Das BESSY und die Kunst

Mit Röntgenlicht des Berliner Elektronensynchrotrons ermitteln Forscher die chemische Beschaffenheit alter Gemälde, Münzen oder Manuskripte. So können sie den Kulturschätzen schmerzlos viel über ihre Geschichte entlocken.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Astrid Dähn
Inhaltsverzeichnis

Mit Röntgenlicht des Berliner Elektronensynchrotrons ermitteln Forscher die chemische Beschaffenheit alter Gemälde, Münzen oder Manuskripte. So können sie den Kulturschätzen schmerzlos viel über ihre Geschichte entlocken.

Manchmal lohnt sich ein Blick unter die Oberfläche: Als Martin Radtke die ägyptische Mumienmaske zum ersten Mal sah, war er nicht gerade begeistert. "Das Ding war ganz mit einer braunen Schmierschicht bedeckt und sah ziemlich schmuddelig aus", erzählt der Wissenschaftler von der Bundesanstalt für Materialforschung (BAM) in Berlin. Doch die Besitzerin wollte genauer wissen, was es mit dem Erbstück in ihrem Wohnzimmer auf sich hatte. Also nahm Radtke die Antiquität mit in eine spezielle Messkammer am BESSY II, der Berliner Elektronenspeicherring-Gesellschaft für Synchrotronstrahlung – und war überrascht. Analysen durch Röntgenlicht aus dem Beschleuniger ergaben, dass die Maske unter ihrer Dreckkruste komplett mit Gold überzogen war. "Eine kleine Sensation, denn nur Pharaonen durften ihre Totenmasken mit Gold verzieren", sagt Radtke. "Der unscheinbare Kopfabdruck entpuppte sich damit als ungeheuer wertvoll."

Auch wenn die Messungen am BESSY ihrem Auftraggeber nicht immer so lukrative Erkenntnisse bringen wie im Fall der Mumienmaske – der Teilchenbeschleuniger ist ein gefragtes Hilfsmittel in der Kulturforschungsszene. "Immer öfter ziehen uns Museen und archäologische Institute zurate, wenn es um die Entstehungsgeschichte, Herkunft oder Echtheit eines Fundstücks geht", berichtet Radtke, der die Messkammer der BAM am BESSY betreut. "Wir nehmen hier mittlerweile alles unter die Lupe, von antikem Goldschmuck über alte Pergamentrollen und Gemälde bis zum Dinosaurierknochen."

Und das, obwohl der technische Aufwand gewaltig ist. Mit dem handlichen Untersuchungswerkzeug, das in vielen Museumslaboren steht, hat die Beschleunigeranlage wenig gemein. Ihren Kern bildet eine luftleer gepumpte, ringförmige Röhre von 240 Metern Umfang. Im Inneren der Röhre kreisen Elektronen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit. Große Magnete lenken die negativ geladenen Teilchen bei ihrem Flug so ab, dass sie exakt auf ihrer vorgeschriebenen Ringbahn bleiben. Der Trick dabei: Durch die Ablenkung erfahren die Elektronen eine Beschleunigung in Richtung Ringmitte. Und annähernd lichtschnelle, beschleunigte Elektronen senden eine besondere Form von elektromagnetischen Wellen aus, sogenannte Synchrotronstrahlung. Auf die Produktion dieser Strahlung ist das BESSY spezialisiert. Sie wird an verschiedenen Stellen des Rings abgezweigt und durch Metallrohre in Bauwagen-ähnliche Messkammern geleitet. Durch dicke Betonwände vom restlichen Beschleuniger abgeschirmt, reihen sich mehr als 70 solcher Experimentierstationen rund um die Elektronenrennstrecke.

Forscher aus aller Welt nehmen dort unterschiedlichste Materialien ins Visier, sie prüfen die Struktur von Biomolekülen auf ihre Tauglichkeit für neue Arzneimittel, suchen nach energieeffizienteren Baustoffen für Solarmodule oder preiswerteren Katalysatoren für die chemische Industrie. Seit Kurzem findet sich unter den Versuchsplätzen auch eine vollklimatisierte Kammer der BAM, die eigens für Messungen an empfindlichen Kunstgegenständen gedacht ist. Läuft der Betrieb normal, benötigt die Beschleunigeranlage insgesamt rund 2,7 Megawatt elektrische Leistung, das entspricht dem Energieverbrauch von 8000 Zwei-Personen-Haushalten. Eine Stunde Strahlzeit kostet daher gut 500 Euro. "Eine teure Maschinerie", räumt Martin Radtke ein, "aber auch sehr nützlich."

Denn Synchrotronstrahlung besitzt ein paar Eigenheiten, die sie von gewöhnlicher elektromagnetischer Strahlung aus Glühlampen oder Leuchtröhren unterscheiden: Sie umfasst ein extrem breites Lichtspektrum, ihre Bestandteile reichen vom langwelligen Infrarotlicht bis weit in den kurzwelligen Röntgenbereich. Je nach Fragestellung und Analysemethode können Forscher daher stets die passende Wellenlänge für ihren Versuch herausfiltern.

Gleichzeitig ist ihr Licht intensiver und wesentlich besser auf engsten Raum fokussierbar als etwa die Strahlen aus gewöhnlichen Röntgenapparaturen. Und weil die Synchrotron-Lichtwellen in besonders geordneter Weise auf und ab schwingen, lassen sie sich relativ leicht von weniger geordneten Störsignalen trennen. Messungen mit Synchrotronstrahlung seien folglich "hochsensitiv", resümiert Radtke. "Um brauchbare Ergebnisse zu bekommen, genügen minimale Mengen Probenmaterial, die nur wenige Sekunden oder Minuten der Strahlung ausgesetzt werden müssen." Dass sich die Proben innerhalb dieser kurzen Messzeit zu stark erwärmen und Schaden nehmen könnten, hält der Physiker für ausgeschlossen, selbst bei Einsatz von energiereichem Röntgenlicht: "Die Methode ist absolut zerstörungsfrei." Ein großer Vorteil, insbesondere wenn es um die Untersuchung kostbarer Gemälde geht.

Schon mehrfach hatten Radtke und seine Kollegen Silberstiftzeichnungen berühmter Meister zur Begutachtung in ihrer Messkammer, dabei auch eine Serie von Skizzen des deutschen Renaissance-Malers Albrecht Dürer. Heute hängen die 27 Bilder in verschiedenen Galerien über ganz Europa verstreut, Kunsthistoriker vermuteten jedoch, dass Dürer sie alle während einer Reise durch die Niederlande zu Papier gebracht habe. Ein Irrtum, wie sich am BESSY herausstellen sollte. "Silberstiftlinien setzen sich aus winzigen, ungleichmäßig verteilten Metallpartikel-Häufchen zusammen", erläutert Ina Reiche vom Pariser Louvre-Museum, unter deren Leitung die Bilder analysiert wurden. "Nur mit dem brillanten Röntgenlicht der Synchrotronstrahlung konnten wir den feinen Strichen Informationen entlocken."