlich die Politik entscheiden. Aber es ist keine rein nationale Entscheidung, ob sie am Infrastrukturwettbewerb festhält, und ob sie sieht, dass örtliche Monopole, auf die es ja sonst hinauslaufen würde, auch ihre Nachteile hätten.

Ich höre da ein Plädoyer heraus, dass Politik noch einmal darüber nachdenken sollte?

Nein, sie hören daraus den Wunsch, eher faktenorientiert zu diskutieren und nicht gefühlsorientiert. Und dann müssen wir Argumente gegeneinander abwägen.

Der Infrastrukturwettbewerb hat klare Vorteile, aber natürlich auch Nebenwirkungen. Und ich möchte, dass die Politik hier eine klare Leitentscheidung trifft und zu der dann auch steht. Denn der Markt braucht Planungssicherheit, so oder so.

Der Glasfaserausbau ist nur einer der Anlässe, warum derzeit und in der nahen Zukunft viele Straßenzüge aufgerissen werden müssen. Auch Energie- und Wärmenetze müssen fit für die Zukunft werden. Jetzt finden viele Planungen parallel statt. Wie ließe sich das besser koordinieren?

Das treibt viele um, Baudezernentinnen und -dezernenten vor Ort, viele Unternehmen, viele Landesregierungen und auch die Bundesnetzagentur. An vielen Stellen braucht die deutsche Infrastruktur einen Modernisierungsschub. Häufig betrifft es den gleichen oder einen ähnlichen Straßenzug, aber manchmal eben auch einen mehrfach hintereinander.

Wir wissen, dass wir jetzt ein schnelleres Glasfasernetz brauchen, morgen sicherlich ein Fernwärmenetz und übermorgen brauchen wir auch noch mal einen Ausbau für örtliche Stromverteilnetze. Und überübermorgen kommt dann vielleicht auch noch der Wasserstoff hinterher. In einer idealen Welt können wir das alles bündeln, gar keine Frage. Und ich kann jeden verstehen, der sagt: Könnt ihr nicht Leerrohre legen, könnt ihr das nicht mitdenken?

In vorausschauenden kommunalen Planungen ist das auch möglich. Die Bundesnetzagentur kann möglichst viel Transparenz schaffen. Wir tun das zum einen mit dem Gigabit-Grundbuch. Wir warten jetzt noch ein paar Wochen ab, bis der Deutsche Bundestag über das Thema der Wärmewende entschieden hat. Das hat ja jede und jeder nachvollzogen und weiß, was alles gerade beraten wird: Fernwärme, die Zukunft meiner Heizung, daran anknüpfend auch die realistischen Perspektiven eines Wasserstoffnetzes.

Die Bundesnetzagentur hat den Anspruch, zu einer integrierten Strom-, Gas- und Wasserstoff-Netzplanung zu kommen. Ich weiß aber, dass das heute schlicht noch nicht möglich ist. Dazu fehlen noch ein paar Parameter. Aber wir arbeiten dran, all das zusammenzudenken, auch wenn das leichter gesagt als getan ist.

Das heißt, am Ende würde eine Art integrierter Strom-, Breitband-, Wärmeplanungs-Atlas für alle Bauvorhaben bei Ihnen vorliegen?

Das kann ich nicht versprechen. Aber wir können mit dem Gigabit-Grundbuch eine Orientierung geben. Und wir arbeiten daran, dass die Rahmenbedingungen für Strom, Gas und Wasserstoff operationalisierbar werden. Hier hat Deutschland bekanntermaßen noch einiges vor. Wenn uns das gelungen ist, werden wir gucken, wie wir das so integriert darstellen können, dass möglichst viele Kommunen damit gut arbeiten können. Aber das ist ein Marathonlauf und kein Kurzstreckensprint.

(vbr)