China: Umweltfreundliche Massenbewegung

Seite 2: Sind die Elektroträume real?

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Doch inzwischen ist nicht nur dieses Datum unsicher. Branchenkenner fragen sich, ob das Unternehmen dann überhaupt noch existieren wird. Die Meldungen über Faraday Future lassen zumindest auf ernste Probleme schließen: Innerhalb einer Woche kündigten drei wichtige Führungskräfte, darunter der als "global CEO" bezeichnete Ding Lei. Zudem wurde der Bau von Faradays Milliardenfabrik im amerikanischen Bundesstaat Nevada gestoppt. Dort sollte – auch dank Steuererleichterungen in Höhe von 215 Millionen Dollar oder einer sechs Kilometer langen Schienenanbindung – Faradays erste, knapp 300000 Quadratmeter große Produktionsstätte entstehen. Faradays chinesischer Großinvestor Jia Yueting scheint in akuten Zahlungsschwierigkeiten zu stecken. Ein Gericht hat zuletzt Vermögenswerte über 182 Millionen Dollar einfrieren lassen.

Hinweise auf Betrug sind in diesem Fall noch nicht bekannt – ganz im Unterschied zum Fall des Transit Elevated Bus. Aber beide Ereignisse werfen die Frage auf, ob Chinas Entwickler chronisch mehr versprechen, als sie liefern können. Immer wieder gilt das Land als Labor für die Zukunft der Mobilität. Erstens, weil China alles daransetzt, zur führenden Technologienation aufzusteigen (siehe TR 9/2017, S. 84). "Das übergeordnete politische Ziel ist es, China zu einem weltweiten Gravitationszentrum für Innovationen zu machen", sagt Technologie-Experte Jost Wübbeke am Berliner Mercator Institut für Chinastudien. Und zweitens, weil in kaum einem anderen Land die Probleme des vorhandenen Verkehrssystems deutlicher zutage treten. Man muss nicht gleich an Chinas bislang längsten Stau vom August 2010 denken.

Er erstreckte sich über mehrere Provinzen bis auf Pekings Stadtgebiet, dauerte mehr als zehn Tage und hat sogar einen eigenen Eintrag bei Wikipedia ("China National Highway 110 traffic jam"). Vielmehr stehen täglich auf den Ringstraßen der Hauptstadt kilometerweit Autos Stoßstange an Stoßstange. Die Situation in den anderen Metropolen des Landes ist kaum besser. "Der stockende Verkehr kostet China schon jetzt jedes Jahr zwischen zwei bis sechs Prozent des Bruttosozialprodukts", schätzt Ying Wang, Wissenschaftlerin vom World Resources Institute in Peking. Als Folge hängt über Peking zudem an vielen Tagen eine gelbliche Dunstglocke mit beißend-ätzendem Geruch.

Apps, die die aktuelle Luftqualität anzeigen, gehören auf Smartphones in China quasi zur Standardeinrichtung. Eine Feinstaubbelastung von 250 Mikrogramm ist keine Seltenheit, wobei die Weltgesundheitsorganisation WHO bereits Werte von mehr als 25 Mikrogramm als gesundheitsgefährdend betrachtet. "Airpokalypse" nennen die Pekinger diesen Zustand. Schätzungsweise 1,6 Millionen Menschen sterben jedes Jahr in China einen verfrühten Tod durch Smog. Die Probleme aktiv anzugehen, "dazu wird im aktuellen Fünfjahresplan explizit ermutigt", sagt Ying Wang. Aber wie weit ist China auf diesem Weg tatsächlich gekommen?

Nicht nur TEB und Faraday säen Zweifel. Auch bei einem dritten Projekt, das dieses Jahr weltweit Aufmerksamkeit auf sich zog, geht es nicht voran wie versprochen. Das chinesische Unternehmen eHang entwickelt einen elektrischen Passagier-Multikopter namens eHang 184. Er soll 23 Minuten in der Luft bleiben und eine Höhe von über 3300 Metern erreichen können. Wer einsteigt, muss nicht selbst fliegen, sondern soll sein Ziel einfach per App eingeben können. Start, Flug und Landung würden von einen Kontrollzentrum ausgeführt und überwacht. "Sie setzen sich einfach rein und genießen den Flug", sagte Firmengründer Yifang Xiong bei der Vorstellung im Januar 2016 in Las Vegas. Im Juli 2017 sollte in Dubai der reguläre Betrieb losgehen, doch trotz Erfolgsmeldungen über geglückte Testflüge sind am arabischen Himmel noch keine Lufttaxis zu sehen. Stattdessen sicherte sich der deutsche Konkurrent Volocopter mit seinen Elektrokoptern die Flugerlaubnis.

Ying Wang sieht in den drei Fällen allerdings kein Problem chinesischer Prägung. Beim World Resources Institute beschäftigt sie sich schon lange mit Lösungen für Chinas Verkehr- und Umweltprobleme. "Jede Innovation durchläuft einen komplizierten Prozess vom ersten Gedanken über die Entwicklung und Finanzierung bis hin zur Verwirklichung", sagt sie. Vom Betrug einmal abgesehen, gehört das Scheitern zum Geschäft. Für sie sind Faraday Future oder eHang daher eher ein Zeichen dafür, dass technikbasierte Innovationen in den vergangenen Jahren erheblich an Fahrt gewonnen haben – auch weil die chinesische Regierung solche Start-ups aus der Privatwirtschaft inzwischen unterstütze. "Die massiven Probleme haben die Regierung an die Frontlinie gedrängt, schnell Lösungen zu finden", sagt Wang. "Wir werden noch viele innovative Lösungen sehen, die die Herausforderungen im Verkehrssektor angehen."