Das BESSY und die Kunst

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Bestrahlt man die silbergrauen Stiftspuren mit Röntgenwellen, schlucken die Metallatome darin das Licht und nehmen so Energie auf, die sie kurz darauf ihrerseits als Lichtsignale wieder abgeben. Die Wellenlänge dieses Fluoreszenzlichts ist charakteristisch für die signalaussendende Atomsorte. Die sogenannte Röntgenfluoreszenzanalyse liefert mithin eine Art chemischen Fingerabdruck, der über die atomaren Bestandteile des untersuchten Materials Auskunft gibt. Bei den Dürer-Skizzen offenbarte der Fingerabdruck, dass die Linien einer Zeichnung, das Brustbild eines Mannes mit Pelzmütze, deutlich mehr Zink enthielten als die Linien auf den übrigen Werken, die alle ähnlich beschaffen waren. "Dürer hatte dieses Bild also offensichtlich mit einem anderen Stift gezeichnet", folgert Reiche. Obgleich es sich auf demselben Papierbogen befindet wie eine der Skizzen aus der Reiseserie, sei es vermutlich zu einem späteren Zeitpunkt entstanden. Dürer-Experten hatten das Werk jahrelang falsch zugeordnet.

In einer weit delikateren Angelegenheit konnten die BESSY-Wissenschaftler den Kunstspezialisten ebenfalls weiterhelfen: Auf Dürers Porträtzeichnung von Willibald Pirckheimer, einem Nürnberger Patrizier und Freund des Malers, steht neben der Silberstiftskizze auf Altgriechisch die obszöne Anmerkung: "mit dem erigierten Penis in den Anus des anderen". Weil Dürer kein Altgriechisch konnte, gingen die meisten Kunstkenner davon aus, dass die Zeilen erst viel später, ohne Wissen des Meisters, auf das Blatt geschrieben wurden. Wie sich im Röntgenlicht zeigte, sind Porträtlinien und Schrift jedoch chemisch nahezu identisch aufgebaut. Das stütze die These, dass Willibald Pirckheimer den Text mit Dürers Stift verfasst habe, sagt Reiche. "Die Freundschaft der beiden Männer könnte demnach mehr als nur Freundschaft gewesen sein."

Nicht nur Bilder, auch Metallgegenstände geben unter dem intensiven Beschuss mit der Berliner Strahlenkanone viel über ihre intimen Geheimnisse preis. "Wir können nie mit Sicherheit feststellen, ob ein Untersuchungsobjekt wirklich echt ist", sagt Martin Radtke, "aber wir können zweifelsfrei erkennen, wenn etwas nicht stimmt." Wie etwa beim "Berliner Goldhut", einem ungefähr tischhohen Hohlkegel aus der Bronzezeit, der den Priestern eines einst in Zentraleuropa verbreiteten Sonnenkults als religiöse Insignie gedient haben soll. Er besteht aus dünnem, ornamentverziertem Goldblech und wurde 1996 vom Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte von einem internationalen Kunsthändler gekauft. Woher der Goldkegel ursprünglich stammt, ist unbekannt.

Der Händler habe behauptet, den Hut nicht geputzt oder irgendwie chemisch behandelt zu haben, erzählt Radtke. Merkwürdigerweise glänzt aber die Spitze hell, während Stumpf und Krempe mit einer schwärzlichen Patina überzogen sind. Im Fokus der Synchrotronstrahlen kam ans Licht, dass der Goldanteil im oberen, blanken Kegelabschnitt etwas höher ist als im unteren. "Das sah doch sehr verdächtig nach einer Reinigung mit Säure aus: Weniger edle Metalle wie Kupfer oder Zinn wurden weggeätzt, das resistente Gold blieb", kommentiert Radtke das Ergebnis. Als Nächstes will er eine Reihe alter türkischer Silbermünzen aus verschiedenen Jahrzehnten mittels Röntgenfluoreszenz inspizieren. Ohne die Geldstücke aufschneiden zu müssen, kann er so ihren Silbergehalt ermitteln und überprüfen, ob die Edelmetallkonzentration mit der Zeit abnimmt. "Das wäre dann der Nachweis für eine frühe Form der Inflation", sagt der Forscher.

Noch gezielter lässt sich mit einem anderen Röntgenverfahren ins Innere antiker Kostbarkeiten spähen: mit der dreidimensionalen Röntgenfluoreszenz. Die Analysemethode ist eine Weiterentwicklung der herkömmlichen Fluoreszenzmessungen. Bei ihr werden das Röntgenlicht aus dem Synchrotronstrahlrohr und das vom Probenmaterial zurückgesandte Fluoreszenzsignal jeweils so geschickt von Linsen gebündelt, dass sich der betrachtete Probenausschnitt auf ein winziges Oval von wenigen Tausendstelmillimetern Höhe und Breite reduziert, zehnmal feiner als ein Haar. Verschiebt man das Oval nach jeder Messung ein wenig nach unten, lässt sich ein Kunstwerk schichtweise durchleuchten.